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Viele Risiken, wenig Sicherheit

04.02.2002  00:00 Uhr
VERSANDHANDEL

Viele Risiken, wenig Sicherheit

von Brigitte M. Gensthaler, Hohenheim

Welche Vorteile bietet, welche Risiken birgt der Versandhandel mit Medikamenten? Bei den Hohenheimer Sozialpolitischen Gesprächen am 31. Januar in der Universität Hohenheim waren sich die Experten am Podium weitgehend einig, dass das Versandverbot für Arzneimittel in Deutschland fallen wird. Nur Karin Wahl, Präsidentin der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, hielt dagegen: "Versandhandel um jeden Preis ist Irrsinn".

Im deutschen Gesundheitswesen geht es um Kostenoptimierung, nicht um bloße Einsparungen. Für Professor Dr. Holger Mühlenkamp, Lehrstuhlinhaber für Ökonomik sozialer Dienstleistungen an der Hohenheimer Universität und Leiter der Diskussionsrunde, ist klar, dass der Internethandel mit Medikamenten das Problem der Arzneimittelausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht lösen wird. Dieser sei "vielleicht ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein". Ein konkretes Einsparvolumen wollte auch Roger Jaeckel, Leiter der Landesvertretung Baden-Württemberg des Verbandes der Angestelltenkrankenkassen und des Arbeiterersatzkassenverbandes, nicht beziffern. Ökonomische Vorteile dürften nicht zu Lasten der pharmakologischen Versorgungsqualität gehen, mahnte er. Bei dieser Abwägung müssten die Leistungen der öffentlichen Apotheke berücksichtigt werden.

Doch die lokale Apotheke mit Vollsortiment und vielen kostenlosen Dienstleistungen für ihre Kunden könne mit den Rosinenpickern nicht auf Dauer konkurrieren, warnte Wahl. Diese gefährdeten vielmehr das bestehende System, erklärte sie an einem anschaulichen Beispiel: Wer bei einem Uhrwerk nur ein Rädchen entfernt oder beschädigt, bringt das Werk aus dem Takt. "Wir wollen ein Gesamtgesundheitswesen mit guter Versorgung für alle, auch im Alter." Die Apotheker stellten sich gerne neuen Aufgaben. Ein Arzt aus dem Auditorium befürchtet eine deutliche Verschlechterung der Arzneimittelsicherheit, wenn Apotheker ihre Kontrollfunktion nicht mehr ausübten. Internetapotheken könnten dies niemals leisten.

Nachdrücklich warnte Wahl vor den Risiken des Versandhandels im Netz. Darin stimmte ihr Monika Ketterer, Geschäftsführerin der Verbraucherzentrale des Landes, zwar zu, kam aber zu anderen Schlüssen. Da das Verbot aber früher oder später ohnehin fallen werde, müsse man über die Rahmenbedingungen des Arzneimittelversands in Europa diskutieren. Die Verbraucherzentralen hätten bereits einen Kriterienkatalog für den Verbraucherschutz beim Online-Handel erarbeitet, sagte Ketterer. Der Verbraucher müsse wissen, woran er einen seriösen Versandhändler erkennen kann.

Professor Dr. Walther Gottwald von der FH Nordostniedersachsen plädierte für staatlich akkreditierte Versandapotheken auf europäischer Ebene. Produktsicherheit, Vertrieb, Werbung, Beratung und Dokumentation sollten geregelt und überprüft werden. Der Ökonom Mühlenkamp resümierte: "Wir brauchen europaweit einheitliche pragmatische Qualitätsstandards für den Versandhandel mit Medikamenten". Wie diese aussehen könnten, verriet er nicht.

 

Kommentar: Convenience mit Tücken Ein alternativer Distributionsweg zur öffentlichen Apotheke, der für die Verbraucher komfortabel und bequem ist und im Trend der Zeit liegt - so charakterisierten die Ökonomen und Juristen bei den Hohenheimer Gesprächen den Versandhandel mit Arzneimitteln. Mit echten Argumenten für das Medikament per Post konnten sie nicht aufwarten.

Vielmehr wies Verbraucherschützerin Monika Ketterer ausdrücklich auf mögliche Gefahren hin. Es sei nicht auszuschließen, dass gefälschte, veraltete, verfallene, beschädigte, falsche oder schlicht gar keine Produkte versandt, aber abgerechnet oder Daten missbraucht würden. Reklamationen dürften für den Verbraucher mit hohem Aufwand verbunden sein.

Der Ruf nach europaweiten Qualitätsstandards mutet angesichts offenkundiger Risiken hohl und hilflos an. Keiner der Experten konnte definieren, wie Standards beschaffen sein sollten, geschweige denn, wie sie zu überwachen und Verstöße zu ahnden seien. Ebenso blieben sie die Antwort schuldig auf die besorgte Frage einer Zuhörerin, ob die Arzneimittelbestellung im Internet nicht Miss- und Fehlgebrauch von Arzneimitteln fördern könne.

Für ein bisschen vermeintliche Convenience sollen Patienten also unkalkulierbaren Gesundheitsgefahren ausgesetzt werden. Beim Thema BSE geht die Politik nicht so lässig mit dem Verbraucherschutz um. Dagegen sollten sich die Patienten wehren.

Brigitte M. Gensthaler
PZ-Redakteurin

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