Politik
WIdO nimmt Verordnungen aufs
Korn
Die Ausgaben für
Arzneimittel haben 1995 mit über 33 Milliarden
DM annähernd das Niveau von 1992 erreicht. Auch
die Zahl der Verordnungen nahm 1995 wie im
Vorjahr um 6,3 Prozent wieder deutlich zu. Mit
dem Arzneiverordnungs-Report ist jetzt zum 12.
Mal eine Jahresanalyse des deutschen
Arzneimittelmarktes vorgestellt worden.
Nach den Analysen des GKV-Arzneimittelindexes im
Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) sollen
sich ohne Abstriche bei der Qualität 3,3
Milliarden DM sparen lassen, wenn
Einsparmöglichkeiten bei Generika und
patentierten Wirkstoffen genutzt würden. Immer
noch würden Arzneimittel für 7,1 Milliarden DM
verschrieben, deren Wirksamkeit umstritten sei.
In zwei Jahren sind die Einsparungen des
Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) weitgehend
aufgezehrt worden, stellte Professor Dr. Ulrich
Schwabe vom Pharmakologischen Institut der
Universität Heidelberg fest. Auffällig sei,
daß sich die jährliche Zuwachsrate 1995
gegenüber dem Vorjahr fast verdoppelt habe. Die
Arzneimittelausgaben haben in den alten
Bundesländern das Niveau des Budgets erreicht,
in den neuen Ländern lagen sie darüber.
Immer wieder entzündeten sich Diskussionen am
Begriff des "umstrittenen"
Arzneimittels, so Professor Volker Dinnendahl,
Vorsitzender der Arzneimittelkommission der
Deutschen Apotheker. Die im
Arzneiverordnungsreport gegebene Definition
stamme aus dem Jahr 1976. Damals seien
Arzneimittel als umstritten bezeichnet worden,
bei denen ein klinisch relevanter therapeutischer
Effekt nicht überzeugend nachgewiesen worden
war, obwohl in vielen Fällen pharmakologische
Wirkungen im Tierexperiment beschrieben worden
seien. Dinnendahl warnte davor zu glauben, die
sieben Milliarden DM - mit diesem Volumen werden
die "umstrittenen" Arzneimittel
beziffert - könnten problemlos eingespart
werden, wenn die Ärzte im Sinne der Kritiker
verschreiben würden. Vielmehr gehe es darum,
nicht an, sondern mit Arzneimitteln zu sparen.
Dabei wollten die Apotheker koordinierend und
unterstützend die ärztliche Therapie begleiten.
KBV:
Arzneiverordnungsreport ist untauglich
Als untauglich bezeichnete Dr. Lothar Krimmel,
Kassenärztliche Bundesvereinigung, den
Arzneiverordnungsreport. Der Nutzen innovativer
Präparate werde pauschal in Frage gestellt, die
Weiterentwicklung bekannter Wirkstoffe als
nutzlose "Me-too-Entwicklung"
abqualifiziert, die Gruppe der
"umstrittenen" Arzneimittel werde
pauschal als überflüssig bezeichnet, und die
Einsparberechnungen auf der Grundlage der Liste
der "unstrittigen" Arzneimittel seien
reine Luftbuchungen.
In Zukunft müßten die Ansprüche der
Versicherten insbesondere im Arzneimittelbereich
beschnitten werden, befürchtet Krimmel. In den
beiden vergangenen Jahren seien die Diskussionen
um den Leistungskatalog der GKV vermieden und
statt dessen die ärztlichen Arzneimittelbudgets
auf dem Stand von 1993 eingefroren worden.
"Heute wissen wir, daß diese
Unaufrichtigkeit der Krankenkassen und der
Gesundheitspolitik die Kassenärzte spätestens
im Jahre 1997 in den kollektiven Ruin treiben
würde." Dem Kassenarzt werde zugemutet,
nach Erreichen der nicht von ihm selbst
beeinflußten Budgetgrenzen Arzneimittel um den
Preis der Vernichtung der eigenen Existenz zu
verordnen. Die KVen werden unter dem
"massiven budgetbedingten"
Rationierungsdruck eine "gerade noch
ausreichende Versorgung" anstreben,
kündigte Krimmel an. Die Kassenärzte wollen es
laut Krimmel nicht länger hinnehmen, daß die
Gesundheitspolitik sowohl Standortpolitik für
die Pharmaindustrie als auch Mittelstandspolitik
für die Apotheker betreibt.
Das WIdO sollte sich mit seinen Aussagen mehr an
den positiven Erfahrungen in den Arztpraxen, als
an theoretisch-pharmakologischen
Bewertungskriterien orientieren, konterte der
Bundesfachverband der Arzneimittel-Hersteller
(BAH). Überdies sei eine Arzneimitteltherapie
bei gleicher Wirkung häufig kostengünstiger als
andere Therapieformen. Die eigentliche Botschaft
des Arzneiverordnunsgreports muß dagegen für
den Hauptgeschäftsführer des Verbandes der
Forschenden Arzneimittelhersteller (VFA),
Professor Dr. Frank Münnich, lauten:
Arzneimittelbudgets, die seit drei Jahren im
wesentlichen unverändert sind, werden dem
medizinischen Fortschritt und dem wachsenden
Bedarf nach modernen Therapieformen nicht
gerecht".
PZ-Artikel von Gisela Stieve, Bonn
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