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Kassen und Apotheker einigen sich

23.05.2005  00:00 Uhr
Apothekenabschlag

Kassen und Apotheker einigen sich

von Thomas Bellartz, Bonn

Die Kuh ist vom Eis: Mit einer Paketlösung beendeten die Krankenkassen und der Deutsche Apothekerverband (DAV) am Freitag die vor einer Eskalation stehende Debatte. Nicht nur Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), sondern auch der wachsende öffentliche Druck hatten die Einigung forciert.

Der Kompromiss um eine Senkung des Apothekenrabatts war am vergangenen Freitag nach einem Gespräch zwischen den Beteiligten und der Ministerin in Bonn verkündet worden. Zwei Tage vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hatte die Ministerin die Verhandlungsführer von Apothekern und Krankenkassen in das Bonner Gesundheitsministerium einbestellt. Tags zuvor glühten die Drähte in Berlin heiß. Vorausgegangen war die öffentliche Ankündigung von Schmidt im Rahmen eines Pressekonferenz am Mittwoch, sie wolle, dass sich die Beteiligten noch in der laufenden Woche einigten.

Der Kompromiss gestaltet sich überraschend schlicht: In der zweiten Jahreshälfte reduziert sich der von den Apotheken an die Kassen abzuführende Rabatt von 2 Euro auf 1,85 Euro. Mit dem 1. Januar 2006 wird dann wieder ein Rabatt von 2 Euro gewährt. Und der wird - auch dies ist Teil der Lösung ­ bis Ende 2008 festgeschrieben. Die umstrittene Formulierung im §130, Absatz 1a des SGB V wird ersatzlos gestrichen. Damit hoffen alle Beteiligten, auch in Zukunft dem strittigen Thema aus dem Weg gehen zu können.

Jedenfalls werden nicht mehr Kassen und DAV miteinander verhandeln, sondern das Ministerium wird ab 2009 mit den Apothekern ausmachen, wie viel Rabatt gezahlt werden soll. Doch nicht nur diese Neuregelung will die Ministerin schnell in eine Gesetzesänderung münden lassen. Vielmehr soll auch eine gesetzliche Klarstellung zur Diskussion um den Herstellerrabatt für einen Burgfrieden sorgen. Schmidt lobte Kassen und Apotheker für die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen und eine Lösung »im Interesse aller Beteiligten, aber ganz besonders der Versicherten zu finden«. DAV-Vorsitzender Hermann S. Keller, BKK-Chef Wolfgang Schmeinck und Schmidt lobten die Paketlösung, weil sie für eine langfristige Stabilität sorge. Für die Apotheken macht die Senkung des Kassenrabatts um 15 Cent pro Packung insgesamt rund 37 Millionen Euro aus.

Am Donnerstag tagte der DAV-Vorstand ganztägig und Keller verhandelte direkt mit dem Vorstandsvorsitzenden des BKK-Bundesverbands, Schmeinck. »Wir wollten nicht mit leeren Händen heute nach Bonn kommen«, sagte Schmeinck, auch mit einem Augenzwinkern und dem Hinweis auf den »enormen Druck«, der sich tagelang aufgebaut hatte.

Was war geschehen? In Verhandlungen um eine Anpassung des Kassenrabatts, den das GMG ausdrücklich vorsieht, konnten sich Krankenkassen und DAV nicht einigen. Die Apotheker wandten sich schließlich an die Schiedsstelle ­ eine übliche Variante innerhalb der Selbstverwaltung, wenn direkte Verhandlungen nicht zum Ziel führen. Doch über Pfingsten hatte der Vorstandschef der KKH, Ingo Kailuwait, mit Hilfe der Bild am Sonntag auf Kosten der Apothekerschaft zum großen Schlag ausgeholt und damit eine öffentliche Debatte in Gang gebracht, wie sie die Apotheken schon lange nicht mehr erlebt hatten.

Noch am Dienstag nach Pfingsten hatten der designierte ABDA-Hauptgeschäftsführer Dr. Jürgen Seitz gemeinsam mit den ABDA-Geschäftsführern Dr. Sebastian Schmitz und Dr. Frank Diener Journalisten in Berlin über die tatsächlichen Hintergründe informiert. Das hatte durchaus inhaltliche Auswirkungen: Die Kommentierung in den großen deutschen Zeitungen änderte sich. Der Vorwurf an die vermeintlich raffgierige Apothekerschaft wurde ersetzt durch erhebliche Kritik an der schlampigen Gesetzesarbeit des Gesundheitsministeriums und die Arbeit der beteiligten Parteien, die das Gesetz beschlossen hatten.

Trotzdem hatte sich Schmidt in den Kopf gesetzt, dem Spuk ein Ende zu machen. Sie sei ohnehin der Auffassung, den Apotheker, die »ja gut verdient haben«, hätten keinen Anspruch auf einen Ausgleich. Dabei hatte sogar Schmeinck in einer Pressekonferenz nicht nur öffentlich kundgetan, wie weit die Forderung der Apothekerschaft vom Angebot der Kassen differierte. Er hatte auch unmissverständlich zugestanden, dass es anscheinend berechtigte Nachforderungen gab. Warum hätten die Kassen ansonsten 40 Millionen Euro angeboten - und dies zum Start des Schiedsverfahrens. Die öffentliche Meinung drehte sich, auch wenn permanent kritisiert wurde, dass angesichts der Belastungen der Patienten eine Entschädigung der Apotheken für Einnahmeausfälle nicht akzeptabel sei.

Keller war mit der Einigung zufrieden: »Für uns ist die Planungssicherheit für die nächsten Jahre ganz wichtig.« Trotzdem bleibe natürlich ein fader Beigeschmack, sagte Keller. Damit bezog sich der Vorsitzende auf die Medienkampagne, die sich zunächst auf die Apothekerschaft konzentriert habe. Noch am Freitagmorgen hatte das ARD-Morgenmagazin eine bei den Meinungsforschern von Infratest in Auftrag gegebene Umfrage veröffentlicht. Danach wandten sich 75 Prozent gegen die Ausgleichszahlungen, 18 Prozent meinten, sie sollten nicht verzichten.

Doch die Einigung stieß auf ein ungeahntes Medienecho: In den meisten Nachrichtensendungen war die Nachricht von der Einigung die Nummer-eins-Meldung. Wohl auch deswegen war ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf, der beim Gespräch mit Schmidt dabei war, sehr erleichtert: »Wir zeigen, dass wir aktiv zum Gelingen der Gesundheitsreform beitragen. Für alle ist die wirtschaftliche Planungssicherheit von großer Bedeutung.« Die schnelle Entscheidung mache deutlich, dass die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen funktioniere.

Die Reaktionen waren fast ausnahmslos positiv. Eine Ausnahme gab es freilich. Schmidt-Berater Professor Dr. Karl Lauterbach sprach von einem Sieg seiner Ministerin. Die habe sich »mit ihrem starken Druck auf die Apotheker durchgesetzt und sie gezwungen, ihre unverschämte Forderung zurückzunehmen«. Die Apotheker lebten »in der besten aller Welten«. Lauterbach: »Sie genießen die Sicherheit von Beamten, erhalten aber das Einkommen von Unternehmern.«

Grünen-Vorsitzender Reinhard Bütikofer hatte vor der Einigung den Apothekern vorgeworfen, sie würden sich jetzt »eine zweite goldene Nase verdienen«. Nicht nur aus den Regierungsparteien, sondern auch aus der Unionsfraktion hatte es Kritik an der Position der Apothekerschaft gegeben. Umso positiver die Stimmung nach der Einigung. Andreas Storm, der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Gesundheit und Arbeit der CDU-Bundestagsfraktion, und die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Annette Widmann-Mauz, begrüßten den gefundenen Kompromiss: »Er lässt alle Seiten das Gesicht wahren.« Das maßvolle Abgabeverhalten der Apotheker in 2004 rechtfertige das Rabattmoratorium. Es sei zudem die Klärung wichtig, dass sich der Herstellerrabatt nur auf den Herstellerabgabepreis beziehe.

FDP-Gesundheitsexperte Dr. Dieter Thomae lobte zwar die Einigung als solche, kritisierte aber Schmidt für deren Einmischung: »Wie mit dem Thema umgegangen wurde, kommt einem wohlinszenierten Theaterstück gleich.« Thomae kritisierte die Vorverurteilung der Apothekerschaft in der Öffentlichkeit und den Umgang Schmidts mit dem Gesetz.

Die Apothekengewerkschaft Adexa setzt sich dafür ein, dass auch die Angestellten von der Absenkung des Kassenrabatts profitieren. Diese seien über Stellenabbau, Streichung von Sonderzahlungen und Stundenreduktion die Leidtragenden gewesen. Deshalb sei es gerecht, so Tarifexpertin Jutta Nörenberg, »wenn auch die Ausgleichszahlung weitgehend an das Personal weitergereicht wird«.

 

Mit erhobenem Haupt Die deutschen Apotheken haben ein mediales Waterloo überstanden - zurückbleiben dürfte noch nicht einmal ein blaues Auge. Dabei hatte nicht nur Ulla Schmidt bereits zum Schlag ausgeholt - sondern mit Grünen-Chef Bütikofer, Karl Lauterbach, einigen Kassenchefs und den Medien Verstärkung gesammelt. Die deutschen Apotheker standen am Pranger. Und einige Kritiker predigten multimedial von den raffgierigen Pharmazeuten - von mangelnder Moral war plötzlich die Rede, nicht aber von Recht und Wahrheit.

Der gefundene Kompromiss war vor diesem Hintergrund alternativlos. Natürlich war das Ganze die Inszenierung einer stolzen Ulla Schmidt (SPD), die für die Interessensvertreter nur Statistenrollen übrig ließ. Natürlich war das purer Wahlkampf. Aber unter dem Strich war dies das schnelle Ende einer Treibjagd, bei der immer nur die Apotheken die Gejagten gewesen wären - und nicht die Kassen, die den entsprechenden Gesetzestext unbedingt wollten; und schon gar nicht die arme Ministerin, die gegen die angeblich übermächtige Lobby kämpfen muss.

Eine krude Mischung aus Sozialneid, mangelhafter Sachkenntnis und politischem Aktionismus hat zu einer Paketlösung geführt, die natürlich nicht das bringt, was laut Gesetz drin gewesen wäre. Aber besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Wenigstens setzen die Beteiligten auf Planungssicherheit - ein echter Erfolg.

Wer glaubt, eine lang anhaltende Debatte um die Einkommen der Apotheken, eine missmutige Regierung (und Opposition), zähneknirschende Kassen und ein dementsprechend stark beeinflusstes Schiedsverfahren wären das kleinere Übel gewesen, täuscht sich gewaltig.

Alle Beteiligten haben sich aus der Affäre gezogen. Die Einzigen, die mit hoch erhobenem Haupt abtreten dürfen, sind die Apothekerinnen und Apotheker. Sie haben ihre Rechtsposition aufgegeben und sich strategisch günstigen Alternativen zugewendet. Das tröstet über den Vorgang an sich nur ein wenig hinweg. Aber das Verhandlungsergebnis kann sich angesichts der jüngsten Debatte sehen lassen. Und doch greift man sich als Bürger an den Kopf, denkt an den Spruch vom Recht haben und Recht bekommen, und hofft, dass auch Politiker lernfähig sind.

Thomas Bellartz
Leiter der Hauptstadtredaktion

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