Konsens mit Schmidt |
28.05.2001 00:00 Uhr |
DEUTSCHER ÄRZTETAG
Ärzte und Ulla Schmidt (SPD) haben zurzeit wenig Interesse an Dissens. Auf dem Deutschen Ärztetag in Ludwigshafen betonten Standesvertreter und die Bundesgesundheitsministerin Gemeinsamkeiten. Konflikte zeichnen sich dagegen zwischen Medizinern und Apothekern ab.
Eine Gesundheitsreform im Konsens hat Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt versprochen. "Die Reformen können nur gelingen, wenn sie gemeinsam getragen werden", sagte die SPD-Politikerin beim 104. Deutschen Ärztetag in Ludwigshafen. Sie deutete an, die Finanzierungsgrundlagen der Krankenversicherung zu ändern.
Die Bundesgesundheitsministerin betonte die Gemeinsamkeiten zwischen Bundesregierung und Ärzteschaft. Beide Seiten seien sich einig, dass jede Reform gründlich vorbereitet werden müsse. Bei dem von ihr initiierten runden Tisch solle daher zunächst festgelegt werden, wie eine optimale Versorgung der Bevölkerung aussehen könne. Anschließend müsse geklärt werden, "ob die vorhandenen Finanzierungsgrundlagen dafür ausreichen".
Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) Professor Dr. Jörg Dietrich Hoppe begrüßte die Äußerungen der Ministerin. Notwendig sei ein unvoreingenommenes Nachdenken über die Struktur der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Der oberste Vertreter der 370. 000 deutschen Ärzte bezeichnete es als ungerecht, die Höhe der GKV-Beiträge allein am Arbeitslohn zu bemessen. Der Anteil der Lohneinkommen sei im Vergleich zu anderen Einkommensarten stark gesunken. Die Ärzte fordern schon seit langem auch Miet- und Zinseinkünfte bei der Beitragsberechnung zu berücksichtigen.
Ein Konflikt mit den Apothekern zeichnet sich beim Umgang mit von Patienten zurückgegebenen Arzneimittelpackungen ab: Die Abgabe unverbrauchter Medikamente kann Kosten sparen, heißt es in einem mit großer Mehrheit abgestimmten Antrag. Der Gesetzgeber wird in dem Beschluss gebeten, die Weitergabe unverbrauchter Medikamente an andere Patienten unter Beachtung der Arzneimittelsicherheit zu ermöglichen, wenn die Packungen in einwandfreiem Zustand sind. Gestrichen wurde der Satz "Der Grundsatz der Zuständigkeit der Apotheker für die Arzneimittelversorgung soll nicht berührt werden". In der Diskussion hieß es, man wolle keine unnötigen Kriegsschauplätze auf. Ein weiterer Beschluss zu diesem Thema präzisiert, dass diese Arzneimittelverabreichung an den wirtschaftlichen Erfordernissen und Patientenbedürfnissen orientiert sei.
Bei kostenfreier Abgabe von Medikamenten durch Ärzte an andere Patienten müsse das Anliegen der Arzneimittelsicherheit oberstes Gebot bleiben. Deshalb seien folgende Kriterien zu beachten: Die Blisterverpackungen, Ampullen und Teststreifen zur Selbstkontrolle müssen sachgerecht gelagert und unbeschädigt sein; Tropfen, Zäpfchen, Salben und Säfte dürfen nicht weitergegeben werden; Das Verfalldatum darf nicht überschritten sein; Der Arzt muss Hinweise geben zur Verordnung, zur Dosierung und zu Arzneimittelrisiken. Der Beipackzettel muss mitgegeben werden. In der Begründung zum Beschluss heißt es: Angesichts der begrenzten Mittel im Gesundheitswesen ist es nicht länger hinnehmbar, dass pharmazeutisch einwandfreie und voll wirksame Medikamente vernichtet werden müssen, obwohl sie von den Patienten, die diese Medikamente zuerst verschrieben bekommen haben, nicht mehr benötigt werden.
Ärzte fordern Klärung
In einer nach Hoppes Worten "ausgesprochen würdigen Diskussion" hat sich der Deutsche Ärztetag mit der Präimplantationsdiagnostik (PID) beschäftigt und an den Gesetzgeber appelliert, rechtliche Klarheit herzustellen. Es müsse geklärt werden, in wie weit genetische Untersuchungen von Embryonen vor einer möglichen Übertragung in die Gebärmutter mit der geltenden Rechtslage zu vereinbaren seien. Es sei Aufgabe der Ärzteschaft, in dem gesellschaftlichen Diskurs auf ethische Probleme hinzuweisen, vor denen Ärzte mit ihren Patientinnen und Patienten stehen. Zum Beispiel sei nicht beantwortet, wie bei einer In-vitro-Fertilisation mit Embryonen verfahren werde, die sichtlich erkennbare Zellveränderungen haben oder ob ein künstlich gezeugter Embryo im Reagenzglas nicht untersucht werden dürfe, während ein Embryo im Mutterleib jederzeit untersucht werden darf.
In einer Entschließung hat sich der Deutsche Ärztetag gegen die Gewinnung, den Import und die Verwendung humaner embryonaler Stammzellen ausgesprochen. Das Ärzteparlament machte deutlich, dass den Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Forschung mit menschlichen Stammzellen vom Mai 2000 derzeit nicht gefolgt werden könne. Der Vorstoß der DFG ziele auf eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes ab, um die Forschung mit embryonalen Stammzellen auch in Deutschland zu ermöglichen. Vorher müsse aber die Öffentlichkeit in den Dialog über die ethischen und rechtlichen Probleme der embryonalen Stammzellforschung eingebunden werden, heißt es in einem Beschluss. Ärzte und Patienten dürften sich allerdings keine übertriebenen Hoffnungen auf eine baldige therapeutische Anwendung dieser Techniken machen.
Im krassen Widerspruch zum ärztlichen Auftrag steht die aktive Sterbehilfe, so ein weiterer Beschluss des Deutschen Ärztetages. Als Alternative zur Tötung auf Verlangen müssten die Voraussetzungen für eine weitere Verbreitung und Anwendung der Palliativmedizin verbessert werden.
Wie angetrunken
Die Ausbeutung der Arbeitskraft und Überlastung von Ärztinnen und Ärzten war ein weiteres Schwerpunktthema in Ludwigshafen, das der Marburger Bund auf die Tagesordnung setzen ließ. Insbesondere in den Kliniken seien junge Ärztinnen und Ärzte unerträglichen Arbeitsbelastungen ausgesetzt. Aus Angst vor dem Verlust des Arbeits- und Weiterbildungsplatzes lehnten sich die betroffenen Ärzte kaum gegen die Missstände auf. Klaglos werde hingenommen, dass eine Vielzahl von Überstunden weder bezahlt noch durch Freizeit ausgeglichen werde. Eine Studie habe ergeben, dass das Reaktionsvermögen eines Arztes nach ununterbrochener Arbeitszeit von 24 Stunden dem eines Autofahrers mit einem Blutalkoholspiegel von einem Promille entspricht, erklärte der Vorsitzende des Marburger Bundes, Dr. Frank-Ulrich Montgomery.
Der
Deutsche Ärztetag hat daher die Krankenhäuser als Arbeitgeber
aufgerufen, das Gesetz über die Befristung von Arbeitsverträgen mit
Ärzten in der Weiterbildung so anzuwenden, dass die erforderliche
Arbeitsplatzsicherheit garantiert sei. Die Krankenhausträger wurden
aufgefordert, ärztliche Planstellen nicht durch unbezahlte Gastärzte und
Hospitanten zu besetzen. Die Arbeitszeit soll nach den Worten eines
weiteren Beschlusses mit Stechuhren dokumentiert werden, die tatsächlich
alle geleisteten Stunden erfassen und nicht nach 20 Überstunden
automatisch abschalten.
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