Politik
Rot-grünen Plänen für eine Erhöhung der Versicherungspflicht- und
Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
will der Verband der privaten Krankenversicherung (PKV) von vorneherein
den politischen Wind aus den Segeln nehmen. Nach Informationen der
Pharmazeutischen Zeitung hat der PKV-Verband bei einem namhaften Juristen
ein Gutachten in Auftrag gegeben, in dem die Frage nach der
Verfassungsmäßigkeit insbesondere einer deutlich erhöhten
Versicherungspflichtgrenze geklärt werden soll.
Gesundheits- und Sozialpolitiker von SPD und Bündnis 90/Die Grünen hatten in den
vergangenen Monaten mehrfach deutlich gemacht, daß sie bei einer Übernahme der
Regierungsverantwortung in Bonn die Versicherungspflicht- und die
Beitragsbemessungsgrenze in der GKV auf das Niveau in der gesetzlichen
Rentenversicherung anheben würden. Anders sei das Einnahmeproblem der
Krankenkassen nicht zu lösen. Mit anderen Worten: Nicht mehr nur ein Einkommen
von 6.150 DM monatlich wäre versicherungspflichtig, sondern von 8.200 DM
(Westdeutschland) - ein Sprung von mehr als 2.000 DM.
Gutachten soll Klarheit schaffen
Ein knappes Jahr vor der nächsten Bundestagswahl beginnt der PKV-Verband nun
offenkundig, politisch und juristisch Front gegen eine Erhöhung der Friedensgrenze
zwischen PKV und GKV zu machen. So könnte die in Auftrag gegebene Expertise zur
Verfassungsmäßigkeit hilfreich bei einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht und
auf europäischer Ebene sein. Notfalls wollen private Krankenversicherer sogar bis vor
den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg ziehen, machte PKV-Verbandsdirektor
Christoph Uleer bei einer Europatagung der privaten Krankenversicherung in Brüssel
deutlich.
Ein Argument für den Gang nach Karlsruhe beziehungsweise Luxemburg: Das im
Grundgesetz und im europäischen Recht verankerte Subsidiaritätsprinzip sei verletzt,
wenn die Versicherungspflichtgrenze auf einen Schlag um gut 2.000 DM monatlich
angehoben würde, meint Uleer. Schon jetzt lasse sich bezweifeln, ob tatsächlich 75
Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung als sozial schutzbedürftig einzustufen seien,
nur weil sie unterhalb der derzeit gültigen Versicherungspflichtgrenze verdienten.
Schließlich liege die Friedensgrenze in den Niederlanden um gut 20 Prozent niedriger als
in Deutschland.
Ob solche und weitere Argumente vor Gericht greifen würden, bleibt abzuwarten. Im
Kern dürften rot-grüne Pläne für eine erhöhte Pflicht- und Bemessungsgrenze
Erinnerungen bei PKV-Vertretern an die frühen 70er Jahre wecken, als die privaten
Krankenversicherer durch Eingriffe des Gesetzgebers mehrere hunderttausend
Vollversicherte an die GKV verloren hatten und deshalb teilweise fusionieren mußten.
Doch wie könnte die PKV noch stärker als bislang im System der sozialen Sicherung
verankert werden?
Perspektiven für die PKV
Uleer nannte in Brüssel einige "Zukunftsperspektiven bei normaler Entwicklung":
- Die PKV bietet ihren Versicherten verstärkt preiswerten Standardschutz an.
- Den privaten Krankenversicherern wird erlaubt, mit Ärzten Verträge über eine
Begrenzung des Honoraranspruchs zu schließen, etwa für Rentner in der PKV
oder arbeitslose Privatversicherte.
- Ausbau von "Netzlösungen" wie dem Standardtarif: Damit ist offenkundig eine
verstärkte Kooperation der privaten Krankenversicherer untereinander gemeint,
um spezielle Angebote für günstige Tarife machen zu können.
Uleer strebt darüber hinaus eine intensivere Zusammenarbeit mit der GKV an. Dazu
gehören für ihn gemeinsame Versicherteninformationen über private Zusatzpolicen wie
bereits in diesem Jahr bei den Zahnzusatzversicherungen für Kinder geschehen: Listen
mit PKV-Unternehmen, die Zusatzversicherungen anbieten, sind in den Geschäftsstellen
der gesetzlichen Krankenkassen zu bekommen.
PZ-Artikel von Hans-Bernhard Henkel, Bonn


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