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Arzneimittelpass ist markttauglich

27.08.2001  00:00 Uhr

INTERVIEW

Arzneimittelpass ist markttauglich

von Thomas Bellartz und Daniel Rücker, Eschborn

Die Diskussion um den Cerivastatin-Rückruf hat eine breite öffentliche Diskussion um die Arzneimittelsicherheit entfacht. Auf Einladung von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hatte ABDA-Präsident Hans-Günter Friese die Sicht der deutschen Apothekerschaft deutlich gemacht. Im PZ-Interview beschreibt der Präsident die aktuelle Entwicklung.

PZ: Eine Chipkarte als Arzneipass soll jetzt die Arzneimittelsicherheit erhöhen und die Risiken von Interaktionen senken. Wie stark wird sich diese Karte an der von der ABDA entwickelten Versichertenkarte orientieren?

Friese: Diese Chipkarte wäre zunächst vergleichbar mit einem ersten Modul des von uns entwickelten Arzneimittelpasses. Sie ist zunächst eine Versichertenkarte und bietet - das ist der wesentliche Faktor - die Möglichkeit der individuellen Medikationsdokumentation.

PZ: In welchem Stadium befindet sich die Entwicklung des Arzneimittelpasses?

Friese: Der Arzneimittelpass wurde von uns fortlaufend weiter entwickelt und den Bedürfnissen der Patienten und des Systems angepasst. Sie ist also markttauglich und kann jederzeit eingesetzt und breit in den Markt eingeführt werden.

PZ: Die Apotheker sind bislang vor allem bei den Krankenkassen auf Widerstand gestoßen. Warum bedurfte es eines Zwischenfalls wie dem Cerivastatin-Rückruf, bis die Marktpartner die Stärken des ABDA-Konzeptes erkennen?

Friese: Bei den Krankenkassen ist ein Modul zum elektronischen Rezept in der Diskussion, das die Abrechnung betrifft. Wir haben allerdings Wert darauf gelegt, dass die Patientendaten insgesamt erfasst werden, also ärztliche Verordnungen, Selbstmedikation und auch Ärztemusterabgaben. Und dies zunächst, um damit die Arzneimittelsicherheit ganz im Sinne des Patienten noch weiter auszubauen. Natürlich haben wir schon jetzt eine im internationalen Maßstab hohe Arzneimittelsicherheit. Der Cerivastatin-Rückruf ist nun ein Anstoß, alles vorhandene noch einmal zu überprüfen und zur Kritik zu stellen.

Wichtig ist mir auch, noch einmal auf die Janusköpfigkeit des Arzneimittels hinzuweisen. Das müssen wir auch den Patienten und auch den anderen Beteiligten im Gesundheitswesen - wie bisher - immer wieder deutlich machen.

PZ: Welche Rahmenbedingungen haben Sie am Donnerstag mit der Ministerin und den Ärzten vereinbart? Was muss die Versichertenkarte leisten?

Friese: Um diese Fragen schnell und von ausgewählten Fachleuten klären zu lassen haben wir im Gespräch mit der Ministerin die kurzfristige Einrichtung einer Arbeitsgruppe vereinbart. Noch am selben Tag hat die ABDA mit Professor Dr. Volker Dinnendahl, Leiter der Arzneimittelkommission Deutscher Apotheker, und Dr. Frank Diener, Leiter des Geschäftsbereichs Wirtschaft und Soziales bei der ABDA, in diese Arbeitsgruppe entsendet. Auch Ärzteschaft und Ministerium haben Vertreter benannt.

Wichtig ist mir, dass die Patienten die Verfügungshoheit über die Karte und die darauf verwalteten Daten haben. Entsprechende Daten darf nur der Patient selbst freigeben.

Nach Vorstellungen des Bundesgesundheitsministeriums sollen erste, auch in der Praxis bereits erprobte Ergebnisse noch vor der Bundestagswahl vorliegen.

PZ: Datenschutzexperten haben Bedenken gegen die Speicherung von Patientendaten auf der Chipkarte. Teilen Sie diese Sorge?

Friese: Diese Sorge teile ich nicht. Schließlich bleiben Karte und die Daten in den Händen des Patienten. Wir verwenden zudem die modernste Sicherheitstechnologie. So kann die Karte nur gelesen werden, wenn der Patient sie mit einer Geheimnummer und zugleich der Arzt oder Apotheker mit dem elektronischen Berufsausweis öffnen.

PZ: Welche Ausstattung wird in den Apotheken notwendig sein, damit die Chipkarte genutzt werden kann? Wie steht es um neue Software, neue Hardware, ein Kartenlesegerät?

Friese: Alle erforderlichen Module sind entwickelt. Das Problem ist jedoch, dass die Ärzte und Apotheker nicht die Investitionskosten tragen können, während die Einsparungen bei den Kostenträgern anfallen. Im Vorfeld muss deshalb über finanzielle Anreize durch die Krankenkassen nachgedacht werden. Denn auf diesem Weg wird die Arzneimittelsicherheit auch mit Blick auf Fehl- und Mehrfachverordnungen deutlich verbessert. Das reduziert in erheblichem Maße Ausgaben bei den Krankenkassen. Diese würden - neben den Patienten - am meisten profitieren.

PZ: Welchen konkreten Nutzen werden die Patienten haben?

Friese: Es besteht mit der Einführung der Karte die Möglichkeit des individuellen Medikations-Checks. So können schnell zukünftig noch besser Neben- und Wechselwirkungen ausgehebelt werden. Wir könnten die Arzneimittelsicherheit auf jetzt schon hohem Niveau weiter optimieren.

PZ: Wer wird die Einführung eines solchen Systems bezahlen?

Friese: Zunächst einmal muss das System kommen. Wir müssen darauf achten, dass die Diskussion nicht von vorneherein falsch geführt und dann verzerrt wird. Wir sollten jetzt gemeinsam an einem Strang ziehen, eine mögliche Karten-Einführung professionell vorbereiten. Gleichzeitig ist eine sachliche Kostendiskussion zu führen.

 

Arzneimittelpass: Regierung macht Druck PZ Der elektronische Arzneimittelpass für Patienten soll als Pflichtdokument noch vor der Bundestagswahl 2002 kommen. Patienten könnte aber im Einzelfall zugestanden werden, sich von der Pass-Pflicht befreien zu lassen, bestätigte eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums.

Mit der Diskussion um den Patientenpass beginnt auch wieder der Streit um die Datenhoheit. Bereits früher hatten die Krankenkassen die von den Apothekern entwickelte A-Card abgelehnt. Sie . wollen statt eines Passes lieber ein "elektronisches Rezept". Datenschützer favorisieren dagegen eine Lösung auf Basis der A-Card

Der Staatssekretär im Gesundheitsministerium Klaus Theo Schröder hatte der in Halle erscheinenden "Mitteldeutschen Zeitung" gesagt, es werde auf einen obligatorischen Pass für Ärzte, Apotheker und Patienten hinauslaufen. Es werde aber geprüft, Patienten von dem Pflichtpass zu befreien, wenn sie ihn nicht wollten. "Man muss sich dann aber im Klaren darüber sein, dass man selbst die Verantwortung für mögliche Risiken bei Arznei-Kombinationen trägt", sagte Schröder der Zeitung.

Die konkrete rechtliche und technische Umsetzung des Arzneimittelpasses müsse noch von einer Arbeitsgruppe geklärt werden, sagte die Ministeriumssprecherin. Schmidt wolle die gesetzlichen Grundlagen "schnellstmöglichst, also noch in dieser Legislaturperiode", schaffen.

Schmidt hatte sich vergangene Woche als Konsequenz aus der Affäre um den Cholesterin-Senker Cerivastatin mit Vertretern von Ärzten und Apothekern auf die Bildung einer "Ad-hoc-Arbeitsgruppe" verständigt. Der elektronische Arzneimittelpass soll einen möglichst lückenlosen Überblick über die Medikamenten-Therapie eines Patienten bieten und so das Risiko unerwünschter Wechselwirkungen mit anderen Mitteln mindern. Nach Einschätzung des Hauptgeschäftsführers der ABDA, Professor Dr. Rainer Braun, wäre eine solche Chipkarte "sehr schnell" einzuführen.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Joachim Jacob, lehnt eine zwangsweise Einführung der Arzneimittel-Chipkarte ab. Im DeutschlandRadio Berlin sagte er: "In der Bundesrepublik sind weit über 80 Prozent der Mitbürger gesetzlich krankenversichert und diese fänden sich dann in einer riesigen zentralen Datei wieder." Der Pass müsse vielmehr freiwillig sein. Der Patient solle frei darüber entscheiden können, welche Informationen auf die Karte kommen und ob er den Pass einsetzen wolle. Auch Politiker hängen den Aspekt Datenschutz hoch. Die SPD-Gesundheitsexpertin Regina Schmidt-Zadel verlangte im "Kölner Stadt-Anzeiger", dass der Pass freiwillig bleibe. Ähnlich äußerte sich der FDP-Gesundheitspolitiker Detlef Parr.

Im hessischen Rundfunk hatte Jacob zuvor seine Zustimmung zu einer Chipkarte im Stil der unter der Federführung von Apothekern entwickelten A-Card signalisiert. Diese erfülle alle Anforderungen der Datenschützer.

Auch ABDA-Präsident Hans-Günter Friese die datenschutzrechtlichen Risiken für regelbar. Nach seiner Ansicht sollten der Medikamenten- Nachweis und die Versicherten-Daten auf einer Karte gespeichert werden. Wenn der Medikamenten-Pass wie geplant noch vor der Bundestagswahl kommen solle, müsse er aber wohl zunächst separat eingeführt werden, sagte Friese.

Auf breite Zustimmung trifft der Medikamenten-Pass auch beim Vorsitzenden des Landesapothekerverbandes Niedersachsen, Heinz-Günter Wolf, und Präsident der baden-württembergischen Apothekerverbandes, Fritz Becker. Wolf bezeichnete die geplante Karte als großen Schritt, die Arzneimittelsicherheit zu verbessern. Es sei höchste Zeit, den bereits vor Jahren entwickelten Pass endlich einzuführen.

Auch der Ärzteverband NAV-Virchowbund begrüßte die Chipkartenlösung zu erfassen. Datenschutzrechtlichen Bedenken hatte er nicht. Ebenfalls positiv äußerte sich der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Der BPI unterstütze alle Schritte, um die Sicherheit von Arzneien zu verbessern.

Dagegen plädierte die stellvertretende Vorsitzende der Bundesärztekammer, Ursula Auerswald, für die Einführung eines elektronischen Rezepts. Über eine bundesweite Datenbank könnten die Medikamenten-Daten eingegeben werden. Auch die Krankenkassen favorisieren das elektronische Rezept. Der stellvertretende AOK-Bundesvorsitzende Rolf Hoberg hält den Patientenpass für "nicht ausreichend". Der Pass dokumentiere lediglich, welche Medikamente die Apotheke an die einzelnen Patienten abgibt. "Wenn man die Patienten schützen will, muss es einen weitgehenden und vor allem auch umgehenden Datenaustausch zwischen allen Beteiligten geben." Der Gesetzgeber solle dafür bald die nötigen Rechtsgrundlagen schaffen. Probleme mit dem Datenschutz sieht die AOK nicht. Ein Missbrauch der Informationen müsse durch entsprechende Vorschriften ausgeschlossen werden. Den Medikamentenpass bezeichnet die AOK als "Irrweg". Die Karte werde die Sicherheit von Arzneien nicht verbessern, aber "milliardenschwere, nutzlose Mehrkosten" verursachen.

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