Rechtzeitig und selbstbestimmt den eigenen Willen dokumentieren |
Organspenden werden dringend gebraucht: Nach wie vor warten deutlich mehr Patienten mit lebensbedrohlichen Erkrankungen auf ein Spenderorgan, als diese zur Verfügung stehen. Denn immer noch treffen viel zu wenige Menschen bei Lebzeiten eine Entscheidung dafür oder dagegen. / Foto: Getty Images/Coolpicture
Ob ja oder Nein: »Wer zu Lebzeiten keine eigene Entscheidung zur Organspende trifft, verzichtet auf einen Teil seiner Selbstbestimmung. Nicht nur das: Er belastet nachfolgend auch die Menschen, die ihm nahestanden«, macht Dr. Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), in einem aktuellen Statement zum Tag der Organspende am 5. Juni deutlich. Diese müssten sich dann trotz ihrer Trauer noch zusätzlich und stellvertretend damit befassen, ob sie einer Organspende zustimmen oder nicht. »Wenn in dieser Situation keine schriftliche oder mündliche Äußerung des Verstorbenen zur Organspende vorliegt, wird die Familie um die Entscheidung gebeten«, warnt der Mediziner.
Im vergangenen Jahr hätten in mehr als der Hälfte aller Fälle, in denen die Möglichkeit zu einer Organspende bestand, Angehörige den Entschluss für oder gegen eine Organentnahme fassen müssen. In rund 44 Prozent der Fälle sei der mutmaßliche Wille des Verstorbenen die Grundlage ihrer Entscheidung gewesen. Zu etwa 18 Prozent hätte sich die Familie auf Basis ihrer eigenen Vorstellungen festlegen müssen.
Noch nicht einmal jeder Fünfte aller möglichen Organspender habe seinen Willen schriftlich in einem Organspendeausweis oder einer Patientenverfügung dokumentiert. Nicht zufällig, so Rahmel, rufe die DSO daher regelmäßig jeden dazu auf, sich zu informieren und Meinungen einzuholen, um bewusst entsprechende Vorbereitungen treffen zu können. Die Entscheidung sei wichtig auch vor dem Hintergrund, dass gegebenenfalls jedes einzelne Organ zählt und Hoffnung für einen schwerkranken Menschen auf der Warteliste bedeutet.
»Wir sprechen seit eineinhalb Jahren fast ausschließlich über Corona. Aber im Schatten der Pandemie leiden und sterben immer noch zu viele Menschen, weil sie vergeblich auf ein lebensrettendes Organ warten«, unterstreicht Dr. Pedram Emami, Präsident der Ärztekammer Hamburg, in einem Statement zum diesjährigen Tag der Organspende. Auch sein Appell lautet: »Hören Sie in sich selbst hinein und fragen Sie sich, ob Sie Ihre Organe im Falle eines plötzlichen Todes nicht anderen Menschen schenken möchten. Und vor allem: Dokumentieren Sie Ihre Entscheidung.«
Würde sich jeder dieser Frage stellen und in seinem Sinne beantworten, würde er seinen Angehörigen weitere Belastungen in ihrer vielleicht dunkelsten Stunde ersparen. »Und es würde möglicherweise zudem dazu führen, dass mehr Menschen als heute ihre Organe zur Verfügung stellten«, vermutet der Kammerpräsident.
»Ja oder Nein zur Organ- und Gewebespende? Es ist Ihre Entscheidung. Diese muss unabhängig und individuell getroffen werden«, formuliert es plakativ die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) auf ihrer Homepage.
2020 gab es bundesweit 913 postmortale Organspenderinnen und Organspender. »Damit bleiben wir trotz Corona-Pandemie ungefähr auf dem Stand vom Vorjahr mit 932 Organspenderinnen und Organspendern«, informiert die beim BMG angesiedelte Fachbehörde. Pro Spenderin oder Spender seien durchschnittlich drei und somit insgesamt 3581 Organe entnommen und transplantiert worden – davon 14,3 Prozent nach einer Lebendorganspende. 9000 Menschen stehen derzeit auf der Warteliste.
Mit 746 postmortal entnommenen und transplantierten Lebern ist bei Lebertransplantationen im letzten Jahr eine Steigerung um 2,8 Prozent zu verzeichnen gewesen. »Zu dieser Entwicklung haben vor allem die Teams auf den Intensivstationen beigetragen, die sich trotz der hohen Belastungen durch Covid-19 im vergangenen Jahr zunehmend für die Organspende engagieren«, gibt sich Professor Dr. Michael P. Manns, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Leberstiftung, überzeugt.
Hingegen verweist die Vorsitzende des Bundesverbandes Niere, Isabelle Jordans, in einem Schreiben an ihre Mitgliedsorganisationen im März dieses Jahres auf einen Negativtrend bei Nierentransplantationen in Deutschland. Mit einer Gesamtzahl von 1.915 Nierentransplantationen (postmortal und Lebendspenden) sei im vergangenen Jahr ein trauriger Negativrekord erzielt worden. Ob und inwieweit die Corona-Pandemie für diese Entwicklung mitverantwortlich ist, lasse sich nur schwer abschätzen, zumal der Abwährtstrend seit 2018 besteht. So oder so: Jordans spricht von einem »unsäglichen Zustand«, der dringend der Verbesserung bedarf.
Die Transplantationsmedizin krankt nach wie vor an einem eklatanten Organmangel. »Auch ein kurzzeitiger Anstieg der Organspenderzahlen im Jahr 2019 darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Situation für die Menschen, die auf ein Organ warten, nach wie vor desolat ist«, hatte die Deutsche Transplantationsgesellschaft (DTG) im Rahmen eines Statements anlässlich ihrer Jahrestagung bereits im Oktober des vergangenen Jahres deutlich gemacht.
»Jedes Jahr werden über 1000 Patientinnen und Patienten von der Warteliste genommen – entweder, weil sie zwischenzeitlich verstorben oder nicht mehr für eine Transplantation geeignet sind. Viele westeuropäische Nachbarn transplantieren auch Organe von Spendern nach Herztod, um die Zahl der zur Verfügung stehenden Organe zu erhöhen«: Laut DTG ist es an der Zeit, auch in Deutschland eine Diskussion über diese Möglichkeit anzustoßen.
Man wünsche sich eine ehrliche Debatte – dieses gerade in Zeiten der Corona-Pandemie, die die prekäre Situation der Transplantationsmedizin in den Hintergrund habe rücken lassen. Nach wie vor sei die Spenderrate in Deutschland gemäß Daten der Stiftung Eurotransplant aus 2019 mit 10,8 Spendern pro 1 Million Bürger mit Ausnahme von Luxemburg (8,1 pro 1 Million) die mit Abstand niedrigste unter den Eurotransplant-Mitgliedsländern. In Österreich liege die Rate bei 20,3, in Belgien sogar bei über 27 Spendern pro 1 Million.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.