Aufsichtsbehörde legt den Krankenkassen Mängelliste vor |
25.10.1999 00:00 Uhr |
Den Krankenkassen hat der Prüfdienst Krankenversicherung des Bundesversicherungsamtes schwere Versäumnisse vorgeworfen. So funktionierten die Prüfungen im Arzneimittelbereich überhaupt nicht. Allerdings fordert die Aufsichtsbehörde auch - ohne weitere Begründung: Bei Überprüfungen müssen "Retaxierungsbeträge" zurückfließen. Das heißt auf gut deutsch: Die Kassen sollten so prüfen, dass sie Geld von Apothekern und Ärzten zurückerhalten.
Im jetzt vorgelegten Jahresbericht des Bundesaufsichtsamtes wird beklagt, dass einige Kassen nicht einmal prüfen, ob das jeweilige Rezept für ihren eigenen Versicherten oder den einer anderen Kasse ausgestellt war. Viele Kassen prüfen nur Rechnungen ab 1000 DM. Das Bundesversicherungsamt schlägt repräsentative Zufallsstichproben vor.
Von den Kassen wird nicht geprüft, ob ausgeschlossene Arzneimittel verordnet werden. Als unbefriedigend bezeichnet das Bundesversicherungsamt die "Retaxierungsrendite" von lediglich 0,4 Prozent der in Rechnung gestellten Medikamentenkosten. Eine Kasse zahlte mehr als 23 Millionen DM, der "von ihr beauftragte Dienstleister retaxierte keinen Pfennig". Externe Arzneimittelabrechnungsunternehmen müssten auch geprüft werden.
Was Kassen so alles zahlen
Überhaupt ist bei den gesetzlichen Krankenkassen einiges in Unordnung geraten. So würden eindeutig rechtswidrige Leistungen im Rahmen des Wettbewerbs der Kassen finanziert. Dafür haben zahlreiche Krankenkassen ein seltsames Rechtsverständnis: Sie meinen, sie müssten rechtswidrige Leistungen bezahlen, weil es Mitbewerber auch machten.
Auch weiterhin werde Prävention zu Marketingzwecken missbraucht. Der Versicherte kann sich freuen - oder auch nicht -, wenn er die Kosten für Wirbelsäulengymnastik, Yoga und Tai Chi erstattet bekommt. Eine Krankenkasse hat einer Diabetiker-Selbsthilfegruppe alle entstandenen Kosten erstattet. Eine andere Kasse wiederum bezahlte außervertragliche Behandlungen nach der Gebührenordnung für Ärzte: Eigenblutbehandlung und Neuraltherapie. Den Medizinischen Dienst schaltete die Kasse generell nicht ein. Eine andere Krankenkasse bot über das Internet Auslandsreisekrankenscheine an. Alle Internetbenutzer können diesen Schein abrufen.
Krankenhausrechnungen werden ohne Plausibilitätsprüfungen bezahlt. Diagnosen wie "Bauchschmerzen" oder "Verdacht auf Blinddarmentzündung" rechtfertigten keinen fünftägigen stationären Aufenthalt zur "Beobachtung". Bei den Fallpauschalen ist einiges im Argen. Der Fallpauschale unterliegende Patienten würden häufig kurz nach ihrer Entlassung wegen der selben Indikation erneut stationär behandelt. Viele Patienten würden in Rehabilitationskliniken verlegt, obwohl sie ihre Mobilität nicht wieder erreicht haben. Auf diese Praxis wird die "Explosion der Kosten bei Anschlussheilbehandlungen" zurückgeführt.
Für Apotheker wiederum bedeutsam ist, was sich bei der Häuslichen Krankenpflege an Kritik ergibt. Denn hier schlägt die Sparwut der Kassen ins Gegenteil um, meint das Bundesversicherungsamt. Wegen der stark steigenden Aufwendungen wurden die Verordnungen überprüft: In bis zu zwei Dritteln der Fälle konnten Krankenkassen die Notwendigkeit der Behandlungspflege nicht nachvollziehen. Die "sehr erfolgreiche Ausgabensteuerung" hat nach Ansicht des Bundesversicherungsamtes eine bittere Kehrseite: Kassen haben nur vordergründig einen Sieg errungen, der teurer wird und zu Lasten der Pflegebedürftigen geht. Vor allem die Zahl der Dekubituskranken schnellte auf 750.000 Patienten hoch.
Gute Noten Verwaltungskosten
Insgesamt stellt die Aufsichtsbehörde den Krankenkassen zumindest bei den
Verwaltungskosten einen Persilschein aus: Die Verwaltungskosten mit rund fünf Prozent der
Beitragseinnahmen seien nicht mehr zu kürzen, die Kassen würden sparsam wirtschaften.
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