Wir setzen auf gemeinsame Verträge |
19.08.2002 00:00 Uhr |
von Hartmut Morck und Daniel Rücker, Wuppertal
Im Juli fiel der Startschuss zu Disease-Management-Programmen (DMPs). Doch zu Euphorie besteht kein Anlass. Die Verhandlungen zwischen Ärzten und Krankenkassen laufen zäh. Konzepte zur Einbindung von Apothekern sind rar. Trotzdem geben die Krankenkassen DMPs eine gute Chance. Die PZ sprach mit Klaus H. Richter, Vorstandmitglied der Barmer Ersatzkasse über die Erfolgsaussichten der Programme und die Optionen der Apotheker.
PZ: Disease-Management-Programme (DMPs) bauen auf der wenig erfolgreichen Integrierten Versorgung auf. Neu ist die Koppelung an den Risikostrukturausgleich (RSA). Was halten Sie von diesem Konzept?
Richter: Für eine Urteil muss man die Ausgangslage beachten. Durch die Öffnung in der GKV hatten erhebliche Wanderungsbewegungen von den großen Krankenkassen hin zu den Betriebskrankenkassen stattgefunden. Junge, gesunde Versicherte sind eher geneigt, die Kasse zu Wechseln. Der chronisch Kranke bleibt bei den großen Versorger-Kassen. Das führt zu erheblichen Verwerfungen.
Aus meiner Sicht ist es richtig, DMP und RSA zu kombinieren, denn ohne finanzielle Basisbildung können die Krankenkassen keine DMPs auflegen. Schon heute könnte jede Kasse DMPs anbieten. Aber niemand tut dies, weil er damit einen überproportionalen Zustrom von Kranken auslösen würde, ohne einen adäquaten finanziellen Ausgleich zu erhalten. Ich glaube, dass bei einer Entkoppelung von RSA und DMP die Programme keine große Karriere vor sich haben, der Zusammenhang ist unauflösbar.
PZ: Sollten die Kassen dann nicht sogar mehr Geld aus dem RSA erhalten, als sie für den einzelnen Patienten ausgeben?
Richter: Nein, das ist nicht das Ziel. Der Leistungsaufwand für chronisch Kranke ist heute schon sehr hoch. Wenn daraus durch die Koppelung RSA und DMPs in etwa ein Nullsummenspiel würde, dann hätten wir schon viel erreicht.
Natürlich schließe ich nicht aus, dass Kassen überlegen, wie sie wirtschaftliche DMPs konzipieren, um damit ins Plus zu kommen. Dem wird aber durch die Qualitätsvorgaben ein Riegel vorgeschoben. Denken Sie auch daran, dass die Programme und die Verträge die hohen Auflagen der Akkreditierung erfüllen muss.
PZ: Werden sich einzelne Kassen auf DMPs bestimmte Erkrankungen spezialisieren? In den USA gibt es bereits Kassen, die möglichst viele Versicherte mit derselben Krankheit akquirieren, um über die Masse wirtschaftliche Versorgungsstrukturen aufzubauen.
Richter: Ich erwarte das nicht. Dazu müsste eine Kasse zum Beispiel ihr eigenes Diabetes-Programm auflegen. Das wird sie aber auch aus ökonomischen Gründen nicht tun. Kassenspezifische Programme wird es nur geben, wenn wir keinen weiteren Konsens finden.
PZ: Sie gehen also davon aus, dass die DMPs bei allen Kassen vergleichbar sein werden? Ursprünglich sollte über DMP der Wettbewerb zwischen den Kassen verstärkt werden.
Richter: Eine einzelne Kasse wird in der Regel keinen Partner für DMPs finden. In der Konsequenz müsste dann jeder Arzt seine Patienten nach den unterschiedlichsten Programmen und Verträgen behandeln. Wir setzen auf gemeinsame Verträge mit den Kassenärztlichen Vereinigungen.
PZ: Durch DMP kommt nicht mehr Geld in das Gesundheitssystem. Der RSA wird nur anders verteilt. Werden die Mittel denn ausreichen, um alle Krebspatienten und Diabetiker optimal zu versorgen?
Richter: Wir gehen davon aus, dass es heute nicht nur Bereiche mit Fehl- oder Unterversorgung gibt, sondern auch solche mit Überversorgung. So manche Therapie kann man durchaus effizienter gestalten. Zum Beispiel könnte man noch stärker auf Generika zurückgreifen.
PZ: Für DMPs müsste man aber auch Strukturen aufbauen, die das Funktionieren der Programme garantieren. Das kostet Geld. Reichen dafür die Mittel?
Richter: DMPs sollen auf die gewachsenen Versorgungsstrukturen aufsetzen. Wir bauen auf die vertragsärztliche Versorgung auf. Nur was neu ist, muss auch neu geregelt werden. Wir wollen mit den bewährten Partnern unter den Leistungserbringern weiterhin zusammenarbeiten.
PZ: Wie groß sind Ihre Chancen dafür? Die Ärzte sind ja nicht gerade Freunde von DMP.
Richter: Bei den Ärzten und ihren Organisationen gibt es eine schwierige Gemengelage. Teilweise versuchen sie, die Programme zu bremsen. Deshalb wurde meines Erachtens die Frage der Datenweitergabe unangemessen überhöht. Dabei wollen wir gar keinen gläsernen Patienten. Wir wollen auch nicht das Arzt-Patienten-Verhältnis durch diese Daten belasten.
PZ: Lehnen die Ärzte DMPs nicht vor allem ab, weil sie sich nicht an Leitlinien halten sollen? Ist die Datendiskussion nicht nur vorgeschoben?
Richter: Ja, der Verdacht liegt nahe. Die Ärzte machen ja auch die Leitlinien schlecht, sie sagen, das sei Gleichmacherei. Dabei sind die Leitlinien doch nicht unsere Erfindung. Sie sind Stand der Wissenschaft. Es ist allerdings sehr wichtig, von den Ärzten akzeptierte Leitlinien zu verabschieden.
PZ: Die Ärzte werfen Ihnen vor, in den DMPs eine deutlich minderwertige Versorgung zu etablieren. Sie beklagen, dass sie nicht in die Konzeption der Programme einbezogen wurden, dass die Leitlinien nicht von den Fachgesellschaften, sondern von den Krankenkassen erstellt wurden.
Richter: Das ist eindeutig falsch. Die Kassen haben keine einzige Leitlinie allein aufgestellt. An allen Besprechungen im Koordinierungsausschuss konnten die Bundesärztekammer, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und auch die medizinischen Fachgesellschaften mitwirken. Unter einzelnen Fachgesellschaften hat es Meinungsverschiedenheiten gegeben. Das hat uns die Arbeit erschwert, die Ärzte ins Boot zu holen.
PZ: Wird Druck auf Kranke ausgeübt, sich in DMPs einzuschreiben?
Richter: Nein. Wir wollen Versicherte für unsere guten DMPs gewinnen. Es wird immer eine absolute Freiwilligkeit geben. Wir haben 280 000 Diabetiker unter unseren Versicherten. Von denen wollen wir möglichst viele überzeugen, dass es gut für sie ist, wenn sie sich in ein gutes DMP einschreiben.
Wir haben heute das Problem, dass die Patienten grundsätzlich dem Rat des Arzt folgen. Wenn der vom Einschreiben abrät, dann hält sich der Patient oft daran. Wir müssen deshalb unbedingt die Ärzte gewinnen. Aber noch einmal: Wir können und wollen niemanden zwingen, sich in DMPs einzuschreiben.
PZ: Wie groß sind Ihre Chancen, die Ärzte zu gewinnen?
Richter: Da wird es regionale Unterschiede geben. In Bayern werden wir große Probleme haben, Ärzte zu überzeugen. Es gibt aber auch dort Ärzte, die gerne mit uns Verträge machen wollen. Es hört ja nicht jeder auf die KV.
In anderen Regionen gibt es KVen, die durchaus an Verträgen mit den Kassen interessiert sind. Wichtig ist es, bald einen Vertrag abzuschließen. Wenn das Programm gut läuft, wird die Skepsis der Ärzte kleiner werden.
PZ: Welche Rolle können die Apotheker in DMPs spielen?
Richter: An erster Stelle stehen für uns wie gesagt die Ärzte. Erst wenn die vielfältigen vertragsrechtlichen Fragen geklärt sind, können wir an die Einbindung anderer Leistungserbringer denken.
DMP ist für mich eine besondere Form der Integrierten Versorgung. Ich halte diese Versorgungsform für eine Chance für alle im Gesundheitswesen. Ich hatte bislang allerdings den Eindruck, dass Apotheker der integrierten Versorgung sehr skeptisch gegenüber stehen.
Auch bei den DMPs habe ich lange Zeit kaum Aktivitäten der Apotheker bemerkt. Erst in letzter Zeit in Gesprächen mit dem ABDA-Hauptgeschäftsführer Professor Dr. Rainer Braun und dem ABDA-Vize Heinz-Günter Wolf haben die Apotheker ihre Zurückhaltung aufgegeben.
Interessant finde ich die Studie zur Betreuung von Asthma-Patienten in Trier, an der das Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis (ZAPP) beteiligt ist. Das ist ein guter Ansatz für die Einbindung von Apothekern in DMPs.
Es ist wichtig, die Patienten zu einer Verhaltungsänderung zu bewegen. Ebenso ist es notwendig, Asthma-Patienten den Umgang mit dem Inhalator zu erklären. Wenn Apotheker dazu beitragen, die Compliance der Patienten zu verbessern, ist dies ohne Frage eine hilfreiche Sache. Eine andere Aufgabe ist die Arzneimittelauswahl. Hier könnten Apotheker auch eine Rolle spielen.
PZ: Unter Federführung des ZAPP haben die Apotheker ein Konzept für ihre Beteiligung an DMPs erarbeitet. Sie bieten darin Module mit Dienstleistungen an. Diese reichen von der Akquise der Patienten über Förderung des Selbstmanagement bis hin zu nicht medikamentösen Maßnahmen. Was halten Sie von diesem Konzept?
Richter: Ich habe davon gehört, kenne aber nicht die Details. Ein Gespräch mit den Apothekern ist noch nicht zustande gekommen. Ich interessiere mich aber sehr für das Konzept.
PZ: Können Sie sich Verträge mit Apothekerverbänden vorstellen, oder denken Sie eher an lockere Kooperationen, in denen sich Apotheker im Rahmen der Regelversorgung an DMPs beteiligen?
Richter: Ich habe nichts gegen einen Rahmenvertrag mit Apotheken. Denkbar ist natürlich auch der Beitritt von einzelnen Apotheken.
PZ: Da sprechen Sie den Grund für die Zurückhaltung der Apotheker bei der Integrierten Versorgung an. Sie fürchten, über Einzelverträge aus der Versorgung ausgeschlossen zu werden. Apotheker präferieren Rahmenverträge auf der Ebene der Landesverbände.
Richter: Ich habe da eine liberale Einstellung. Die Leistungserbringer müssen frei entscheiden können, ob sie bei DMPs mitmachen wollen. Natürlich müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Aber jeder, der diese Voraussetzungen erfüllt, muss mitmachen dürfen.
Wenn wir Apotheker in DMPs einbinden, dann geht es uns auch darum, die Arzneimitteltherapie effizienter zu gestalten. Immer noch werden zum Teil zu teure Arzneimittel verschrieben oder verordnete Arzneimittel nicht eingenommen. Das treibt die Therapiekosten unnötig in die Höhe.
PZ: Wenn Sie mit Hilfe der Apotheker, die Arzneimittelkosten senken wollen, dann müssen Sie natürlich über deren Vergütung nachdenken. Könnten Sie sich neue Modelle für Apotheker vorstellen, die nicht ausschließlich an die Abgabe der Arzneimittel gebunden sind? Unter Apothekern wird dies kontrovers diskutiert.
Richter: Natürlich muss man zu gegebener Zeit über neue Formen der Vergütung nachdenken. Wir schließen das nicht aus, aber wir sind noch nicht so weit. Wir stehen erst am Anfang.
Wir werden bei Integrierter Versorgung ohnehin nicht daran vorbei kommen, neue Formen der Versorgung und der Vergütung aufzubauen.
PZ: Der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse, Hans-Dieter Koring, schlägt vor, dass Leistungserbringer ihre integrierten Strukturen in einer GmbH zusammenführen und die Kassen dann mit dieser Gesellschaft Verträge machen. Was halten Sie davon?
Richter: Ich will nicht ausschließen, dass es in der Ausgestaltung unterschiedliche Auffassungen bei Barmer und TK gibt. Wir siedeln Einzelverträge etwas niedriger an. Ohne Frage muss man aber vernünftige Integrationsmodelle entwickeln, bei denen jeder seine Aufgabe hat.
PZ: Was müsste geschehen, damit aus den DMPs ein Erfolgsmodell wird?
Richter: Wir brauchen einige Verträge mit Kassenärztlichen Vereinigungen, um das Eis aufzubrechen. Wenn wir zwei oder drei vernünftige Verträge haben, werden sich mehr Ärzte für DMPs interessieren. Ich hoffe, dass vor dem 22. September noch etwas passiert..
PZ: Was wird nach der Wahl geschehen? Sie halten die Koppelung von RSA und DMP für zwingend; Horst Seehofer will dies sofort abschaffen. Welche Perspektiven hätten dann DMPs?
Richter: Wenn die Koppelung aufgehoben wird, dann wird es den DMPs genauso gehen wie der Integrierten Versorgung. Es wird die Chancen des Disease Managements sicherlich nicht verbessern.
Horst Seehofer will aber nicht nur die Koppelung abschaffen, sondern auch
den RSA ändern. Man muss sehen, ob dabei eine Lösung gefunden wird, die den
Versorger-Kassen hilft. Das Geld sollte der Leistung folgen.
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