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Erheblicher Schaden, geringer Nutzen

22.01.2001  00:00 Uhr

Erheblicher Schaden, geringer Nutzen

von Daniel Rücker, Düsseldorf

Hauptgrund für den Widerstand der ABDA gegen Internet-Versandapotheken sind nicht vorrangig ökonomischen Überlegungen. Die mittelfristigen finanziellen Einbußen für niedergelassene Apotheken wären möglicherweise überschaubar. Weitaus gefährlicher ist der zu befürchtende Systembruch, der die perfekt organisierte flächendeckende Arzneimittelversorgung gefährden würde.

"Einen grenzüberschreitender Versandhandel kann man nicht erlauben, ohne Fremd- und Mehrbesitzverbot, das Apothekenmonopol und die Arzneimittelpreisverordnung zu gefährden." Auf einem von Marcus Evans veranstalteten Symposium warnte Lutz Tisch, Leiter der Abteilung Recht bei der ABDA, davor, die Konsequenzen zu unterschätzen, die durch die Legalisierung von Internet-Apotheken wie DocMorris entstünden.

Wenn Apotheken aus Staaten mit geringeren gesetzlichen Beschränkungen Arzneimittel nach Deutschland versenden dürften, dann wäre dies eine Diskriminierung der Inländer. Mit weitreichenden Folgen: Neben den obengenannten Gesetzen würden nach Tischs Einschätzung auch das Sachleistungsprinzip in der Gesetzlichen Krankenversicherung, der Kontrahierungszwang sowie der einheitliche Apothekenabgabepreis in Frage gestellt. Diese Konsequenzen seien erheblich gravierender als die zu erwartenden finanziellen Einbußen. In Staaten, in denen Versandhandel über das Internet zugelassen ist, bewegt sich der prozentuale Marktanteil im niedrigen einstelligen Bereich.

Auch für die Zulassung von Arzneimitteln sieht der ABDA-Jurist gravierende Änderungen. Wenn im Ausland zugelassene Arzneimittel ohne Beschränkung auf den deutschen Markt gelangen, könnten deutsche Pharma-Unternehmen ebenfalls für sich in Anspruch nehmen, in anderen Staaten kostengünstiger zugelassene Arzneimittel uneingeschränkt auf den deutschen Markt bringen zu dürfen. Die Konsequenz: Deutschland erhielte eine Regelversorgung mit fremdsprachig aufgemachten Präparaten. Dies hätte erhebliche Nachteile für die Arzneimittelsicherheit.

Den enormen Unwägbarkeiten, die mit der Zulassung von Internet-Versandapotheken verbunden wären, stehen keine erkennbaren Vorteile gegenüber. In den Punkten Arzneimittelsicherheit und Preiswürdigkeit über das gesamte Arzneimittelsortiment seien öffentliche Apotheken der virtuellen Konkurrenz überlegen. Insbesondere der Schutz der Verbraucher vor Fälschungen, Arzneimittel-Fehlgebrauch und irreführender Werbung sei bei Internet-Apotheken nicht gewährleistet.

Die Einschätzung, Deutschland werde den Versandhandel mit Arzneimitteln und auch Internet-Apotheken auf Druck der Europäischen Union erlauben müssen, teilt der ABDA-Jurist nicht. Die Regelung des Arzneimittelvertriebs falle nicht in den Zuständigkeitsbereich der EU-Kommission. Die Entscheidung liege allein beim deutschen Gesetzgeber (Siehe Kasten am Ende dieser Seite).

Tischs Vorbehalte werden von Dr. Gert Schorn, Bundesministerium für Gesundheit (BMG), in vielen Punkten geteilt. Er warnt ebenfalls davor, Internet-Apotheken zuzulassen, ohne zuvor die Konsequenzen zu bedenken. Zudem müssten die Ziele einer Legalisierung klar definiert werden.

Kriterien für die Entscheidung pro oder contra E-Commerce mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln sind aus seiner Sicht unter anderem das Patienteninteresse, die Sicherheit, ökonomische Erwägungen und die rechtliche Durchführbarkeit. In keinem Fall dürfe aber die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung in Deutschland gefährdet werden, erklärte Schorn. Dazu gehöre auch die Frage, inwieweit Internet-Apotheken die ökonomische Basis der öffentlichen Apotheken beeinträchtigen. Schorn betonte aber, dass auch die wirtschaftlichen Interessen der Krankenkassen und die Wünsche der Verbraucher berücksichtigt werden müssten.

Klare Aussagen zur Position des Ministeriums wollte Schorn nicht machen. Die neue Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hat sich bislang noch nicht zu diesem Thema geäußert. Für ausgeschlossen hält Schorn aber eine schnelle Entscheidung. Da verschiedene nationale und internationale Gesetze betroffen seien, würde sich die Entscheidung über Jahre hinziehen, erwartet er.

Schorn bezweifelt, dass sich Internet-Versandapotheken im Wettbewerb gegen öffentliche Apotheken durchsetzen könnten. Der direkte Kontakt mit dem Patienten und die Beratung bei der Abgabe seien entscheidende Pluspunkte für die Offizin-Apotheke, zumindest für die meisten. Schorn: "Vor E-Commerce müssen nur die faulen Apotheker Angst haben; diejenigen, die ihre Arbeit allein durch Schubladenziehen erledigen."

Dass Apotheker weit mehr leisten als Schubladen zu ziehen, dokumentierten Elke Christmann, Apothekerkammer Nordrhein, und Roland Jopp, Humboldt-Universität Berlin. Sie erläuterten die Möglichkeiten der Pharmazeutischen Betreuung mit Hilfe eines Computerprogramms, das in die Apothekensoftware integriert werden kann. Die kontinuierliche Betreuung der Patienten optimiere die Arzneimitteltherapie, verbessere die Lebensqualität des Patienten und reduziere die Therapiekosten insgesamt, sagte Christmann. (Detaillierte Informationen zum Basisprogramm Pharmazeutische Betreuung finden Sie in PZ 32/00, Seite 54).

Die Krankenkassen wollen trotzdem den Internet-Apotheken den Weg ebnen. Kerstin Freller, Pressesprecherin der Gmünder Ersatzkasse, verspricht sich von den Cyber-Apotheken Einsparungen und eine Verbesserung der Arzneimitteltherapie. Professionell arbeitende Internet-Apotheken könnten über Compliance-Management und pharmazeutische Beratungen den Arzneimittel-Fehlgebrauch und damit unnötige Krankenhauseinweisungen vermindern, glaubt sie.

Internet-Apotheken müssten allerdings denselben Ansprüchen genügen wie reale Apotheken. Sie müssen ihren Sitz in einem EU-Staat haben, von der zuständigen Behörde kontrolliert werden und dürfen nur Arzneimittel liefern, die im Empfängerland zugelassen sind. Darüber hinaus sollten sie verpflichtet sein, das gesamte Arzneimittelsortiment anzubieten.

Ob unter diesen Voraussetzungen Internet-Apotheken überhaupt ökonomisch arbeiten könnten, ist mehr als fraglich. Das scheint auch die Branche selbst zu bezweifeln. Jens Apermann, Marketingleiter von DocMorris, schloss dann auch ein Vollsortiment für sein Unternehmen aus. "Prinzip eines erfolgreichen Händlers ist die Spezialisierung auf ökonomisch attraktive Bereiche." Versandhandel sei immer Rosinenpickerei, stellte er klar. DocMorris denke nicht daran, sämtliche in Deutschland zugelassenen Arzneimittel zu vertreiben.

Die Kriterien, deren Erfüllung Krankenkassen, Verbraucherverbände sowie die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer von Internet-Apotheken forderten, erfüllen real existierende Unternehmen also nicht. Fraglich ist auch, inwieweit sie bereit wären, behördliche Auflagen zu erfüllen. DocMorris ist zwar eine regulär zugelassene niederländische Apotheke. Gleichzeitig kokettierte Apermann aber auch damit, dass DocMorris einen "kreativen Umgang mit der Einstweiligen Verfügung des Landgerichts Frankfurt" pflege. In dieser Rechtsauffassung sahen einige Teilnehmer dann auch keine geeignete Basis für den Handel mit Arzneimitteln.

 

Wenig Gefahr vom EuGH Aus Sicht der ABDA ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Entscheidung über das Versandhandelsverbot in Deutschland treffen wird. Der EuGH kann nur von einem anderen Gericht eingeschaltet werden. Voraussetzung ist, dass die zu klärenden Sachverhalte auf europäischem Recht basieren. Die beim Versandhandel mit Arzneimitteln allgemein und im Fall DocMorris im speziellen auftretenden Fragestellungen hat der EuGH nach Auffassung von Lutz Tisch, Leiter der Abteilung Recht bei der ABDA, jedoch bereits beantwortet.

So hat der EuGH bereits geklärt, dass Beschränkungen im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Waren mit dem EG-Vertrag zu vereinbaren sind, wenn sie für nationale und internationale Anbieter gleichermaßen gelten. Dies trifft für den Versandhandel mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln zu, denn hier gilt für Deutschland nach § 43 Arzneimittelgesetz ein Versandverbot gegenüber jedermann.

Auch die Argumentation, die deutschen Vorschriften über die Arzneimittelzulassung seien eine Zugangsbeschränkung von im Ausland zugelassenen Arzneimittel in den deutschen Markt, dürfte beim EuGH nicht greifen. Denn in einem früheren Verfahren zum Parallelimport haben die europäischen Richter bereits festgestellt, dass es in Europa keine vollständige Harmonisierung der Zulassung gebe und deshalb nationale Regelungen zur Zulassung und Verkehrsfähigkeit zulässig seien. Arzneimittel, die ausschließlich die nationale Zulassung eines anderen Staates haben, sind deshalb nicht automatisch auch in Deutschland verkehrsfähig.

Auch die EU-Richtlinien bieten den Cyber-Apothekern keine Schützenhilfe. So räume die Fernabsatzrichtlinie den EU-Mitgliedstaaten ausdrücklich das Recht ein, den Versandhandel mit Arzneimitteln national zu verbieten, erklärt Tisch. Bestätigt wird das Verbot von der Teleshopping-Richtlinie, die das Teleshopping mit allen Arzneimitteln - auch mit freiverkäuflichen - untersagt.

Auch die E-Commerce-Richtlinie, bietet den Versendern kein Schlupfloch. Zwar geht die Richtlinie im Grundsatz vom Herkunftslandprinzip aus. Dies gilt aber ausdrücklich nicht für nationale Regelungen, die Voraussetzung für die Lieferung von Waren aufstellen. Das Versandhandelsverbot ist somit auch für DocMorris verbindlich, ohne dass es einer weiteren Rechtfertigung bedürfte. Damit verbundene Einschränkungen des freien Warenverkehrs stehen somit im Einklang mit europäischem Recht.

Detaillierte Informationen finden Sie auch in PZ 31/00, Seite 59f.

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