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Rürup überfordert Politik

19.07.2004  00:00 Uhr
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Rürup überfordert Politik

von Thomas Bellartz, Berlin

Vorhang auf zum Sommertheater 2004; im Mittelpunkt: die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung. Dem Auftritt von Professor Dr. Bert Rürup in Berlin folgte nicht nur die zu erwartende Ablehnung durch die Regierungskoalitionen, sondern auch ein heftiger Schlagabtausch innerhalb der Union. Der Gesundheitspolitik steht auch in diesem Jahr ein heißer Herbst bevor.

Eine klare Absage kam aus dem BMGS: Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) sieht in den jüngsten Vorschlägen Rürups „keine Basis für eine umfassende Reform des Gesundheitssystems“. Eine Kopfpauschale werde „viele Menschen zu Bittstellern machen“, sagte sie am Montag in Düsseldorf. Das zeige die Erfahrung der Schweiz, wo dieses System mit wenig Erfolg eingeführt worden sei.

Unterdessen entspannt sich die Lage im Lager von CDU und CSU. Nach einer Sitzung des Parteivorstands signalisierte Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber die Bereitschaft zum Kompromiss. Der Kanzlerkandidat der Union hatte Rürups Vorschläge als „Brücke“ bezeichnet, aber auf eigenen Positionen gegenüber der CDU zunächst beharrt. Der CSU-Chef hatte mit der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel am vergangenen Wochenende vereinbart, dass man in der zweiten Jahreshälfte ein gemeinsames Konzept entwickeln wolle. Damit zeichnet sich immer klarer ab, dass die Finanzierung der Krankenversicherung zum Wahlthema Nummer eins bei der nächsten Bundestagswahl werden könnte. Die Bürger müssten dann die Entscheidung zwischen Bürgerversicherung und Kopfpauschale treffen – wenn nicht vorab ein Konsens zwischen Regierung und Opposition gefunden wird. Das ist fraglich, weil auch die unionsinternen Querelen der vergangenen Tage nicht ausgestanden scheinen. Die politische Sommerpause hat gerade erst begonnen – ebenso wie die neuerliche gesundheitspolitische Diskussion. Nicht zu vernachlässigen dürfte aus Sicht der Leistungserbringer die am Rande von Rürup angedeutete Debatte über einen Ausbau des Wettbewerbs im Gesundheitssystem sein.

Überraschend eng an die Seite seines Parteichefs ist Horst Seehofer gerückt. Der frühere Gesundheitsminister zählt zu den Gegnern einer Kopfpauschale und sympathisiert mit der Bürgerversicherung. Das schmeckt vielen in der Union nicht. Trotzdem bleibt Seehofer bei seiner offenen Kritik an dem Finanzierungsmodell der Kopfpauschale: „Wir müssten die Einkommenssteuer massiv erhöhen oder die Mehrwertsteuer. Beides können Sie der Wirtschaft nicht zumuten und der Bevölkerung auch nicht.“ Ein Sozialausgleich sei aber durch Zuschläge auf höhere Einkommen möglich.

Nach Vorstellung der CSU sollen Wohlhabende auch künftig mehr zahlen als Geringverdiener. „Wir haben immer gesagt, wir brauchen eine soziale Staffelung“, sagte Stoiber nach der Sitzung. Basis für eine Einigung seien die Vorschläge der Rürup-Kommission. Auch CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer hatte sich am Montag gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ausgesprochen. Man werde die Vorschläge Rürups jetzt „genau durchrechnen“, damit man bei den Parteitagen zum Jahresende entscheiden könne.

Die großen Sozialverbände VdK und SoVD kündigten massiven Widerstand an und warnten vor einem „Armuts-TÜV“. Nach Berechnungen von Experten müssten bei der Einführung einer Kopfpauschale 13,5 Millionen Haushalte ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse offen legen. „Der VdK wird auf breiter Front dagegen kämpfen. Wir werden nicht hinnehmen, dass Millionen von Menschen beim Armuts-TÜV auf den Ämtern erniedrigt werden“, sagte VdK-Präsident Walter Hirrlinger. Merkel könne sich auf eine Verfassungsklage gefasst machen.

Zu Rürups Kritikern zählt – natürlich – Professor Dr. Karl Lauterbach. Der Regierungsberater und Schmidt-Vertraute bemängelte: „Jeder dritte Haushalt in Deutschland muss zur Bedürftigkeitsprüfung.“ Das ist Wasser auf die Mühlen derer, die befürchten, dass das CDU-Modell grundsätzlich stärkere Einschnitte bringe als die Bürgerversicherung.

Mittlerweile ist die Zahl der Modelle zur Finanzierung der GKV inflationär. Aus Sicht der Kaufmännischen Krankenkasse KKH sollten sich die privaten Krankenversicherer am Solidarsystem beteiligen und in Fonds des Risikostrukturausgleichs der gesetzlichen Krankenversicherung einzahlen. Dadurch könne der durchschnittliche Beitragssatz der gesetzlichen Krankenkassen um 0,3 bis 0,4 Prozentpunkte gesenkt werden, sagte KKH-Vorstandschef Ingo Kailuweit. Die derzeit diskutierten Reformvorschläge Bürgerversicherung und der Kopfpauschale lehnte er als „wenig praxistauglich“ ab.

Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP im Bundestag, Dr. Dieter Thomae, glaubt nicht an einen Erfolg des CDU-Modells: „Die Ergebnisse des Leipziger Parteitages der Union landen dem Anschein nach im Mülleimer.“ Entscheidend sei das Konzept der FDP, die ein Prämiensystem mit sozialem Ausgleich beschlossen habe. Thomae: „Die Bürgerversicherung ist eine Mogelpackung, die Kopfpauschale berücksichtigt die Alterspyramide und den technischen Fortschritt nicht.“ Top

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