Politik
"Wir werden für mehr Markt im Gesundheitssektor sorgen. Das kann
für alle Beteiligten nur gut sein", erklärte EU-Kommissar Dr. Martin
Bangemann auf dem 2. Handelsblatt-Gesundheitskongreß in Bonn.
Bangemann räumte ein, daß das "Kulturgut Arzneimittel" nicht immer nur aus einem
ökonomischen B1ickwinkel gesehen werden dürfe. Schließlich solle die europäische
Industrie wettbewerbsfähig bleiben. Wenn nämlich Forschungseinrichtungen ins
Ausland abwandern, folgen ihnen die Produktionsbetriebe. Das senke die
Wettbewerbsfähigkeit enorm.
Bislang seien die Erfahrungen mit dem Binnenmarkt positiv. Es gebe ein
übersichtliches Genehmigungs- und Zulassungsverfahren bei der EMEA in London.
Die Prüfungsdauer falle nicht in die Patentlaufzeit, was für die forschende Industrie
wichtig sei. Dennoch gebe es Verwerfungen, "die wir noch nicht richtig in den Griff
bekommen haben", so der EU-Kommissar. Unter anderem sollten Preisbindungen
aufgehoben werden - zunächst für Arzneimittel, dann für Dienstleistungen.
Bangemann glaubt, daß mehr Markt die Preise senken werde und dadurch der
Druck auf das soziale Sicherungssystem nachlasse. Er habe oft das Gefühl, den
Dialog mit Taubstummen zu führen, weil sich seine Gesprächspartner den
Argumenten total verschließen.
Die Ausgabenentwicklung im dritten Quartal zeigt, daß die Maßnahmen der dritten
Stufe der Gesundheitsreform greifen. Jetzt kann man sich nach Auffassung von
Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer gesundheitspolitischen Themen
zuwenden. Dazu zählt er die Prävention, die in erschreckendem Maße nicht in
Anspruch genommen wird, Qualitätskontrolle und -sicherung sowie den
Themenkomplex Medizin und Ethik. Der Minister warnte vor falschen Bewertungen.
Medizinischer Fortschritt führe in erster Linie zu Segnungen für die Menschheit und
nicht zu einer Verlängerung des Siechtums.
Die Ärzte warnte der Gesundheitsminister vor öffentlichen Einlassungen wie jüngst
geschehen. Angeblich solle der Sparzwang der Politik die Ärzte zu unkorrektem
Abrechnungsverhalten verleiten. Ellis Huber, Präsident der Ärztekammer Berlin,
hatte einer Meldung der Süddeutschen Zeitung vom 25. November zufolge
behauptet: "Wir sind gezwungen, in einem korrupten System zu arbeiten, und in
diesem System sind selbst die korrupten Ärzte eher Opfer als Täter." In der Medizin
sei alles "dem Diktat der Ökonomie" untergeordnet. Wer ehrlich abrechne, sei im
jetzigen System "tatsächlich der Dumme". Huber schlug vor, die Ärzte als
heilkundige Personen mit einem Zeithonorar zu bezahlen.
Seehofer wies darauf hin, daß als Reflex auf die Veränderungen der Sozialstrukturen
die stationären Hospizdienste in den Leistungskatalog der gesetzlichen
Krankenversicherung aufgenommen worden seien. Die Sozialversicherungssysteme
können auf Dauer nicht über die Arbeitskosten finanziert werden, ist Seehofer
überzeugt. Die Bereitschaft zu anderen Finanzierungsmöglichkeiten sei in der
Bevölkerung weiter verbreitet als viele glauben möchten. Bei Neuregelungen müsse
man auch einmal Instinkt und Gefühl zulassen. "Nach 25 Jahren
Paragraphenschusterei habe die Gesellschaft ein Recht auf Stabilität."
PZ-Artikel von Gisela Stieve, Bonn

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