RSV-Prävention für Säuglinge im Handel |
Kerstin A. Gräfe |
04.10.2023 09:00 Uhr |
Der neue Antikörper Nirsevimab darf zur Prävention von RSV-Erkrankungen auch Frühgeborenen verabreicht werden. / Foto: Fotolia/Ramona Heim
RSV ist die häufigste Ursache für Infektionen der unteren Atemwege wie Bronchiolitis und Pneumonien bei Säuglingen. Zudem ist das Virus einer der häufigsten Gründe für Krankenhausaufenthalte von Säuglingen aufgrund von Atemwegsinfektionen, wobei die meisten Hospitalisierungen wegen RSV bei ansonsten gesunden, reifgeborenen Säuglingen auftreten. Zwar ist zur Prävention seit mehr als zwei Jahrzehnten der Antikörper Palivizumab (Synagis®) im Handel. Er ist jedoch auf Hochrisikokinder beschränkt und für eine RSV-Saison sind fünf Injektionen erforderlich.
Der neue Antikörper Nirsevimab (Beyfortus® 50 mg/100 mg Injektionslösung in einer Fertigspritze, Sanofi) ist indiziert zur Prävention von RSV-Erkrankungen der unteren Atemwege bei Neugeborenen und Säuglingen während ihrer ersten RSV-Saison. Wie Palivizumab ist auch Nirsevimab ein neutralisierender Antikörper. Er bindet an das Fusionsprotein (F-Protein) auf der Oberfläche von RSV. Dadurch hemmt Nirsevimab den entscheidenden Membranfusionsschritt im Prozess des Viruseintritts, neutralisiert das Virus und blockiert die Zellfusion. Das Besondere an dem neuen Antikörper ist eine verlängerte Halbwertszeit, sodass eine Einzeldosis für mindestens fünf Monate schützt. Beyfortus deckt somit den Zeitraum einer typischen RSV-Saison ab.
Empfohlen wird bei Babys mit einem Körpergewicht von bis zu 5 kg eine einmalige intramuskuläre Injektion von 50 mg Nirsevimab, vorzugsweise in den Oberschenkel; ab 5 kg Körpergewicht sind es dann 100 mg Nirsevimab. Der Antikörper sollte vor Beginn der RSV-Saison angewendet werden oder ab der Geburt bei den Säuglingen, die während der RSV-Saison geboren werden.
Wie alle intramuskulären Injektionen sollte Nirsevimab mit Vorsicht bei Säuglingen/Kleinkindern mit Thrombozytopenie oder anderen Gerinnungsstörungen angewendet werden. Wenn bei der Anwendung Anzeichen und Symptome einer klinisch signifikanten Überempfindlichkeitsreaktion oder Anaphylaxie auftreten, ist sie sofort abzubrechen und es ist eine geeignete Therapie einzuleiten.
Die EU-Zulassung basiert unter anderen auf einer Phase-IIb-Studie (NCT02878330), der Phase-II/III-Studie MEDLEY (NCT03959488) und der Phase-III-Studie MELODY (NCT03979313). An der Studie MELODY nahmen 1490 Säuglinge teil, die höchstens ein Jahr alt waren und in der Schwangerschaft mindestens 35 Wochen ausgetragen wurden. Sie erhielten vor ihrer ersten RSV-Saison entweder eine intramuskuläre Injektion Nirsevimab oder Placebo. Als primärer Endpunkt war eine behandlungsbedürftige RSV-assoziierte Erkrankung der unteren Atemwege innerhalb von 150 Tagen nach der Injektion definiert.
Eine solche trat in der Nirsevimab-Gruppe bei zwölf Kindern (1,2 Prozent) und in der Placebogruppe bei 25 Kindern (5,0 Prozent) auf. Das entspricht einer Wirksamkeit gegen RSV-bedingte Atemwegserkrankungen von 74,5 Prozent. Des Weiteren wurden innerhalb von 150 Tagen sechs Säuglinge in der Beyfortus-Gruppe (0,6 Prozent) und acht Säuglinge in der Placebogruppe (1,6 Prozent) ins Krankenhaus eingeliefert. Damit betrug die Wirksamkeit gegen RSV-bedingte Hospitalisierung 62,1 Prozent.
Als häufigste Nebenwirkungen traten Hautausschlag, Fieber und Reaktionen an der Injektionsstelle auf.
Jahrelang hat sich im Bereich RSV nichts getan. Nun kommen plötzlich viele Neuigkeiten auf einmal. Neben Nirsevimab sind bereits RSV-Impfstoffe zugelassen, einer davon auch zur maternalen Impfung zum Schutz von Säuglingen. Nirsevimab stellt dagegen wie das seit vielen Jahren bekannte Palivizumab eine Möglichkeit der passiven Immunisierung dar. Sowohl Nirsevimab als auch Palivizumab sind neutralisierende Antikörper. In einer Metaanalyse, die in »JAMA Network Open« publiziert wurde, konnte eine vergleichbare Wirksamkeit von Nirsevimab, Palivizumab und dem noch nicht zugelassenen Motavizumab in Sachen Reduktion von RSV-Infektionen und RSV-bedingten Hospitalisierungen gezeigt werden (DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2023.0023).
Nirsevimab ist also zunächst einmal nichts grundlegend Neues. Allerdings kann der Wirkstoff dennoch als Schrittinnovation betrachtet werden. Denn das Besondere an Nirsevimab ist seine lange Halbwertszeit: Eine Einzeldosis reicht aus, um eine ganze RSV-Saison abzudecken. Palivizumab bietet dagegen nur einen einmonatigen Schutz, sodass fünf Injektionen pro RSV-Saison erforderlich sind. Zudem ist Nirsevimab für alle Säuglinge zugelassen, während Palivizumab nur für Risikokinder indiziert ist.
Es bleibt abzuwarten, wie die Empfehlungen für den Einsatz der Antikörper und Impfstoffe zukünftig aussehen werden und was auf dem Gebiet RSV noch hinzukommen wird. Einiges befindet sich nämlich noch in der Pipeline. Gegebenenfalls könnte es dann auch zur Kombination von Prophylaxeansätzen kommen, also etwa Schwangere gegen RSV impfen und Frühgeborene zusätzlich mit Antikörpern immunisieren.
Sven Siebenand, Chefredakteur