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Vertrauen und Diskretion in der Betreuung von Aids-Patienten

22.11.1999  00:00 Uhr

- Politik Govi-Verlag

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Vertrauen und Diskretion in der Betreuung von Aids-Patienten

von Christiane Berg, Hamburg

"Wir denken positiv", heißt es in der Anzeige der Alexander-Apotheke im "Hinnerk - Das schwule Magazin im Norden". Das Portrait von Alexander dem Großen, den die homosexuelle Szene für sich als Symbolfigur reklamiert, prägt nicht nur die Annonce, sondern auch das von Säulen umrundete Entree und das griechisch-römische Interieur der Apotheke von Manfred Wocker im Hamburger Stadtteil St. Georg. Wocker hat sich auf die Information und Beratung von HIV-Patienten und -Therapeuten spezialisiert.

Der Erfolg kam nicht von selbst. Wocker hatte schwierige Zeiten zu überwinden. Als der heute 42-jährige 1989 die Apotheke in St. Georg gründete, herrschte im Viertel nahe des Hamburger Hauptbahnhofs viel Leben und in seiner Offizin zunächst reges Kommen und Gehen. Zum finanziellen Einbruch kam es, als die auf der gegenüber liegenden Straßenseite ansässige Deutsche Angestellten Krankenkasse - DAK ihre Zentrale in einen anderen Stadtteil verlegte.

Das Gespräch zu umliegenden Therapeuten gesucht

"Der Gemüsehändler, die Hamburger Sparkasse, die Vereins- und Westbank, das Schuhgeschäft, der Pelzladen, der Friseur - einer nach dem anderen machte dicht. Über Nacht war die Gegend wie ausgestorben. Wir haben hier gestanden und nicht ein Mensch war mehr zu sehen", erzählt Wocker heute. Mit ganzer Kraft widmete er sich dem verbliebenen türkischen Kundenstamm. Wocker, der die Sprache der in St. Georg ansässigen türkischen Gemeinde erlernte, war sogar zu Familienfeiern eingeladen. Er erkannte jedoch schließlich, dass er sich zur Sicherung der Zukunft seiner Apotheke umorientieren muss.

Die räumliche Nähe zur größten HIV-Schwerpunktpraxis Norddeutschlands sowie zur HIV-Ambulanz des Allgemeinen Krankenhauses St. Georg veranlasste ihn, sich in die Aids-Thematik zu knien. Wocker nahm an Fortbildungs- und Arztkongressen teil und hat „jahrelang als einziger Pharmazeut unter lauter Medizinern gesessen„. Er suchte das persönliche Gespräch zu den umliegenden Therapeuten und machte die Erfahrung: "Wenn man sich kennt, dann ergibt sich alles andere ganz von selbst".

Spezielle Klientel mit besonderen Ansprüchen

Wocker: "Mit der Devise `Ich geh doch nicht bei den Ärzten betteln´ kommt man als Apotheker nicht weit". Auch habe es keinen Zweck, wie eine Spinne im Netz auf Kunden zu warten. "Als Apotheker muss man schon aus sich heraus- und auf den anderen zugehen. Das Engagement macht sich bezahlt. Dafür nehmen Patienten sogar längere Anfahrtswege in Kauf".

Bei der Betreuung von Aids-Erkrankten ist äußerste Diskretion zu wahren. Dass diese gewährleistet ist, zeigen nicht nur die Milchglasscheiben in den Fenstern zu ebener Erde des zweistöckigen Flachdachgebäudes, das mehr an eine medizinische Einrichtung als an eine öffentliche Apotheke erinnert. So werden zum Beispiel die Preise der abgegebenen Arzneimittel in der Alexander-Apotheke nicht angesagt, um zu verhindern, dass Fremde über die Höhe der Summe Rückschlüsse auf die Erkrankung ziehen.

Kompetente Ansprechpartner über Handy schnell erreichbar

Bei HIV-Infektionen kommen 3000 DM Therapiekosten pro Monat schnell zusammen - Beträge, die nicht jeder bar bei sich tragen möchte. Schon früh hat Wocker in seiner Apotheke daher die Voraussetzungen zur Zahlung mit Kreditkarten geschaffen. "Wenn es irgend geht, versuchen wir den Patienten auch insofern entgegenzukommen, als dass wir für sie die Abrechnung egal ob mit den privaten oder gesetzlichen Krankenkassen übernehmen", führt er aus.

Teil des Betreuungskonzeptes von Wocker ist, dass Anrufer sofort mit dem richtigen Ansprechpartner verbunden sind. Einer der approbierten Mitarbeiter trägt stets ein Handy bei sich. Wocker: "Lange Wartezeiten vor Lösung des Problems - das kann's nicht sein". Der Apotheker spricht von vielen Bausteinen, die zusammenkommen müssen, um Patienten und Ärzten das Gefühl zu geben: "Wir sind ganz für Sie da".

Mitarbeitern zeigen, wie wichtig sie sind

Großen Wert wird in der Alexander-Apotheke, die sonnabends geschlossen ist, auch auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter gelegt. Eine Vier-Tage-Woche, die regelmäßige Teilnahme an Fortbildungen, ein eigener PC-Arbeitsplatz sowie eigene Aufgaben und Verantwortungsbereiche zählen zu den Privilegien, die die drei Approbierten, zwei PTAs und zwei PKAs der Alexander-Apotheke genießen. Alle approbierten Mitarbeiter befinden sich in der Weiterbildung zum Fachapotheker für Offizinpharmazie. Wocker: "Es reicht nicht, einmal im Jahr die Firmenphilosophie rauszuhängen. Da muss man täglich am Ball bleiben. Im übrigen kann man eine ganze Menge am Rande machen, um den Mitarbeitern zu zeigen, wie wichtig sie sind".

Fachlich und sozial kompetent: Niemals darf man in einer Apotheke, die sich auf Wachstumskurs befindet, an qualifiziertem Personal sparen, ist Wocker überzeugt. Überhaupt habe er sein Unternehmen, das im Gegensatz zu anderen Apotheken gänzlich auf Schaufensterwerbung und product placement verzichtet, überprüft, „ob eigentlich jeder das macht, was er wirklich kann„ und es dann entsprechend umorganisiert. Das habe ungeahnte Ressourcen freigesetzt.

Klein, aber fein - Ein Motto, mit dem man stets gut fährt

Nicht zuletzt deshalb bleibe ihm genügend Zeit für die Pflege von Kontakten und Projekten wie die Organisation seines Großhandels mit HIV-Medikamenten, der Coincidence Pharma GmbH. Dieser bringt mit sich, dass die Alexander-Apotheke nicht auf den vollversorgenden Großhandel angewiesen und "immer schlagkräftig" ist. "Klein aber fein" nennt Wocker als Motto, mit dem er stets gut gefahren sei. Der Oberfeldapotheker der Reserve nennt regelmäßige Wehrübungen als wichtige Möglichkeit, weiterführende Kenntnisse auch in Krankenhäusern und Bundeswehrdepots zu sammeln.

Wockers Vater war lange Jahre als Auslandskorrespondent in London tätig. Von ihm motiviert hat der 197 Zentimeter messende, gebürtige Hesse zunächst Politik- Wissenschaften studiert. Nach zwei Semestern hat er das Fach gewechselt, weil er feststellte: "Hier bist Du falsch. Es gibt nur Fragen, keine Antworten. In den Naturwissenschaften ist das anders".

Nach seinem Pharmaziestudium in der Hansestadt von 1979 bis 1983 war Wocker vier Jahre lang am Botanischen Institut der Universität Hamburg tätig, bevor er sich selbständig machte. Heute ist der Unternehmer, der sich als Mitglied des Vorstands auch im Hamburger Apothekerverein engagiert, jeden Morgen um sechs Uhr in der Apotheke. "Wenn die ersten Mitarbeiter kommen, habe ich einen Großteil meines Pensums bereits hinter mir".

Gelernt, Krisen als Chance zu sehen

Entspannung findet der Liebhaber und Kenner klassischer Musik und begeisterte Motorradfahrer unter anderem beim Sportbootfahren mit seinem sechsjährigen Sohn auf der nahe gelegenen Bille, um "Hamburg auch mal von hinten zu sehen". Ab und an legen beide bei McDonald`s an, um sich einen Cheeseburger zu gönnen.

Talfahrten der vergangenen Jahre haben den Elan von Wocker nicht bremsen können. Im Gegenteil: "Sie haben dazu geführt, dass ich viele Dinge, die andere als selbstverständlich hinnehmen, sehr viel mehr genießen kann„. Er habe, sagt Wocker, gelernt, Krisen als Chance zu sehen. Top

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