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Tinnitus

Quälgeist im Ohr

Ohrgeräusche sind für Betroffene eine große Belastung und können mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen einhergehen. Es existiert keine symptombezogene Arzneimitteltherapie.
Nicole Schuster
02.12.2021  11:00 Uhr

Jeder Mensch hat einen Tinnitus, also Hörwahrnehmungen, die nicht durch Laute von außen bedingt sind. »Die meisten Menschen hören diese Phantomgeräusche aber nicht bewusst«, sagt Dr. Frank Matthias Rudolph, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Tinnitus-Liga, Wuppertal, im Gespräch mit der Pharmazeutischen Zeitung. »Isoliert man einen gesunden Probanden aber in einem schalldichten Raum, so wird er nach einer gewissen Zeit Geräusche wahrnehmen, die eigentlich gar nicht da sind.«

Zu einem Problem wird es, wenn die Ohrgeräusche dauerhaft in die Wahrnehmung rücken und zu einem quälenden und den Alltag erschwerenden Begleiter werden. Nach Angaben der Deutschen Tinnitus-Liga sind rund 10 Millionen Erwachsene in Deutschland zumindest zeitweise von einem Tinnitus-Leiden betroffen und bei etwa 3 Millionen ist die Störung chronisch geworden (1).

Von einem chronischen Tinnitus spricht man, wenn er länger als drei Monate andauert. Dazu gibt es die im September 2021 aktualisierte S3-Leitlinie »Chronischer Tinnitus« mit dazugehörender Leitlinie für Patienten (2, 3).

Symptom, keine Krankheit

Die Ursachen für einen Tinnitus (tinnire, lat. = klingeln) sind vielfältig. »Es handelt sich dabei nicht um ein eigenständiges Krankheitsbild. Ein Tinnitus ist vielmehr ein Symptom, die auslösende Krankheit ist in der Regel eine häufig auch noch unerkannte Schwerhörigkeit«, erklärt Rudolph, gleichermaßen Ärztlicher Direktor der Mittelrhein-Klinik in Boppard-Bad Salzig und Chefarzt der dortigen Psychosomatik-Abteilung.

Der eigentliche, subjektive Tinnitus ist dadurch charakterisiert, dass nur der Betroffene selbst ihn wahrnimmt, es existiert also keine externe oder körpereigene Schallquelle. Ursächlich liegt eine abnormale Aktivität im Innenohr und/oder im zentralen Nervensystem vor.

Davon zu unterscheiden ist der objektive Tinnitus. Bei dieser Form existiert eine körpereigene Schallquelle im Ohr oder in der Nähe des Ohres. Nicht nur der Tinnitus-Geplagte selbst hört das Geräusch, auch ein Außenstehender kann es mit Hilfsmitteln wie einem Stethoskop wahrnehmen. Diese »Bodysounds« oder Körpergeräusche sind jedoch sehr selten und treten nur bei einem von hundert Tinnitus-Fällen auf.

Gefäßbedingte Ursachen für das Körpereigengeräusch kommen ebenso als Auslöser infrage wie muskuläre Phänomene, zu denen unter anderem Spasmen der Mittelohrmuskeln oder atembedingte Ursachen gehören (1, 3). »Der objektive Tinnitus ist heilbar, wenn ihm eine Gefäßanomalie oder ähnliches zu Grunde liegt, was ursächlich, also zum Beispiel operativ behoben werden kann«, sagt der Mediziner.

Um den Schweregrad des Tinnitus auszudrücken, werden die Begriffe »Kompensation« und »Dekompensation« verwandt (Tabelle). Rudolph erklärt: »Beim kompensierten Tinnitus kommen die Betroffenen mit den Geräuschen im Ohr zurecht, beim dekompensierten nicht.«

Bei Menschen mit einem dekompensierten Tinnitus besteht ein entsprechend hoher Leidensdruck. Ihr Ohrgeräusch wirkt sich massiv auf sämtliche Lebensbereiche aus und führt zur Entwicklung oder Verstärkung von Komorbiditäten wie Angststörungen, Depressionen oder Schlafstörungen (3). Umgekehrt können präexistente psychische und/oder psychosomatische Komorbiditäten einen Tinnitus auslösen.

Schweregrad Auswirkungen
Grad 1 Tinnitus ist gut kompensiert, kein Leidensdruck.
Grad 2 Tinnitus tritt hauptsächlich in Stille in Erscheinung und wirkt störend bei Stress und Belastungen.
Grad 3 Tinnitus führt zu einer dauernden Beeinträchtigung im privaten und beruflichen Bereich. Es treten emotionale, kognitive und körperliche Störungen auf.
Grad 4 Tinnitus führt zur völligen Dekompensation im privaten Bereich und zur Berufsunfähigkeit.
Tabelle: Tinnitus-Schweregrade (3)

Hörstörung durch Lärm

In den meisten Fällen geht einem Tinnitus eine akustische Einschränkung im Hörsystem voraus. Initiieren gesunde Probanden eine solche, indem sie Ohrstöpsel tragen, können sie vorübergehend Phantomtöne hören. Entfernen sie die Ohrstöpsel wieder, verschwindet auch wieder der künstlich erzeugte Tinnitus (4).

Bei älteren Menschen ist meistens eine Altersschwerhörigkeit der Grund dafür, dass ein Tinnitus entsteht. Weitere Tinnitusauslöser im Ohrbereich sind veränderte Druckverhältnisse im Ohr, zum Beispiel beim Fliegen oder Tauchen.

Morbus Menière ist eine Erkrankung des Innenohrs, die mit Schwindelattacken, Schwerhörigkeit, Ohrensausen und auch Ohrgeräuschen einhergeht (Kasten). Eine sehr seltene Ursache für einen Tinnitus ist das Akustikusneurinom, ein gutartiger Tumor am Hörnerv, der außer Phantomtönen am betroffenen Ohr auch einen wiederholten Hörverlust auslösen kann.

Eine Hörminderung mit Tinnitus kann sich auch aus einem Lärmschaden entwickeln. Diesen riskieren häufig jüngere Menschen, die sich ständig schallender Musik über Kopfhörer aussetzen oder wiederholt Diskotheken oder laute Konzerte besuchen. In den Sinneszellen des Hörorgans führt die Lärmbelastung zu Stoffwechselstörungen, die deren Funktion beeinträchtigen. In der Folge lösen sie auch ohne Geräuschquelle Signale aus.

Nach der Beschallung nehmen einige Menschen noch ein Ohrenklingeln wahr. Innerhalb von 24 Stunden bildet sich das in der Regel zurück, bei ständiger Lärmbelastung können sich allerdings bleibende Schäden wie eine Hörminderung oder ein Tinnitus einstellen.

Auch Ohrenschmalzblockaden können nicht nur das Hörvermögen vermindern, sondern zudem von einem Tinnitus begleitet sein. Entfernt ein Arzt den Pfropf fachgerecht, verschwindet meist auch wieder das Pfeifen und Rauschen im Ohr. Weitere mögliche Auslöser für einen Tinnitus sind Schäden am Mittelohr sowie Funktionsstörungen der Halswirbelsäule oder des Kiefergelenks.

Nicht zuletzt kann ein Tinnitus auch infolge eines Hörsturzes auftreten, bei dem Betroffene schlagartig, meist einseitig nichts mehr hören. Als Ursache werden Durchblutungsstörungen vermutet. Oft gehen einem Hörsturz Vorboten wie Hörschwankungen und Halleffekte voraus. Schwindel, Ohrgeräusche sowie Druck- und Völlegefühl im betroffenen Ohr können begleitend auftreten.

Bei der idiopathischen Form ist die Ätiologie unklar. Der sekundäre Hörsturz lässt sich hingegen auf einen konkreten Auslöser wie ein Knalltrauma, Stoffwechselstörungen, psychogene Ursachen, Gefäßprozesse, Intoxikationen oder auch Autoimmunprozesse zurückführen. Bei den meisten Patienten bildet sich der akute Hörsturz von allein zurück (5, 6).

Teufelskreis durch Stress

Eine wechselseitige Beziehung hat Tinnitus mit Stress. Bei Stress schüttet der Körper verstärkt Cortisol aus, das wiederum im Ohr die Freisetzung von Glutamat in den Nervenzellen bewirkt. In der Folge wird auch vermehrt Calcium frei gesetzt, was die Hörsinneszellen übermäßig erregt und im Gehirn zu einer Hyperaktivität führt.

Rudolph betont, dass die Zentren für das Hören im menschlichen Körper sehr eng mit denen für Aufmerksamkeit, Gefühle und Stress verbunden sind. »Wir hören ursprünglich, um den Feind in Form eines Säbelzahntigers oder der Horde vom Nachbarstamm zu hören. Hören diente also einmal dem Überleben. Es aktiviert den Stress und umgekehrt.«

Er erklärt weiter, dass sich in der Hörbahn verschiedene Stationen befinden, die Informationen entweder herausfiltern oder verstärken können. »Unter Stress leidet vor allem die Filterfunktion. Viele stressgeplagte Tinnitus-Patienten befinden sich dadurch in einem Teufelskreis. Die Schwerhörigkeit erzeugt Hörstress und Tinnitus, die Tinnitus-Bewältigung erzeugt dann selbst wieder Stress und dieser verschlimmert den Tinnitus.«

Beim akuten Tinnitus stehen die Chancen für eine spontane Remission gut. Dennoch ist es ratsam, dass Patienten bei erstmals auftretenden Ohrgeräuschen zügig einen Hals-Nasen-Ohrenarzt aufsuchen. Dieser kann eine systemische hochdosierte Cortisontherapie, etwa als Kurzinfusion, in Tablettenform oder intratympanal, also direkt durch das Trommelfell ins Mittelohr injiziert, einleiten (7).

Ist der Tinnitus hingegen chronisch geworden, gibt es, wie es in der Patientenleitlinie steht, »den Schalter, der ein Ohrgeräusch komplett wieder abschalten kann, nicht« (2). Eine weitere schlechte Nachricht: »Es gibt auch definitiv keine Medikamente gegen den chronischen Tinnitus«, sagt der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Tinnitus-Liga.

Sogenannte »Durchblutungsförderer« wie Ginkgo-biloba-Extrakte seien keine sinnvolle Therapie: »Tinnitus im chronischen Stadium ist keine Durchblutungsstörung.« Entsprechend, so auch die Autoren der Leitlinie, liefern die vorliegenden Übersichtsarbeiten zu pflanzlichen Präparaten mit Ginkgo entweder kein eindeutiges Ergebnis oder kommen zu dem Schluss, dass die Mittel keinen Nutzen gegenüber Placebo haben.

Studien, die eine Evidenz zeigen, wurden mit dem Ginkgo-Spezialextrakt EGb 761 durchgeführt, die Leitlinienautoren sehen die Ergebnisse allerdings durch ein Bias verzerrt (3, 8–12). Zu beachten sei, dass sich Evidenz nach einigen im Rahmen einer Metaanalyse 2018 überprüften Untersuchungen insbesondere bei speziellen Patientengruppen, zum Beispiel bei Menschen unter anderem mit Tinnitus und Schwindel im Zusammenhang mit Demenz, zeige.

Ebenso wenig sehen die Experten ausreichende Wirksamkeitsbelege für Betahistin, Benzodiazepine, Zink, Melatonin, Oxytocin, Steroide oder Gabapentin. Zu Betahistin ergab eine Cochrane-Meta-Analyse, dass bei chronischem Tinnitus keine Wirksamkeit vorliegt (14). Auch für die Gabe von Benzodiazepinen finden die Autoren einer systematischen Übersichtsarbeit bei subjektivem Tinnitus keine belastbare Evidenzgrundlage. Zu bedenken sind zudem die erheblichen Nebenwirkungen der Substanzen, die Gefahr der Abhängigkeitsentwicklung und die strenge Indikationsstellung (3, 15).

Wird bei Tinnitus auch die intratympanale Steroidtherapie diskutiert, so attestieren die Leitlinienautoren dieser Therapie aber allenfalls eine geringe Wirkung bei chronischem Tinnitus. Effektiver sei die Anwendung, wenn gleichzeitig ein akuter Hörverlust auftritt (3, 16–18). Zu beachten ist ferner, dass die intratympanale Steroidtherapie nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen gehört.

Auch zur Beeinflussung der Neurotransmission wird der Einsatz von Medikamenten erwogen. Für Gabapentin allein konnte nur ein sehr geringer Effekt festgestellt werden, stärker wirkte es in einer Studie in Kombination mit in den Gehörgang injiziertem Lidocain (19). Bei Glutamat-Antagonisten wie Memantin oder noch nicht zugelassenen Wirkstoffen wie Neramexan blieben Erfolge bislang aus (3).

Hörhilfen punkten doppelt

Einen gewissen Stellenwert haben Arzneimittel beim Tinnitus leitliniengemäß dann aber doch: Zur Behandlung von häufigen Komorbiditäten wie Angststörungen und Depressionen, so die Autoren, können Psychopharmaka wie Antidepressiva durchaus indiziert sein und einen wichtigen Therapiebaustein darstellen (3).

Auch bei einer ausgeprägten Schlafstörung kann eine Pharmakotherapie überbrückend hilfreich sein. Rudolph rät hier zu Phytopharmaka, die beispielsweise Baldrian und/oder Hopfen enthalten. Auch für Melatonin gibt es Hinweise, dass es insbesondere bei einer gleichzeitig bestehenden Schlafstörung hilfreich sein könnte (3, 20–21).

Ansonsten lasse sich auch für verschiedene Nahrungsergänzungsmittel (NEM) kein Nutzen belegen. So stellten die Leitlinienautoren nach Prüfung der Studienlage fest, dass sowohl für zahlreiche Vitamine und Mineralien als auch für Lipoflavonoide, Knoblauch, homöopathische Präparate oder Produkte der traditionellen chinesisch-koreanischen Kräutermedizin beziehungsweise Honigbienenlarven kein Wirksamkeitsnachweis bei Tinnitus vorliegt (3).

Fest stehe jedoch, dass bei einer Hörschädigung eine adäquate Hörhilfe Erleichterung verschaffen kann. Betroffene nehmen den Tinnitus dann weniger stark wahr, da sie wieder mehr überdeckende Außengeräusche hören.

Von einer Rausch-CD oder einem Rauschgenerator, oft in Kombination mit einem Hörgerät, sei indes eher abzuraten. Laut Leitlinie bringt dieser zusätzlich zum Hörgerät keinen Vorteil und bei Normalhörigkeit ist ein alleiniger Effekt der »Noiser« nicht belegt. Außerdem sind Langzeitfolgen unbekannt. Mögliche Schädigungen der Hörbahn durch eine konstante Schallstimulation können nicht ausgeschlossen werden.

Ein Cochlea-Implantat (CI) kann bei hochgradig schwerhörigen und (einseitig) ertaubten Menschen mit Tinnitus eine Hörverbesserung erzielen und somit die Ohrgeräusche verringern. Auch eine Audiotherapie, bei der Patienten Fähigkeiten der zentralen Hörverarbeitung wie Richtungshören, Fokussierung und Differenzierung im Störlärm mit und ohne Hörgeräte und speziell ein Überhören des Tinnitus üben, kann versucht werden (3).

Phantomtöne akzeptieren

In erster Linie setzen die Leitlinienautoren aber auf Information und Beratung. Durch das »Counselling« (engl.; dt. = Beratung) sollen Betroffene über Umgangsstrategien mit ihrem Tinnitus aufgeklärt werden und lernen, die Aufmerksamkeit von den Ohrgeräuschen wegzulenken. Ziel ist es, dass sie sich den Phantomtönen weniger ausgeliefert fühlen und deren Anwesenheit akzeptieren.

Mittel der Wahl dafür sei die kognitive Verhaltenstherapie. »Die Leitlinie hebt auch die Bedeutung von Selbsthilfegruppen noch einmal hervor und empfiehlt Patienten, sich einer anzuschließen«, sagt Rudolph. Wenn der subjektive chronische Tinnitus erhebliche Auswirkungen auf den Beruf hat, komme eine medizinische Reha in einer auf Tinnitus spezialisierten Klinik in Betracht. Rudolph: »Die Deutsche Tinnitus-Liga berät ihre Mitglieder hier sehr umfangreich, hält viele Broschüren zu unterschiedlichen Themengebieten und einen Klinikwegweiser sowie eine Liste von Selbsthilfegruppen vor.«

Für andere Therapien wie die Tinnitus-Retraining-Therapie, musiktherapeutische Ansätze oder Sound-Therapien ist laut Leitlinie kaum beziehungsweise kein Nutzen belegt. Die Wirksamkeit von diverese Hirnregionen anregenden Verfahren wie die der transkraniellen Magnetstimulation des auditorischen Kortex sei fraglich (3), auch für Akupunktur fehle eine Evidenz.

Bei der Hyperbaren Sauerstofftherapie (HBO) atmen Patienten reinen Sauerstoff in einer speziellen Therapie-Kammer ein, in der sie einem relativen Überdruck ausgesetzt sind. Das soll den Sauerstoffgehalt des Blutes verbessern und so einen vermeintlichen Sauerstoffmangel im Innenohr ausgleichen. Der Experte sagt dazu: »Es finden sich Einzelfälle, in denen die HBO geholfen hat, aber es finden sich auch Berichte, in denen die HBO einen Tinnitus ausgelöst hat, wenn Patienten aus anderen Gründen in die Überdruckkammer gegangen sind.«

Cave Ototoxizität

Wichtig für die Beratung in der Apotheke ist, dass auch ototoxische Arzneimittel einen Tinnitus auslösen können. Bekannt ist die gehörschädigende Wirkung von einigen Antibiotika, vor allem von Aminoglykosiden wie Gentamicin oder Neomycin, Makrolid-Antibiotika wie Azithromycin, Clarithromycin, Erythromycin oder Roxithromycin, Tetracyclinen wie Tetracyclin oder Doxycyclin sowie dem Glykopeptid-Antibiotikum Vancomycin.

Bei Aminoglykosiden können als sehr seltene Nebenwirkungen vestibuläre Störungen, eine Minderung des Hörvermögens, die Meniére-Krankheit oder Tinnitus auftreten. Unbekannt ist die Häufigkeit eines irreversiblen Hörverlusts und irreversibler Taubheit. Um Risiken zu mindern, soll die Dosierung streng nach Kreatinin-Clearance beziehungsweise Serumkreatinin-Konzentration erfolgen. Der Arzt sollte bei Patienten mit zusätzlichen Risikofaktoren regelmäßig die Hör-, Gleichgewichts- und Nierenfunktion kontrollieren.

Bei Makrolid-Antibiotika erfahren Patienten gelegentlich Schwindel, Schwerhörigkeit, Tinnitus und Hörverluste, die nach Absetzen des Arzneimittels meist reversibel sind. Primär treten diese Nebenwirkungen bei Beeinträchtigungen der Nieren- und/oder Leberfunktion sowie bei Gabe hoher Dosen auf. Bei Tetracyclinen wird gelegentlich als seltene unerwünschte Wirkung Schwindel und selten ein Tinnitus berichtet.

Bei Vancomycin können Patienten gelegentlich eine vorübergehende oder bleibende Verschlechterung des Hörvermögens erleiden. Selten treten Schwindel, Tinnitus und Benommenheit bei hohen Dosen oder der gleichzeitigen Einnahme weiterer ototoxischer Arzneimittel sowie bei eingeschränkter Nierenfunktion oder bereits beeinträchtigtem Hörvermögen auf. Tinnitus, der möglicherweise einer Taubheit vorangeht, sollte zum Therapieabbruch führen.

Furosemid kann gelegentlich meist reversible Hörstörungen besonders bei Patienten mit Niereninsuffizienz oder Hypoproteinämie oder bei zu schneller intravenöser Injektion auslösen. Bei gleichzeitiger Gabe mit anderen ototoxischen Arzneimitteln kann sich die Ototoxizität verstärken und auftretende Hörstörungen können sich als irreversibel erweisen. Unter Therapie mit Torasemid wird sehr selten über Tinnitus und Hörverlust berichtet.

Das Cinchona-Alkaloid Chinin kann als Nebenwirkung zu Tinnitus oder Hörstörungen führen, das Medikament ist dann sofort abzusetzen. Auch Patienten, die mit Platin-haltigen Zytostatika wie Cisplatin behandelt werden, können einen Tinnitus und/oder Hörverlust im hohen Frequenzbereich (4000 bis 8000 Hz) ein- oder beidseitig entwickeln. Kinder sind besonders gefährdet.

Generell gilt bei Anwendung von ototoxischen Substanzen, dass eine gleichzeitige Gabe anderer potenziell oto- und/oder nephrotoxischer Substanzen zu meiden ist. Falls wirksame Alternativen verfügbar sind, sollten zudem insbesondere ältere und/oder bereits schwerhörige Patienten nicht mit ototoxischen Medikamenten behandelt werden. Während einer Schwangerschaft sollten gerade ototoxische Antibiotika vermieden werden, da sie das fetale Labyrinth schädigen können.

In der Praxis lässt es sich aber nicht immer umgehen, ein potentiell ototoxisches Arzneimittel einzusetzen. Für diesen Fall rät Rudolph: »Ototoxische Mittel sollten in der niedrigsten Wirk- beziehungsweise Effektivdosis verabreicht und der Wirkspiegel sollte engmaschig kontrolliert werden, besonders bei Aminoglykosiden.« Hier seien sowohl Höchststand als auch Talspiegel zu monitorieren.

»Vor einer Behandlung mit ototoxischen Mitteln sollten Ärzte nach Möglichkeit das Hörvermögen messen und es auch unter der Therapie weiterhin regelmäßig überwachen«, rät der Mediziner weiter. Das Risiko für ototoxische Wirkungen ist zudem bei Patienten erhöht, deren Nierenfunktion beeinträchtigt ist.

Nicht zu vernachlässigen sei in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung ototoxischer OTC-Arzneimittel. »Besondere Vorsicht ist bei der Gabe von Acetylsalicylsäure geboten«, warnt Rudolph. »Es sollte auf keinen Fall in höheren Dosen eingenommen werden, schon gar nicht, wenn bereits ein Tinnitus vorhanden ist.« Es kann sonst bei Überdosierung teils irreparable Hörschäden und (zusätzliche) Ohrgeräusche auslösen.

Es ist ein Schritt zur Vorbeugung von Ohrgeräuschen, ototoxische Arzneimittel so wenig wie möglich anzuwenden. Das Apothekenteam kann darüber hinaus raten, die Ohren, so gut es geht, vor Lärm zu schützen. Wer Lärmquellen etwa am Arbeitsplatz nicht meiden kann, ist mit Ohrstöpseln oder speziellen Kopfhörern gut beraten. Auch ein effektives Stressmanagement ist wichtig. Zum Ausgleich eines anstrengenden Alltags empfehlen sich Entspannungsverfahren oder sportliche Aktivitäten.

Keine Korrelation mit Corona

Einen Tinnitus als Folge einer Covid-19-Infektion müssen Patienten bisherigen Erkenntnissen zufolge nicht befürchten. Es gibt zwar entsprechende Beobachtungen im Einzelfall, aber noch fehlen eindeutige Belege dafür, dass die Infektion tatsächlich Phantomgeräusche auslösen kann.

Die Deutsche Tinnitus-Liga schreibt dazu in einer Stellungnahme: »Hingegen sind der allgemeine Stress und die Belastung, die durch die Pandemie entstanden ist, sicherlich dazu geeignet, Tinnitus hervorzurufen oder eben zu verstärken« (22).

Stichwort »Covid-19-Impfstoffe«: Auch hier kann eine definitive Korrelation zwischen einer Impfung und neu aufgetretenen oder verschlechterten otologischen Symptomen derzeit nicht bestätigt werden. Rudolph fasst entsprechend zusammen: »Weder der Zusammenhang zwischen der Corona-Impfung und Tinnitus noch zwischen Long-Covid und Tinnitus ist belegt. Aufgrund der hohen Zahlen sowohl von Tinnitus als auch von Corona-Infektionen beziehungsweise -Impfungen gibt es aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass auch beides zusammen auftritt.« Bei Patienten mit Long-Covid und einem chronischen Tinnitus sei dann der Leidensdruck besonders hoch.

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