Rabatt-Aktionen auch bei OTC-Arzneimitteln verboten |
Jennifer Evans |
23.12.2022 10:30 Uhr |
Gesundheitsgefahren beachten: Werbung für OTC-Präparate kann nach EuGH-Auffassung großen Einfluss auf die Entscheidung des Endverbrauchers haben. / Foto: imago images / Patrick Scheiber
Der EuGH hat sich vor Kurzem mit einem Anliegen aus Lettland befasst, in dem es um die Auslegung der EU-Richtlinie 2001/83/EG ging. Das lettische Verfassungsgerichtshof hatte ihn nämlich gebeten genauer zu erläutern, was unter dem Begriff »Werbung für Arzneimittel« zu verstehen ist. Konkret wollten die lettischen Richter wissen, ob damit auch die Werbung für unbestimmte Arzneimittel gemeint ist, also Werbung für Arzneimittel im Allgemeinen sowie die Gesamtheit von nicht identifizierten Medikamenten. Und, ob die nationale Vorschrift aus Lettland, die preisbezogene Werbung sowie Werbung für Sonderangebote und für kombinierte Verkäufe von Medikamenten und anderen Waren verbietet, mit der EU-Richtlinie vereinbar ist. In der besagten Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates geht es um einen Gemeinschaftskodex der Mitgliedstaaten für Humanarzneimittel.
Nun hat der EuGH Stellung bezogen und zeigt eine klare Haltung. Seiner Ansicht nach fallen unter den Begriff grundsätzlich alle Maßnahmen zur Information, zur Marktuntersuchung sowie zur Schaffung von Anreizen, sofern diese das Ziel haben, Verschreibung, Abgabe, Verkauf oder Verbrauch bestimmter oder unbestimmter Medikamente zu fördern. Außerdem hält er die lettische Regelung mit dem Unionsrecht vereinbar. Andersfalls wäre ja auch die EU-Richtlinie hinfällig, die schließlich vor Risiken schützen solle, die mit einer übermäßigen oder unvernünftigen Verwendung von Arzneimitteln verbunden seien könnten, argumentiert er.
Anlass für den lettischen Verfassungsgerichtshof, mit dem EuGH in Kontakt zu treten, war eine Verfassungsbeschwerde der Gesellschaft Europaptieka, die unter anderem die Geschäfte von Apothekenketten in Lettland führt. Die Gesundheitsaufsichtsbehörde hatte ihr 2016 auf Grundlage der nationalen Vorschrift verboten, Werbung im Zusammenhang mit einem Aktionsverkauf von Arzneimitteln zu verbreiten. Die Gesellschaft bezweifelte jedoch, dass angesichts der EU-Richtlinie die nationale Vorschrift überhaupt greifen kann.
Für den EuGH liegt der Fall klar auf der Hand: Solche Aktionsverkäufe, auf die die nationale Regel in Lettland abzielt, verfolgen Werbeziele. Daher fällt die Verbreitung solcher Informationen seiner Ansicht nach unter den Begriff »Werbung für Arzneimittel«. Und zwar auch dann, wenn sich die Informationen auf unbestimmte oder nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel beziehen. »Trotzdem müssen die Mitgliedstaaten, um Gefahren für die öffentliche Gesundheit zu verhindern, Werbeinhalte verbieten, die den unzweckmäßigen Einsatz solcher Arzneimittel fördern könnten«, heißt es in einer Pressmitteilung zu dem Urteil.
Deutlich stellten die Luxemburger Richter heraus, dass die Werbung für OTC-Präparate »einen besonders großen Einfluss auf die Prüfung und die Entscheidung des Endverbrauchers« ausüben kann. Und zwar sowohl was die Qualität des Arzneimittels betrifft als auch hinsichtlich der Kaufmenge. Außerdem eignen sich laut EuGH die preisbezogene Werbung sowie die Bewerbung von Sonderangeboten oder für kombinierte Verkäufe von Arzneimitteln und anderen Waren dazu, die Verbraucher über »ein wirtschaftliches Kriterium« zum Kauf oder zur Einnahme zu veranlassen. Die Gefahr dabei: Die Verbraucher prüfen dann meist vorab nicht mehr die therapeutischen Eigenschaften der Präparate oder den generellen medizinischen Bedarf. »Im Übrigen stellen solche Werbeinhalte Arzneimittel mit anderen Verbrauchswaren gleich, bei denen im Allgemeinen Preisnachlässe und -ermäßigungen gewährt werden.«
Insgesamt kommt der EuGH bei seiner Einschätzung zu dem Schluss, dass Aktionsverkäufe der »unzweckmäßigen und übermäßigen Verwendung« von OTC-Präparten Vorschub leisten. Im nächsten Schritt ist wieder das lettische Gericht am Zug. Mit dem neuen Wissen muss es nun in der eigenen Rechtssache selbst entscheiden. Aber: Das EuGH-Urteil bindet ab jetzt auch andere nationale Gerichte, die sich künftig mit einem ähnlichen Problem befassen.