Politik
Die dreijährige
gesetzliche Budgetierungsphase des
Gesundheitsstrukturgesetzes hat die ärztliche
Kollegialität nahezu zerstört und die Ärzte ihrer
Selbstverwaltung weitgehend entfremdet. Die durch mehr
als 10.000 Neuzulassungen erheblich verschärften
Verteilungskämpfe, die Dynamik der modernen Medizin und
auch der Anspruch leistungsgewohnter Patienten haben die
Leistungsmengenspirale in immer schnellere Rotation
versetzt. Mit diesen Worten beschrieb Dr. Winfried
Schorre, Vorsitzender der Kassenärztlichen
Bundesvereinigung (KBV) auf der Vertreterversammlung im
Vorfeld des 100. Deutschen Ärztetages in Eisenach die
Stimmungslage der Kassenärzte.
Erfolge verzeichnete der KBV-Vorsitzende dagegen
im Verhältnis der Ärzteschaft zur Politik. So sei es
der KBV gelungen, die Krankenkassen als die sonst immer
federführenden Organisationen bei der Vorbereitung
gesetzlicher Neuregelungen im
Bundesgesundheitsministerium abzulösen und wesentliche
Belange der niedergelassenen Ärzte im 2.
GKV-Neuordnungsgesetz (NOG 2) zu verankern. Dieses
Vertrauenskapital wolle der im März neu gewählte
Vorstand nicht verspielen. Er legte der
Vertreterversammlung einen Aufgabenkatalog bis zum Jahr
2000 vor, der die neue organisatorische Struktur und
Aufgabenverteilung umreißt. Die Arbeiten sollen stärker
projektbezogen und zielorientiert erfolgen, um die
Effizienz zu steigern.
Hauptkonkurrent der Praxen sind Krankenhäuser
Zu den innerärztlichen Problemfeldern gehört
nach Schorres Darstellung unter anderem die als Folge des
2. NOG stärker werdende Konkurrenz durch das
Krankenhaus, das sich als Gesundheitszentrum mit
ambulanten Aufgaben zu etablieren anschickt, um so den
angelaufenen Bettenabbau zu kompensieren. Bei den sich
verändernden Versorgungsstrukturen müsse es vor allem
gelingen, den innerärztlichen Honorarverteilungskampf zu
beenden und zu ordnen. Der Vorstand hat in seiner Sitzung
am 24. Mai in Eisenach den Beschluß gefaßt, "die
Ablösung der Praxisbudgets zum 1. Januar 1998 durch
regionale Maßnahmen der Mengenbegrenzung auch im
Zusammenhang mit der Vereinbarung der
Regelleistungsvolumina" anzustreben.
Regelleistungsvolumina bedeuten: Ein Punktzahlvolumen pro
Praxis, bis zu dessen Obergrenze mit festem Punktwert
vergütet wird und bei deren Überschreitung nur noch ein
abgestaffelter Punktwert arztgruppenspezifisch zum Tragen
kommt. Volumen und Punktwert müssen mit den
Krankenkassen verhandelt werden.
Schorre rief die Kassenärzte zu Reformen auf, um den
Untergang der ambulanten Versorgung durch frei
praktizierende Kassenärzte zu verhindern und nicht in
die Abhängigkeit von Profitorganisationen amerikanischer
Prägung oder selbstherrlicher Krankenkassen zu gelangen.
Er erinnerte an die "Eckpunkte zur Weiterentwicklung
des Gesundheitswesens" aus dem Jahr 1994, die eine
kooperative Praxisstruktur als Organisationsform der
Zukunft fordern. Die auf Wunsch der KBV in das Gesetz
aufgenommene Möglichkeit zum Abschluß von
Strukturverträgen eröffne den Vertragspartnern auf
Bundes- und Landesebene die Einführung solcher
vernetzter Praxisstrukturen ohne vorhergehende
Modellversuche. "Ziel des Vorstandes ist es
dabei", so Schorre, "diese Kernelemente
vernetzter Praxisstrukturen mit allen Kassenarten zu
vereinbaren, so daß unter dem Gesichtspunkt einer
bedarfsgerechten Versorgungsstruktur flächendeckend
entsprechende vernetzte Praxisstrukturen für alle
Versicherten geschaffen werden können". Die im
Gesetz verankerte Möglichkeit der Vereinbarung von
kombinierten Budgets könnte genutzt werden. Auch die
Richtgrößen für Arznei- und Heilmittel könnten für
die vernetzte Struktur mit einem erweiterten
Verordnungsspielraum festgelegt werden.
Leistungskatalog mitbestimmen
Weiterhin soll nach Darstellung des
KBV-Vorsitzenden der Grundsatz "soviel ambulant wie
möglich" umgesetzt werden. Bei zu erwartenden
Leistungsverlagerungen aus dem Krankenhaus in die
ambulante Versorgung müsse das Geld der Leistung folgen.
Die Kassen stünden aber vor dem Problem steigender
Arbeitslosenzahlen und einer sinkenden Lohnquote. Hinzu
komme ein starker politischer Druck auf die
Beitragssätze. Deshalb müßten die Kassenärzte ihre
Zurückhaltung bei der Übernahme von Mitverantwortung
ablegen und bei der Definition des GKV-Leistungskatalogs
mitwirken. Geradezu kontraproduktiv sei es jedoch, erneut
die besonderen Therapierichtungen vor einer
wissenschaftlichen Beurteilung in Schutz nehmen zu
wollen. Wer solche Leistungen in Anspruch nehmen wolle,
sollte als Patient selbst für die Kosten aufkommen.
Als Aberwitz bezeichnete Schorre den Vorschlag, allen
Versicherten unaufgefordert regelmäßig schriftlich
Informationen über die Behandlungskosten zuzustellen.
Eine solche Information könnte zwar die bestehenden
irrtümlichen Vorstellungen über die Höhe
kassenärztlicher Liquidationen endgültig beseitigen,
unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten lehnt die KBV aber
solche geldverschwendende Transparenz ab.
Der Vorstand der KBV beabsichtigt schließlich, bis Ende
1997 das Konzept für ein EDV-gestütztes
Arzneimittel-Informationssystem vorzulegen. Hiermit soll
eine Zusammenführung von Arzneimittelinformation und
EDV-gestützter Verordnung erfolgen. In diesem
Zusammenhang soll auch die Möglichkeit einer digitalen
Signatur geschaffen werden, heißt es in dem
Arbeitskonzept.
PZ-Artikel von Gisela Stieve, Eisenach
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