Von Sahnestückchen und der Chaotisierung der Versorgung |
10.05.1999 00:00 Uhr |
INFOTAINMENT
Zum Wortgefecht trafen sich beim diesjährigen Infotainment drei Kombattanten: Franz Knieps, Chefdenker der AOK, Dr. Lothar Krimmel, Kassenärztliche Bundesvereinigung, und Heinz-Günter Wolf, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands. "Wir fechten Florett", gab Moderator Dr. Paul Hoffacker, Geschäftsführer Wirtschaft und Sozialpolitik der ABDA, vor. Der Bayerische Rundfunk hat die Veranstaltung aufgezeichnet und will sie im Bildungskanal senden.
Für Franz Knieps ist das Globalbudget eine gute Sache. Es folgt dem politischen Willen, daß nicht mehr Geld in das System fließen soll und die Ausgaben demzufolge begrenzt werden müssen. Die Aufregung anderer Beteiligter, daß es in der Arzneimittelversorgung zu Einschränkungen kommen wird die Kassenärztliche Bundesvereinigung sieht das Budget im Oktober ausgeschöpft kann er nicht verstehen. Jeder Patient soll seine benötigten, ärztlich verordneten Arzneimittel auch weiterhin bekommen. Die Ärzte hätten schließlich die Möglichkeit, Besonderheiten der Versorgung zu begründen. Mit Blick auf die Sozialabgabenpflicht der 630-DM-Jobs, ist Knieps gelassen. Die Schätzungen, wieviele Gelegenheitsjobber davon betroffen wären, schwankten zwischen zwei und sechseinhalb Millionen. Es müsse zunächst einmal differenziert werden, was sozialpolitisch gerecht und was ökonomisch sinnvoll sei.
Dr. Lothar Krimmel als Interessenvertreter der Vertragsärzte kann dem nicht folgen. Das Globalbudget als ein planwirtschaftliches Element gehe völlig an der Realität der Patientenversorgung vorbei. Patienten würden vom medizinischen Fortschritt abgekoppelt. Die gesetzliche Krankenversicherung werde bald nur noch eine Grundsicherung gewähren können, die zudem Risikoselektion betreibe. Bei einer Chaotisierung der Versorgungsformen könnten sich einzelne die Sahnestückchen des Kuchens nehmen, andere Versorgungspartner bekämen gar nichts ab. Die Ausgabenobergrenze zwinge die Ärzte zu stiller Rationierung. Er begrüßt, daß die Patientenmitspracherechte gestärkt werden sollen und fordert die Politik auf, deutlich und ehrlich zu sagen, was demnächst nicht mehr solidarisch bezahlt werden soll.
Das Globalbudget hat einen entscheidenden Webfehler: Es gibt keine Teilbudgets, die untereinander saldierbar wären, merkte Heinz-Günter Wolf an. Die vermuteten Wirtschaftlichkeitsreserven reichten nicht aus, die Effekte aus der demographischen Entwicklung auszugleichen. Insofern sei das Globalbudget in der geplanten Form ungeeignet.
Umstritten war auch die Positivliste. Die Krankenkassen wollten sie als Qualitätsinstrument, die Ärzte, um ihren Patienten gegenüber eine Argumentationshilfe bei Verordnungswünschen sowie eine Orientierung zur Vermeidung von Regressen zu haben. Wolf vertrat die Auffassung, daß die Positivliste nicht das Budgetproblem lösen wird, eher wollten die Krankenkassen ein eigenes Arzneimittel-Zulassungsinstitut installieren. Apotheker müßten die Positivliste aus betriebswirtschaftlichen Gründen eigentlich begrüßen unter anderem würde die Einschränkung der Arzneimittelvielfalt das Warenlager übersichtlicher machen -, "aber aus pharmazeutischen Gründen sind wir strikt dagegen", so Wolf.
Die Berechnung des Budgets nach dem Benchmarking alle Kassenärztlichen Vereinigungen müssen sich an den drei günstigsten orientieren ist für Ärzte und Apotheker nicht tragfähig. Regionale Morbiditätsunterschiede blieben dabei unberücksichtigt. Wolf: "Gleichmacherei der Arzneimittelversorgung auf niedrigem Niveau macht keinen Sinn." Mehr ambulant vor stationär bedeute auch höhere Arzneimittelausgaben im ambulanten Bereich und gleichzeitig Kosteneinsparungen im stationären Sektor. Wer dies durch Benchmarking bekämpfe, verbaue sich die Umsetzung von "ambulant vor stationär" von Anfang an. Wer Benchmarking im Gesundheitswesen wolle, müsse alle zur Verfügung stehenden Behandlungsmethoden inklusive des stationären Bereichs mit berücksichtigen. Sonst sei das Verfahren unseriös.
Wolf hat sich in der Diskussionsrunde vehement dagegen gewehrt, daß einmal mehr im transparentesten Sektor des Gesundheitswesens gespart werde soll, ohne daß der größte Kostenblock, das Krankenhaus endlich neu geordnet werde. Knieps beruhigte: "Das Krankenhaus kommt auch dran". Es sei ein Kernstück der Reform, darüber seien sich Politik und Krankenkassen einig. Es sei eine Vielzahl von Dingen angedacht, die im Krankenhaus gemacht werden sollen. Beispiele: Die Kriterien, wonach die Kassen den Versorgungsvertrag mit einem Krankenhaus kündigen können, sollen erleichtert werden. Es soll unter anderem auch eine Liste der Leistungen erstellt werden, die nur noch ambulant erbracht werden dürfen. Zusammen mit den niedergelassenen Ärzten soll das Leistungsspektrum der Krankenhäuser eingegrenzt werden.
Beifall erntete der Ärztevertreter für sein Unverständnis, daß die Politik noch im vergangenen Jahr die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel erhöht hat. Auch die marginale Senkung der Zuzahlung auf Arzneimittel führe nur scheinbar zu Entlastungen. Viele Patienten drängten nach Krimmels Darstellung ihren Arzt zur Verschreibung von größeren Packungen. Für eine Mark mehr bekämen sie die doppelte Menge eines Arzneimittels. Dies produziere letztlich nur mehr Arzneimittelmüll.
In der Diskussion haben die Apotheker mit Kritik nicht gespart. Friedemann Schmidt, DAV-Mitglied aus Sachsen, nannte es Vulgär-Ökonomie, daß künftig die regionalen Morbiditätsunterschiede, die zweifelsfrei in Studien nachgewiesen wurden, keine Berücksichtigung finden sollen. Karin Wahl, Baden-Württemberg, fragte am Beispiel eines MS-Kranken, ob und wie die Krankenkassen den betroffenen Mitgliedern mitteilen wollten, daß sie aus Kostengründen vom medizinischen Fortschritt ausgeschlossen seien.
Es blieben viele Fragen offen. Das eigentliche Thema, wie man langfristig gesehen mehr
Geld ins System bekommt, sei noch gar nicht andiskutiert worden. Administrative
Fehlplanungen, Fehlanreize in Vergütungs- und Honorierungssystemen für Ärzte,
Krankenhäuser und andere Einrichtungen, ein fehlgeleiteter Wettbewerb um gute Risiken und
die mangelhafte Verknüpfung von Qualität und Wirtschaftlichkeit machen nach Knieps
Ausführungen eine grundlegende Reform unerläßlich. Der AOK-Mann: "Ministerin
Fischer plant eine Revolution auch wenn zunächst nur die Erstürmung eines
Bahnsteigs übrigbleibt."
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