Politik
Was kommt nach den Budgets? Konfrontation oder Kooperation? Diese
Frage stellten das Deutsche Ärzteblatt und die Pharmazeutische Zeitung auf
einem gemeinsam veranstalteten Gesundheitspolitischen Forum Vertretern
von Krankenkassen und Ärzten, Industrie und Apothekern am 19.
November in Düsseldorf.
Die Antwort auf die Frage fiel deutlich aus, auch wenn sie keiner der Diskutanten
formulierte: Zur Zeit kochen Ärzte und Krankenkassen offensichtlich lieber ihr
eigenes Süppchen. Sowohl bei der Festlegung von Richtgrößen als auch bei den
sogenannten Bonusverträgen gehen sie ihre eigenen Wege. An einer Kooperation
mit ihren Marktpartnern sind sie nicht sonderlich interesssiert.
Das bedeutet jedoch nicht, daß die Apotheker und Industrie die Vorstellungen der
Selbstverwaltung in allen Punkten ablehnen. So waren sich auf dem
Gesundheitspolitischen Forum grundsätzlich alle Diskutanten darüber einig, daß
Richtgrößen ein flexibleres Instrument darstellen als ein Arzneimitttelbudget. Der
Arzt könne jetzt individuell planen, bilanzierte Peter Dewein, Geschäftsführer beim
Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Dadurch würden die
Grundlagen für eine Verbesserung der Therapie gelegt.
Dr. Paul Hoffacker, Geschäftsführer bei der ABDA für Wirtschaft und Sozialpolitik,
bezeichnete das Budget als eine Krücke, mit der die Politik versucht habe, die
steigenden Arzneimittelkosten in den frühen neunziger Jahren in den Griff zu
bekommen. Bereits bei seiner Einführung 1993 sei den Bonner Politikern bewußt
gewesen, daß das Budget nur eine befristete Lösung sein könne. Dem habe die
Regierung jetzt Rechnung getragen. Hoffacker: "Die Abschaffung des Budgets war
eine Konsequenz seiner Unzulänglichkeiten." Der ABDA-Geschäftsführer kritisierte
jedoch, daß mit der Einführung der Richtgrößen an einer sektoriellen Betrachtung
des Gesundheitswesens festgehalten werde. Offensichtlich solle wieder einmal am
Arzneimittel gespart werden, obwohl die eigentlichen Kostentreiber im
Gesundheitswesen die Krankenkäuser seien. Konsequenterweise sollten deshalb die
vom Arzt veranlaßten Leistungen insgesamt betrachtet werden, nicht allein die
Arzneimittelausgaben. "Es muß auch Richtgrößen für Krankenhausaufenthalte und
Krankschreibungen geben," forderte Hoffacker. Die Arzneimitteltherapie sei nach
wie vor die kostengünstigste Art der Behandlung. Wer hier spare, müsse mit
höheren Gesamtausgaben rechnen.
Ein Dorn im Auge des BPI ist vor allem die von Kassenärztlicher Bundesvereinigung
(KBV) und den Spitzenverbänden der Krankenkassen erstellte Bundesempfehlung
zur Umsetzung der Richtgrößen. "Die Selbstverwaltung hat gute Vorgaben aus
Bonn, sie setzt sie aber schlecht um," so Deweins Position zu dem gemeinsamen
Papier von Ärzten und Krankenkassen. Den BPI-Geschäftsführer ärgert, daß die
Bundesempfehlung eine Obergrenze für Arzneimittelausgaben vorsieht. Dies sei "eine
Budgetierung durch die Hintertür". Außerdem hat der gemeinsame Vorschlag von
Kassen und Ärzten eine Anlage 2, die dem BPI überhaupt nicht gefällt. Denn in
dieser Anlage werden Medikamente aufgeführt, die aus den Richtgrößen
herausfallen sollen, weil sie nur bei einer Indikation eingesetzt werden können und
Ärzte sie deshalb nicht falsch einsetzen können. Dewein hält diesen Indikationsbezug
für verfassungswidrig. Er sieht in dieser Anlage "eine verkappte Positivliste". Es sei
nicht auszuschließen, daß findige Ärzte, die die Richtgrößen umgehen wollen, die
gelisteten Medikamente für andere Indikationen einsetzen werden.
Die Kritik des BPI wies Magda Reiblich von der KBV zurück. Die Anlage 2 sei so
gehalten, daß ein Mißbrauch ausgeschlossen sei. Medikamente, die mehr als eine
sinnvolle Indikation haben, kämen nicht auf diese Liste. Ziel des Papiers sei es, den
Verwaltungsaufwand zu begrenzen. Keine Alternative sieht Reiblich zu einer
Obergrenze für die Arzneimittelausgaben im kommenden Jahr. Ohne diese
Richtschnur sei die Festlegung von Richtgrößen nicht möglich. Die Obergrenze sei
jedoch nur für 1998 notwendig, danach könnten die festgelegten Richtgrößen
weiterentwickelt werden. So könnten Richgrößen so gestaltet werden, daß auch ein
teurer Patient statt im Krankenhaus in der Arztpraxis versorgt werden kann, ohne
daß der behandelnde Arzt Angst vor Wirtschaftlichkeitsprüfungen haben muß.
Der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen,
Wolfgang Schmeinck, dessen Verband maßgeblich an der Formulierung der
Bundesempfehlung beteiligt war, steht zwar grundsätzlich zu der getroffenen
Vereinbarung, hat aber Zweifel, ob sie auf Landesebene reibungslos umsetzbar sein
wird. Das Hauptproblem, so seine Einschätzung, sei die unbefriedigende Datenlage,
die eine gerechte Festsetzung von Richtgrößen behindere.
Weitgehend einig sind sich alle Beteiligten darin, daß allein Richtgrößen für den
Arzneimittelbereich nicht ausreichen und kaum zu weiteren Einsparungen führen
werden. Selbst Schmeinck, der wohl kaum im Verdacht steht, die pharmazeutische
Industrie und die Apotheker begünstigen zu wollen, sieht kaum noch
Wirtschaftlichkeitsreserven bei Arzneimitteln. Mehr als 0,5 bis ein Prozent sei in
diesem Bereich nicht mehr zu holen. Er teilt Hoffackers Einschätzung, daß im
Gesundheitswesen die Krankenhäuser am unwirtschaftlichsten arbeiten.
Bonusverträge: Belohnung für gesetzeskonformes Verhalten
Scharfe Kritik übten Dewein und Hoffacker an einer besonderen Spielart der
Modellvorhaben: Den Bonusverträgen zwischen Krankenkassen und Kassenärzten,
wie sie in verschiedenen Bundesländern abgeschlossen wurden. Hoffacker
kritisierte, daß wie bei den Richtgrößen nicht die gesamten Krankheitskosten
betrachtet würden, sondern einseitig die Kosten für Arzneimittelausgaben. Wenn
Ärzte weniger Medikamente verordneten, bedeute dies nicht automatisch, daß die
Behandlungskosten insgesamt sinken. Dewein befürchtet einen moralischen Konflikt
bei vielen Ärzten. Angesichts der schlechten finanziellen Lage einiger Ärzte sei zu
befürchten, daß diese "Ethik und Monetik nicht mehr zusammenbringen können".
Nach Lesart der KBV gibt es die kritisierten Bonusverträge überhaupt nicht. So sei
der in Hessen abgeschlossene Vertrag "ein Modellversuch zur Verbesserung der
Qualität in der Arzneimitteltherapie", definierte Reiblich. "Die Ärzte verpflichten sich,
regelmäßig an wissenschaftlich arbeitenden Qualitätszirkeln teilzunehmen und
erhalten dafür eine Vergütung," so die Interpretation der KBV-Vertreterin.
Hoffacker sieht keinen Grund, Ärzte dafür zu bezahlen. Der Arzt sei verpflichtet,
angemessen, qualitativ hochwertig und wirtschaftlich zu verordnen. Durch die
Bonusverträge werde der Arzt dafür belohnt, "daß er seinen gesetzlichen
Verpflichtungen nachkommt."
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Düsseldorf

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