Politik
Daß die Bündnisgrünen eine diskutierfreudige politische Vereinigung sind,
ist hinlänglich bekannt. Bestes Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit: Die
Debatte um Bundeswehreinsätze im Ausland. Nach außen weniger deutlich sind
jedoch bislang Meinungsverschiedenheiten über den künftigen
gesundheitspolitischen Kurs geworden.
"Wir brauchen keine dysfunktionalen Quasselbuden im Gesundheitswesen", sagt die
bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Marina Steindor im Gespräch mit der PZ. Mit
den Quasselbuden meint sie nicht etwa die Selbstverwaltungsorgane der
Krankenkassen oder der niedergelassenen Mediziner. Die Ärztin aus Marburg spielt
vielmehr auf die von ihrer Parteifreundin und Fraktionskollegin Monika Knoche
favorisierten regionalen Gesundheitsräte an.
Nach den Vorstellungen Knoches sollen die Räte den ambulanten und stationären
Sicherstellungsauftrag erhalten sowie Etatverantwortung bekommen. Neben
Kommunal- und Landespolitikern sollen in diesen Gremien unter anderem auch
Patientengruppen vertreten sein. Marina Steindor lehnt Gesundheitsräte gleich aus
mehreren Gründen ab:
- Nach all den Gesundheitsreformen der vergangenen Jahre müsse das gesamte
System zunächst einmal zur Ruhe kommen. Räte aber stellten eine fundamentale
Veränderung dar.
- Schon jetzt übe die Politik massiven Einfluß auf das Gesundheitswesen aus.
Selbst an einfachen kommunalen Krankenhäusern würden Chefarztposten nach
Parteibuch vergeben. Sollten Landes- und Kommunalpolitiker in den Räten
vertreten sein, werde der sachfremde parteipolitische Einfluß auf das
Gesundheitswesen weiter zunehmen.
- Unklar sei zudem, wie die Patientenvertreter in den Räten legitimiert werden
sollten.
Statt regionale Gesundheitsräte einzuführen, die ohnehin zunächst in einer Modellregion
auf ihre praktische Funktionsfähigkeit zu überprüfen seien, plädiert Marina Steindor für
Reformen im System. Darunter versteht sie unter anderem eine andere
Zusammensetzung der Krankenkassen-Verwaltungsräte. Durch Änderungen der
Sozialwahl-Vorschriften müsse die Politik dafür Sorge tragen, daß auch Repräsentanten
von Selbsthilfegruppen in die Selbstverwaltungsorgane Einzug hielten. Der Blickwinkel
eines kranken Menschen sei nun einmal ganz anders als der eines gesunden
Versicherten.
Darüber hinaus fordert Marina Steindor den Abbau von Management-Defiziten in den
Krankenhäusern sowie eine grundlegende Reform des vertragsärztlichen
Vergütungssystems, das sich weitaus stärker als bisher an medizinischen Leitlinien und
nachweisbaren Behandlungserfolgen orientieren müsse. Erste Ansätze für eine stärker
erfolgsabbängige Honorierung zeige ein von ihr initiiertes Gutachten der Medizinischen
Hochschule Hannover auf.
PZ-Artikel von Hans-Bernhard Henkel, Bonn


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