Entlassungswelle erfasst Angestellte |
11.08.2003 00:00 Uhr |
Als Katzenjammer wird mitunter die Kritik von Apothekerinnen und Apothekern und deren Standesorganisationen abgetan. Doch der Niedergang einer ganzen Branche gewinnt an Fahrt. Ablesbar wird dies an den neuesten Daten zur Arbeitslosigkeit unter PTA, PKA und Approbierten.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. So deutlich, dass dies sogar für die rot-grüne Bundesregierung verständlich sein sollte. Vor Journalisten warnten ABDA-Präsident Hans-Günter Friese und der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes, Hermann Stefan Keller, erneut vor einer dramatischen Entlassungswelle in den deutschen Apotheken.
Bereits vor dem Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG) hatten alle Apothekerverbände und auch die Kammern nicht nur von einem drohenden Apothekersterben, sondern auch vom massiven Arbeitsplatzabbau gesprochen. Nun zeichnet sich ab, dass weder Friese und Keller noch die übrigen Warnenden unmotiviert jammerten, sondern leider richtig lagen.
Faktisch wurden bereits in diesem Jahr nach aktuellen Berechnungen der ABDA rund 6000 Stellen in deutschen Apotheken abgebaut. Bis zum Ende des Jahres muss damit gerechnet werden, dass weitere 4000 verloren gehen. Das bestätigt das Szenario, das sowohl DAV als auch ABDA bislang aufzeigten. Rechnet man um, dass aus vielen Vollzeit- zukünftig nur noch halbe Stellen werden, dann summiert sich dies auf die erwarteten bis zu 20.000 Jobs, die wegfallen.
Die Zahl der arbeitslosen Apotheker, PTA und PKA hat sich um mehr als die Hälfte erhöht. Differenziert man nach Berufsgruppen, so zeigt sich, dass die PTA zurzeit am stärksten betroffen sind. Bei ihnen ist die Zahl der Arbeitslosen seit Dezember um unglaubliche 84,9 Prozent gestiegen, bei den PKA beträgt der Anstieg 41,0 Prozent. Weniger stark, aber immer noch dramatisch genug, ist der Anstieg bei Apothekerinnen und Apothekern mit 18,9 Prozent.
Insbesondere zum Ende des jeweiligen Quartals hat sich die Situation verschlechtert. Das wird nach Einschätzungen aus dem Deutschen Apothekerhaus in Berlin wohl auch an den entsprechenden Kündigungsfristen liegen.
Steigerung im Juli
Auffallend war der verhältnismäßig hohe Zuwachs bei den arbeitslosen PKA im Juli. Allein in diesem Monat ist eine Steigerungsrate im Vergleich zum Juni um 12 Prozent zu verzeichnen. Dr. Stephanie Kern, verantwortlich für die Statistik im Geschäftsbereich Wirtschaft und Soziales der ABDA, kennt den Grund: „Wir denken, dass dies insbesondere daran liegt, dass den PKA nach dem Ende ihrer Lehrzeit kein Arbeitsplatz angeboten werden konnte.“ Zu viele Apotheken, die bislang ausbildeten, können sich eine Übernahme ihrer Auszubildenden nicht mehr leisten. Ertragseinbrüche und die drohenden Veränderungen tragen erheblich zur Verunsicherung bei. In den Apothekenberufen stieg die Zahl der Arbeitslosen von Juni bis Juli um 7 Prozent.
Während also der zuständige Minister Wolfgang Clement (SPD) angesichts leicht gesunkener Arbeitslosenzahlen Anfang August einen leichten konjunkturellen Aufschwung erkannt haben will, fallen Apotheken und deren Angestellten in ein tiefes Loch.
Bei den Stellenbesetzungen sind Apotheken zurzeit zurückhaltender denn je. Wird beispielsweise durch Verrentung einer Mitarbeiterin eine Stelle frei, wird diese in der Regel nicht wieder besetzt. Gleiches gilt für Angestellte im Mutterschutz. Ihr Arbeit müssen die übrigen Angestellten mit übernehmen.
Beispiel: Ein Apotheker aus den neuen Ländern hat eine Teilzeitkraft abgebaut und will in Zukunft nicht mehr ausbilden, Nacht- und Notdienste selbst machen, keine Approbierte dafür bezahlen. Er macht deutlich: „Die Zeche zahlen natürlich die selbstständigen Apotheker, weil wir deutlich weniger verdienen. Aber auch die Angestellten haben es schwer.“
Das sieht der Bundesverband der Angestellten in Apotheken (BVA) nicht anders. In einer Pressemitteilung kam auch der Verband zu dem Schluss, dass seit Ende des Jahres 2002 die Arbeitslosigkeit nicht nur um 47 Prozent angestiegen ist, sondern in großem Umfang Stunden und Gehälter reduziert werden.
Konsens für das desolate System
Eine Besserung der Marktlage ist nicht in Sicht. Denn nach dem Kosens von Regierung und Opposition zur Gesundheitsreform sollen der Versandhandel mit Arzneimitteln und der begrenzte Mehrbesitz an Apotheken das finanziell desolate Gesundheitswesen retten. Ob Apothekenketten, egal welcher Größe, mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen werden, um die geforderte Qualität zu sichern und intensiv zu beraten?
Florian Gerster (SPD), Vorstandschef der Bundesanstalt für Arbeit, geht immer wieder mit Rot-Grün hart ins Gericht. In Nürnberg weiß man, dass eine hohe Arbeitslosenquote kein kurzfristiges Phänomen ist, sie belastet Sozialkassen und Staatskasse langfristig und zwar erheblich. Nach einem von der Bundesanstalt entwickelten Szenario kostet die vom BSSichG ausgelöste Steigerung der Arbeitslosigkeit unter Apothekenangestellten Bund, Länder und Gemeinden rund 92,5 Millionen Euro.
Ministerin Schmidt scheint dies nicht zu scheren. Denn als Replik auf die ABDA-Pressekonferenz in Berlin ließ sie mitteilen, dass die Krankenkassen nicht für die Mittelstandsförderung da seien. Und auch für manchen Grünen war es schon vor Wochen klar, dass es egal sei, was mit Apotheken und deren Angestellten nach dem GMG geschehe. Unvergessen der Ausspruch des grünen Bundestagsabgeordneten Markus Kurth, der von satt gesogenen Apothekern und deren Angestellten sprach.
Brancheninsider erwarten, dass die Arbeitslosenzahlen weiter drastisch steigen werden. Denn erst, wenn der Gesetzentwurf die Hürden in Bundestag und Bundesrat genommen hat, können Apotheken und Großhandel entscheiden, was zu tun ist. Kaum vorstellbar, dass in absehbarer Zeit wieder Stellen in relevanter Zahl entstehen. Die in den vergangenen zehn Jahren neu geschaffenen Arbeitsplätze wurden innerhalb von Monaten wieder vernichtet.
Die ABDA dürfte mit ihrem Szenario leider Recht behalten. Zum Jahresende, spätestens im ersten Quartal nächsten Jahres droht eine Entlassungswelle enormen Ausmaßes.
Viele Apothekerinnen und Apotheker werden ihre Klein- und Kleinstapotheke aufgeben, manch anderer wird vom Großhandel nicht mehr beliefert werden. Experten bei den Großhändlern rechnen damit, dass bis zu einem Viertel der deutschen Apotheken in den nächsten Jahren schließen wird.
Dramatische Ausbildungssituation
Dramatisch ist auch die Situation bei den Ausbildungsplätzen. Friese hatte vor Medienvertretern darauf hingewiesen, dass deutlich weniger Verträge abgeschlossen worden seien als früher. Bestätigt wird dies in Kammern und Verbänden. Auch bei den Pharmaziestudierenden an den Hochschulen und in den PTA-Schulen sind die Sorgenfalten tief. Denn die Arbeitsämter raten längst nicht mehr jungen Frauen und Männern dazu, eine Ausbildung zur PTA oder PKA zu beginnen. Manche Schule macht sich erhebliche Sorgen um ihre Zukunft und die der von ihr ausgebildeten jungen Menschen. Schon ist von möglichen Schließungen die Rede.
Arbeitsminister Clement jedenfalls ging am Montag und Dienstag auf Ausbildungstour durch Berlin und Brandenburg. Er schaute sich in Betrieben um, in denen noch ausgebildet wird. Die deutsche Wirtschaft wirbt dafür, Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Dabei werden parallel Ausbildungsplätze ohne Sinn und Verstand vernichtet. Auf dem Plan des Ministers steht jedenfalls kein Zwischenstopp bei der – durchaus prominenten – Berliner Pharmabranche oder in einer Apotheke.
Der Wegfall von Arbeitsplätzen in Apotheken wirkt sich konkret auf die Arzneimittelsicherheit und die Qualität der Beratung aus. Besonders in vielen Landapotheken droht die rot-grüne Politik zum Fiasko zu werden. Ohnehin personell immer hart an der Grenze, werden die Leiter nun zur Selbstausbeutung gezwungen, weil sie sich Angestellte nicht mehr leisten können. Wird die Belastung zu groß, bleibt oft nur die Schließung als Ausweg.
Mit dem Ende des Geschäftsjahres wollen viele auch ihre Selbstständigkeit an den Nagel hängen. Da gehen erneut Jobs verloren – und selbstständige Unternehmer, die investieren, Menschen beschäftigen und ihre Gewinne nicht nur versteuern, sondern auch unters Volk bringen.
DAV-Chef Keller forderte in einer Pressemitteilung deswegen die Politik
erneut dazu auf, das Verbot von Versandhandel und Mehrbesitz aufrecht zu
erhalten: „Sonst gibt es noch deutlich mehr Arbeitslose in den Apotheken.“
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