Rausschmeißer für HI-Viren |
Johanna Hauser |
22.10.2025 16:20 Uhr |
Die Frage, ob eine Latenzumkehr von HI-Viren möglich ist, entscheidet darüber, ob eine Infektion zukünftig heilbar sein wird. / © Adobe Stock/alexkich
HI-Viren können, wenn sie eine Zelle infiziert haben, ihr Genom in das Erbgut dieser Wirtszelle einbauen und dort in einem latenten Zustand verharren. Dadurch werden sie weder von einer Antiretroviralen Therapie (ART) noch vom Immunsystem erreicht, wodurch eine HIV-Infektion unheilbar wird.
Latente HI-Viren zu reaktivieren, um sie dann beseitigen zu können, ist seit Jahren das Ziel der Forschung. Nur so wird es möglich sein, HIV nicht mehr nur kontrollierbar, sondern über die sogenannte »shock and kill«-Strategie auch heilbar zu machen. Dabei werden – so die Theorie – schlafende Viren aus der Latenz geweckt. So sichtbar gemacht, können die infizierten Zellen vom Immunsystem eliminiert werden. Ein vielversprechender Ansatz mithilfe von mRNA wurde vor Kurzem von australischen Forschenden vorgestellt.
Nun hat ein internationales Forschungsteam unter der Federführung des Universitätsklinikums Ulm einen weiteren Weg gefunden, latente HI-Viren zu reaktivieren. Und zwar mithilfe eines körpereigenen Proteins, dem Retinol-bindenden Protein 4 (RBP4). Dieses in der Leber gebildete Protein transportiert Vitamin A im Blut. Die Ergebnisse wurden kürzlich im Fachjournal »Signal Transduction and Targeted Therapy« veröffentlicht.
Dazu screente das Team um Erstautorin Dr. Chiara Pastorio das humane Blutpeptidom, also die Gesamtheit der Proteine im Blut, umfassend. Gesucht wurde nach Proteinen und Peptiden, die eine aktivierende Wirkung gegenüber HIV entfalten. Potenzielle Kandidaten wurden im Zellversuch getestet. Als Modell-Zelllinie dienten HIV-infizierte T-Lymphozyten, Diese spielen eine Schlüsselrolle in der Immunabwehr, werden allerdings auch bevorzugt von dem Aids-Erreger infiziert.
Es zeigte sich, dass physiologische Konzentration (10 bis 50 µg/ml) von RBP4 ausreichend waren, um die Viren aus ihrer Latenz zu holen. Allerdings funktionierte dies nur mit dem beladenen Transportprotein (Holo-RBP4). Der unbeladene Transporter zeigte, ebenso wie Retinol alleine, keine Wirksamkeit gegen schlafende HI-Viren. Als ausschlaggebenden Mechanismus konnten die Forscher eine Aktivierung des NF-κB-Signalwegs mit nachfolgender Verstärkung durch JAK/STAT5- und JNK-Signalwege identifizieren.
NF-κB spielt eine Schlüsselrolle unter anderem für immunologische Prozesse. Es scheint, dass auf diesem Weg HIV aus einer Vielzahl latent infizierter T-Zelllinien hervorgelockt werden kann.
Ein positiver Nebeneffekt von RBP4 ist, dass Retinol auch ins lymphatische Gewebe (Thymus, Milz, Lymphknoten) geschleust wird, den Hauptort latenter HIV-Reservoirs.
In Kooperation mit US-amerikanischen Kollegen konnte die Latenzumkehr auch an Zellen von sieben HIV-positiven Personen gezeigt werden. Diese erhielten seit über zehn Jahren eine ART und wiesen keine Viruslast im Blut auf. Auch hier zeigte sich, dass RBP4 in der Lage ist, die Viren aus ihrer Latenz zu wecken.
Die Studie weist insofern Einschränkungen auf, als dass Zellkulturmodelle In-vivo-Bedingungen nicht vollständig darstellen können. Nichtsdestotrotz stellen sie ein nützliches Tool für Screenings dar. Die Wirksamkeit auf latente HIV-Reservoirs bei Patienten muss weiter untersucht werden.
Die Ergebnisse deuteten darauf hin, schreiben die Forschenden, dass Holo-RBP4 ein neues Ziel darstellt, um die latenten Reservoire von HIV-1 anzugreifen.