Gesundheitsreform in Teilen rechtswidrig |
06.09.1999 00:00 Uhr |
RECHTSGUTACHTEN
Der Landesapothekerverband (LAV) Baden-Württemberg hat den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Gesundheitsreform 2000 rechtlich von Professor Dr. Rüdiger Zuck überprüfen lassen. Der Verfassungsrechtler kommt in seinem 340 Seiten umfassenden Rechtsgutachten zu dem Ergebnis, dass einige Teile des Reformvorhabens, darunter das Globalbudget, die Positivliste und die vorgesehenen Einkaufsmodelle, verfassungswidrig sind. Letztere sollen es der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ermöglichen, einzelvertragliche Vereinbarungen mit Leistungserbringern abzuschließen.
Der Präsident des LAV Baden-Württemberg, Fritz Becker, kündigte bei der Vorstellung des Gutachtens am 2. September im Landtagsgebäude in Stuttgart bereits an: Sollte der Entwurf in der vorgelegten Form Gesetz werden, dann werden rechtliche Schritte eingeleitet, "nötigenfalls bis vor das Verfassungsgericht". Becker hofft indessen, dass aufgrund eines gemeinsamen Vorgehens der Heilberufsorganisationen und des Aktionstags am 22. September in Berlin noch die notwendigen Korrekturen im Gesetzentwurf durchgesetzt werden können; diese trage eindeutig die Handschrift der GKV-Krankenkassenverbände.
Den Kassen werde durch das Diktat der Datenlieferung seitens der Leistungserbringer eine unreglementierte Machtfülle eingeräumt. Der dadurch entstehende ruinöse Verdrängungswettbewerb und der Ausschluss von Leistungserbringern gehe eindeutig zu Lasten der Versicherten und Patienten. Gleichzeitig soll ein bewährtes, gut funktionierendes Informationssystem ins Leere laufen. So das von Zuck beschriebene Szenario.
Ausgebaut werde mit dem Entwurf eine "zentralistische, planwirtschaftliche Krankenkassenstruktur wie in sozialistischen Ländern", so seine Kritik. Zuck sieht aufgrund der Datenmacht eine Monopolstellung mit großer, kostspieliger aber überflüssiger Datenbürokratie der Krankenkassen voraus. Der Datenschutz könne in einem solchen Großsystem nicht mehr gewährleistet werden. Der Professor verwies zugleich auf die von der Selbstverwaltung im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigungen bislang erfolgreich aufgebauten, eigenverantwortlichen Strukturen, wie etwa die Apothekenrechenzentren und die von den zuständigen Verbänden getroffenen Abrechnungsvereinbarungen, die anscheinend nun nicht mehr gewollt sind.
Kassenverwaltung steht im Vordergrund
"Die Marktmacht der Krankenkassen", argumentiert der Verfassungsrechtler, wird zu Lasten aller anderen Gesichtspunkte so gestärkt, dass sich der Gesundheitsmarkt nunmehr als ein Raum darstellt, in dem es in erster Linie um die Verwaltung und die Zuweisung von Leistungen ... geht, nicht aber ...um die notwendigen Leistungen zum Erhalt und/oder Wiederherstellung der Gesundheit der Versicherten".
Die Informationsgewalt mache die Krankenkassen zu einem "Ungeheuer des Gesundheitsmarktes" und führe zu einem riesigen Missverhältnis aufgrund des so entstehenden rechtsfreien Raums, während das Sozialgesetzbuch V nach wie vor auf einem Vertragssystem beruhe. Dadurch werde das Marktgleichgewicht empfindlich gestört.
Transparenzgebot müsste Pflicht werden
Das System verstößt "verfassungsrechtlich als Ganzes gegen das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung und das Grundrecht der Informationsfreiheit", so Professor Zuck. Es wäre rechtlich nur haltbar, wenn Informations- und/oder Auskunftsansprüche der Leistungserbringer überall dort geschaffen würden, wo die Krankenkassen Daten zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben verwerten. Darüber hinaus müsse für die Krankenkassen als Treuhänder staatlicher Interessen ein Transparenzgebot der Leistungen Pflicht werden. Sie müssten im Bereich der Datenverwertung offenlegen, auf welchen Grundlagen sie arbeiten.
Als eine ungerechtfertigte Bürokratisierung kritisierte Zuck den umfangreichen Ausbau des Medizinischen Dienstes bei den Krankenkassen. Damit werde das dirigistisch-planwirtschaftliche Gesamtsystem weiter zementiert. Der damit verbundene wirtschaftliche Aufwand werde höher sein als der zu erwartende Nutzen. Da der Gesundheitsbezug der Krankenkassen damit verloren gehe, so der Professor, müsste folgerichtig eine zweite Organisation aufgebaut werden "Zeit und Geld verschlingend ... und vollständig überflüssig".
Erheblicher Leistungsabbau für die Versicherten
Die geplante Reform wird, so Zuck, "nur um den Preis geringerer Leistung zu haben sein", eine Verbesserung bringt sie nur den Krankenkassen. Verschärft werde das Budgetierungssystem durch die Einführung des "Benchmarking", das Zuck als gesetzliche Lösung ablehnt, da es verfassungsrechtlich gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verstößt. Das auf einer Pro-Kopf-Ausgabenrechnung beruhende Benchmarking-Modell wird seiner Meinung nach an fehlenden Daten und unzulänglichen gesetzlichen Vorgaben scheitern. Es berücksichtige außerdem weder die regionalen Unterschiede noch die Befreiungsquoten oder den Anteil der chronisch Kranken und die Morbiditätsentwicklung.
Zu einem verfassungswidrigen Systembruch würde auch das vorgesehene Globalbudget für Ärzte führen, "weil die Notwendigkeit einer Leistungserbringung nicht davon abhängen kann, ob es in einem anderen Leistungsbereich Freiräume gibt", so der Professor. Denn dem Versicherten sei die Erbringung der notwendigen Leistung durch das Gesetz zugesichert worden. Die Leistungserbringer könnten diesen Auftrag dann aber nicht mehr erfüllen.
Integrierte Versorgung zerstört das Solidarsystem
Kein gutes Haar ließ Zuck an der geplanten integrierten Versorgung, in dem der
Hausarzt das Zentrum bilden soll und die Krankenkassen, abweichend vom Gesetz, mit den
Leistungserbringern Einzelverträge abschließen können. Damit, so der
Verfassungsrechler, werde das gesamte Sozialversicherungssystem zerschlagen. Blieben
solche Vorhaben nicht nur insular, würde das etablierte Versorgungssystem aus den Fugen
geraten und außenstehende Leistungsanbieter vom Markt verdrängt. Diesen Wettbewerbsdruck
vor Augen, könnten die Krankenkassen künftig immer weiter an der Vertragsschraube
drehen.
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