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Arzneimittel

Produktion zurück nach Europa holen

Mit dem Zusammenbruch von Lieferketten weltweit werden die Forderungen einer Arzneimittelproduktion vom Wirkstoff bis zum fertigen Medikament lauter. Doch so einfach geht es nicht.
Daniela Hüttemann
16.03.2020  15:56 Uhr

»Die Chinesen brauchen gar keine Atombombe. Sie liefern einfach keine Antibiotika […], dann erledigt sich Europa von ganz allein« – dieses Statement gab die Pharmazieprofessorin Dr. Ulrike Holzgrabe von der Uni Würzburg vergangene Woche dem ZDF-Magazin »Zoom«. Das Magazin berichtete unter dem Titel »Mangelware Medizin?« über die Lieferabhängigkeiten im weltweiten Pharmamarkt. Manche Wissenschaftler, Politiker und Marktbeobachter fürchten, dass sich das Problem durch die Coronavirus-Pandemie noch drastisch verschlechtern könnte. Denn viele wichtige Wirkstoffe werden vornehmlich in China und Indien, aber auch Italien gefertigt. Der allgemeine Ruf, wieder vermehrt in Europa zu produzieren, wie er vergangene Woche auch im EU-Parlament laut wurde, reicht in der jetzigen Situation also nicht aus. Vielmehr braucht es wieder mehr Medikamente »Made in Germany«.

»Wir sollten als Europäische Union nicht in diesem Umfang wirtschaftlich und in unseren Lieferketten abhängig sein von China«, sagte auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am Rande eines EU-Krisengipfels zum Coronavirus. »Das spüren wir ja schon länger, nicht nur wenn es um Arzneimittel geht, aber auch bei Schutzmasken.« Dies sei aber keine Sache, die in zwei Wochen zu lösen sei. Auch Spahn wünscht sich wieder eine vermehrte Arzneimittel- und Wirkstoffproduktion in Europa, dies könne jedoch Jahre dauern und brauche wirtschaftliche Anreize. »Wir werden dann wieder mehr bezahlen müssen«, und zwar nicht nur Centbeträge. Holzgrabe schätzt, dass die Rückholung der Produktion mindestens zehn Jahre dauern werde.

Vor Kurzem veröffentlichte auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) ein Hintergrundpapier mit dem Titel »Arzneimittelproduktion im Lichte der Lieferengpässe«. Es solle verständlich machen, dass die Herstellung von Arzneimitteln ein komplexer Vorgang ist, der Teil der globalisierten Wirtschaft sei. »Grundsätzlich zeigt sich durch die Corona-Krise noch einmal verschärft, dass die Verlagerung von Produktion nach Asien die Lieferketten anfälliger macht«, sagte der BPI-Hauptgeschäftsführer Dr. Kai Joachimsen. »Damit Engpässe nicht zu Versorgungsproblemen führen, wäre eine Sicherung der europäischen Produktionsstätten und eine Rückverlagerung von Produktionsstufen nach Europa und Deutschland wünschenswert.«

Während Biologika und Impfstoffe größtenteils noch in Europa produziert werden, sind es vor allem die niedermolekularen generischen Wirkstoffe, die aus Asien kommen, sei es als Ausgangsstoff für die Fertigung oder als Fertigarzneimittel. Nach Angaben von ZDF Zoom kommen 80 Prozent der Wirkstoffe aus Asien, vor allem aus China, und werden zum Teil in Indien weiterverarbeitet.

Es gibt auch Preise, die ich nicht mehr verstehe. Was kann an Qualität bei Paracetamol sein, wenn ich 20 Tabletten für einen Euro bekommen kann?
Professor Dr. Ulrike Holzgrabe

»Solange Generikapreise von rund sechs Cent für eine Tagesdosis möglich sind, werden Anbieter aus dem Markt aussteigen«, warnt BPI-Chef Joachimsen. »Und wenn es immer weniger Anbieter gibt, können diese im Fall von Lieferengpässen die fehlenden Kapazitäten nicht ausgleichen.« Der BPI sieht die »teils ruinösen Rabattverträge« als mitverantwortlich an und fordert, diese neu zu gestalten.

Auch in der ZDF-Zoom-Reportage nennen alle Beteiligten am Arzneimittelmarkt, von Apotheker und Arzt über Großhändler bis zum Hersteller, die Rabattverträge als Problem. Einzig der GKV-Spitzenverband bestreitet dies.

Was muss sich ändern?

Erstens schlägt der BPI ein Punktesystem für die Teilschritte der Produktion vor. Finden diese in Deutschland oder Europa statt, solle dies bei der Vergabe honoriert werden. Zweitens sollten Wirkstoffe/Arzneimittel, die in den letzten zwei Jahren mehrfach ein Versorgungsdefizit aufgewiesen haben, für die Dauer von zwei bis drei Jahren nicht mehr ausgeschrieben werden. Drittens sollen die Krankenkassen nur das Mehrbietermodell anwenden, bei dem mindestens einer von insgesamt drei Zuschlägen an ein Unternehmen mit deutscher oder EU-Produktion gehen soll.

»Mit einer Produktion in Deutschland beziehungsweise Europa lässt sich die Wahrscheinlichkeit einer zuverlässigen, verbesserten, kontinuierlichen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln erhöhen«, schreibt der BPI. »Die Fertigproduktherstellung ist ohne größere Probleme wieder verstärkt realisierbar in Europa, die grundlegenden Strukturen sind vorhanden, politisch könnte man das durch verstärkte Förderungen unterstützen.« SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach meint in der ZDF-Zoom-Reportage, dass solche staatlichen Eingriffe, Produzenten in Deutschland und Europa zu bevorzugen, mittlerweile zu rechtfertigen wären.

Das Arzneimittel ist keine Ware wie ein Auto, wie ein Fahrrad, wie ein Mixer […], da geht es um unsere Gesundheit. Man hätte aus dem Arzneimittel keine gewöhnliche Ware machen dürfen.
Professor Dr. Ulrike Holzgrabe

Bei der Wirkstoffherstellung hätten Deutschland und Europa durch deren Abwanderung in andere Teile der Welt jedoch bereits sehr viel verloren. Das Zurückholen der Wirkstoffproduktion sei nur bedingt realisierbar, da große Investitionenen notwendig würden, die gefördert werden müssten. Die Antibiotika-Expertin Holzgrabe schätzt in der ZDF-Reportage, dass der Wiederaufbau entsprechender Kapazitäten mindestens zehn Jahre dauern würde.

Der BPI verweist zudem auf höhere Herstellungskosten und höheren regulatorischen Aufwand. Die Krankenkassen müssten bereit sein, für die Lieferfähigkeit und Patientenversorgung entsprechende Mehrkosten in Kauf zu nehmen. Es ist die Frage, was uns als Gesellschaft teurer zu stehen kommt – angemessene Preise für Medikamente oder die Abhängigkeit von anderen Ländern.

Laut GKV-Spitzenverband helfen Rabattverträge den Firmen bei der Planung. Die Krankenkassen fordern, Lieferausfälle bei Rabattpartner zu sanktionieren. Von diesem Geld müssten Apotheker für ihren Mehraufwand in der Beratung finanziert werden. Am wichtigsten sei, eine Meldepflicht bei drohenden Lieferengpässen. Derzeit sind solche Meldungen seitens der Pharmaindustrie an das BfArM immer noch freiwillig, was die Diskrepanz zwischen der Lieferengpass-Datenbank der Behörde und dem Alltag in der Apotheke erklärt.

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