Politik
Obwohl sich der
Gesetzgeber strikt gegen den Versandhandel mit
Arzneimitteln in Deutschland ausgesprochen hat, halten
die Krankenkassen an ihrer Forderung nach einer
Liberalisierung des Arzneimittelvertriebes fest. Bei den
anderen Protagonisten des Gesundheitssystems stoßen sie
allerdings auf keine Sympathie. Trotzdem besteht kein
Grund zur Entwarnung, denn bei der Aussicht auf schnellen
Profit sieht nicht jeder die Notwendigkeit, sich an
Gesetze zu halten.
"Jeder Versand von Arzneimitteln schließt
unausweichlich das Recht des Patienten auf Beratung und
Information durch den Apotheker und in der Apotheke
aus", konstatierte Dr. Johannes Pieck, Sprecher der
Geschäftsführung der ABDA - Bundesvereinigung Deutscher
Apothekerverbände, auf einer Euroforum-Veranstaltung in
Frankfurt. Ohne den "Dolmetscher Apotheker"
bleibe der Beipackzettel für viele Patienten
unverständlich. "Die Position des Patienten würde
durch den Versandhandel in keiner Weise verbessert.
Gleichzeitig sei der ökonomische Nutzen marginal. Pieck:
"Bezogen auf die Gesamtausgaben der gesetzlichen
Krankenversicherung ergibt sich ein Einsparpotential von
höchstens 0,0459 Prozent." Die Kritik der
Krankenkassen an den scheinbar zu hohen Vertriebskosten
für Arzneimittel sei vollkommen unberechtigt. Unter
Berücksichtigung des gesetzlichen Abschlages von 5
Prozent liege die Handelsspanne deutscher Apotheken im
EU-Vergleich an vorletzter Stelle.
Scharfe Kritik übte Pieck an dem Londoner Unternehmen
Express Medical Services (EMS), das seit einiger Zeit
apothekenpflichtige Medikamente nach Deutschland
versendet. EMS verweigere jegliche Angaben zu seinem
pharmazeutischen Status und zu seinen Eigentümern. Zudem
werbe es für sich auf eine Art und Weise, die rechtlich
angreifbar und rundum unseriös sei. Das Unternehmen
handele ohne jegliche rechtliche Grundlage, führte Pieck
weiter aus. Zwar erlaube der deutsche Gesetzgeber, jedem
Bewohner der Bundesrepublik, Fertigarzneimittel aus
EU-Staaten auch dann zu beziehen, wenn sie in Deutschland
nicht zugelassen sind; dies sei jedoch ein reines
Individualrecht. Es gebe niemandem das Recht, einen in
Deutschland verbotenen Arzneimittelversand zu
organisieren. Die ABDA werde alle rechtlichen
Möglichkeiten nutzen, gegen EMS vorzugehen.
Eine Gefährdung des qualitativ hochwertigen
Distributionssystems in Deutschland befürchtet Professor
Dr. Hilko Meyer, Geschäftsführer des Bundesverbandes
des pharmazeutischen Großhandels. Wenn teure und häufig
verkaufte Arzneimittel über einen Versandhandel
vertrieben würden, entstünden Großhandel und Apotheken
Einnahmeverluste, die die flächendeckende und schnelle
Versorgung mit seltener benötigten Arzneimitteln
gefährde oder drastisch verteuere. "Wenn man die
Rosinen herauspickt, kann das übrige System nicht mehr
funktionieren.
Hausärzte ängstigen sich vor mächtigen
Versandapotheken
Auch die Hausärzte haben starke Vorbehalte gegen den
Versandhandel. Hauptgrund für ihre ablehnende Haltung
scheint aber nicht die Sorge um die
Arzneimittelsicherheit zu sein, sondern die Angst vor
übermächtigen Versandapotheken, die anhand von
Anwendungsstudien Standards vorgeben und so in die
ärztliche Therapiefreiheit eingreifen. Diese Erfahrung
machte Dr. Klaus-Dieter Kossow, Bundesvorsitzender des
Berufsverbandes der Allgemeinärzte Deutschlands,
zumindest bei einem Besuch in den USA. Dort konfrontieren
große Versandapotheken die Ärzte mit ihrem
Verschreibungsverhalten und geben bei Bedarf Anweisungen,
dieses zu ändern. Auch die Patienten würden darüber
informiert, wenn sie einen Arzt aufsuchen, der nach
Meinung der Versandapotheke unökonomisch verordnet.
Dieser Entwicklung will der Verbandsvorsitzende mit einem
konsequenten Disease Management begegnen, wobei nicht die
Arzneimittelkosten, sondern die Fallkosten im Mittelpunkt
stehen sollten. Hierbei hofft er auch auf die
Unterstützung durch die Apotheker.
Die Krankenkassen zeigen sich offensichtlich nur wenig
beeindruckt von der breiten Front der
Versandhandelsgegner. Wolfgang Kaesbach vom Bundesverband
der Betriebskrankenkassen kündigte an, daß bei der
Suche nach Wirtschaftlichkeitsreserven auch weiterhin der
Vertriebsweg für Arzneimittel eine Rolle spielen werde.
Einen unkontrollierten Versandhandel lehnt der
Kassenfunktionär zwar ab, von Apothekern geführte
Versandapotheken hält er aber für eine "notwendige
Ergänzung zur Einzelapotheke".
Ins Visier genommen haben die Krankenkassen vor allem die
Aufschläge für teure Medikamente. Hier sei der
Versandhandel weitaus günstiger als die Abgabe über die
Apotheke. Kaesbach kann sich deshalb vorstellen, daß die
Krankenkassen von ihren Forderungen zum Versandhandel
abrücken, wenn die Arzneimittelpreisverordnung im oberen
Bereich gekappt würde. Hierzu bemerkte Pieck, daß dies
die Apotheker schon seit einiger Zeit angeboten hätten.
Wirtschaftlich vertretbar sei eine Begrenzung der
Apothekenhandelsspanne bei teuren Medikamenten jedoch
für die Apotheken nur, wenn gleichzeitig die
Handelsspanne für preiswertere Arzneimittel leicht
angehoben werde.
Daß die Vorbehalte von Apothekern und dem Großhandel
gegen den Versandhandel nicht aus der Luft gegriffen
sind, verdeutlichte der Auftritt von Karl Heinz Thieler,
der bis zum Beginn dieses Monats Geschäftsführer von
Express Medical Services (EMS) war. Zu seiner jetzigen
Beziehung zu der Londoner Versandhandelsfirma wollte er
keine Auskunft geben. Nach seinen Angaben wurde EMS 1995
in London gegründet. Niedrige Versandkosten und niedrige
Arzneimittelpreise in Großbritannien hätten den
Ausschlag für diesen Standort gegeben. Die
Preisunterschiede innerhalb der EU seien die
Existenzgrundlage für das Unternehmen. Zudem gibt es in
Großbritannien keine Mehrwertsteuer für
rezeptpflichtige Arzneimittel. Auf der EMS-Preisliste,
die an Ärzte versendet wird und im Internet eingesehen
werden kann, sollen zur Zeit etwa 200 Medikamente stehen.
Nach Thielers Angaben hält sich das Unternehmen an die
deutschen Richtlinien bei verschreibungspflichtigen
Medikamenten. Dies wurde von Teilen des Auditoriums
bezweifelt. Unumwunden gab Thieler zu, sein Sortiment
ausschließlich nach Profit auszurichten: "Wir
wollen keine Vollapotheke sein, wir sind
Rosinenpicker."
Privaten Krankenversicherungen und Krankenkassen scheinen
Berührungsängste mit einer Firma, die nicht einmal
ihren Besitzer preisgibt, fremd zu sein.
Privatversicherte und freiwillig gesetzlich Versicherte,
die Kostenerstattung vereinbart haben, können bei ihren
Versicherungen die Rezepte einreichen. Bei einem
günstigen Preis könne die Patientenzuzahlung sogar
reduziert werden, sagte Kaesbach. Pieck warf den Kassen
vor, dabei auch Arzneimittel zu erstatten, die nicht in
Deutschland, sondern nur in England zugelassen seien.
PZ-Artikel von Daniel Rücker, Frankfurt
© 1997 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de