Druck auf die Apotheker |
16.05.2005 00:00 Uhr |
Ein Absatz im GMG macht den Krankenkassen Kummer. Nach der Neufassung von § 130 SGB V müssen die Apotheker in diesem Jahr wahrscheinlich weniger Rabatt an die Kostenträger zahlen. Das Absurde daran: Der Passus kam auf ausdrücklichen Wunsch der Kassen ins Gesetz. Ihren Lapsus wollen die Verantwortlichen nun mit aggressiver Medienarbeit übertünchen.
Es gibt Menschen, die gehen offensiv mit ihren Fehlern um, andere versuchen sie möglichst lange zu verbergen. Die gesetzlichen Krankenkassen haben einen dritten Weg gewählt: Sie setzen auf Sozialneid und bedienen das Klischee vom raffgierigen Apotheker. Am Pfingstsonntag erfuhren die Leser der »Bild am Sonntag« vom Eigentor der Kassen auf folgende Weise: »Millionen-Geschenk für alle Apotheker« titelte das Boulevard-Blatt auf der ersten Seite. Auf der zweiten Seite folgten dann die vermeintlichen Fakten. Von einer »Gesetzeslücke« ist da die Rede und von einem »Geschenk« Auf 11.000 Euro beziffert die BamS den »Nachschlag für jeden Apotheker«.
Mit der Wirklichkeit hat dies allerdings nur sehr entfernt etwas zu tun. So ist es mehr als absurd, wenn KKH-Chef Ingo Kailuweit den zur Diskussion stehenden Absatz 1a von § 130 SGB V als »handwerklichen Fehler« bezeichnet. Tatsache ist: Erst nach massivem Drängen der Kassen, vor allem des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen (BKK), kam der Absatz ins Gesetz. Vor zwei Jahren hatte der BKK-Bundesverband befürchtet, die Regelungen des GMG würden die Zahl der abgegebenen Arzneimittelpackungen steigen lassen. Die Apotheker, die seit In-Kraft-Treten des Gesetzes mit einer Pauschale bezahlt werden, hätten davon profitiert. Deshalb sollte 2005 der Abschlag, den sie den Kassen gewähren an die Entwicklung der Packungszahlen angepasst werden. Wäre 2004 die Zahl der abgegebenen Packungen gegenüber 2002, dann müssten die Apotheken den Krankenkassen im Jahr 2005 mehr Rabatt einräumen; jetzt ist die Packungszahl gesunken, deshalb wird auch der Rabatt reduziert.
Schon damals hatten viele Experten vermutet, die Kassen könnten sich mit ihrem Beharren auf Absatz 1 selbst geschadet haben. Die Realität hat dies mittlerweile bestätigt. 2004 lag die Packungszahl deutlich unter dem Wert von 2002. Dementsprechend müsste der Kassenabschlag auf deutlich unter 2 Euro pro Packung sinken. Da sich Kassen und Apotheker nicht einigen konnten, muss nun die Schiedsstelle entscheiden. Ihr Urteil wird für Juni/Juli erwartet. Eine Absenkung gilt als wahrscheinlich, die Höhe des Betrags steht noch nicht fest. Die »Bild am Sonntag«-Redaktion kennt ihn dennoch bereits: 226 Millionen Euro erhalten die Apotheker 2005 als »Nachschlag«.
Kein Nachschlag
Und dieser Begriff ist bereits die nächste Unwahrheit: Beim Dissens zwischen Kassen und Apothekern geht es nämlich keinesfalls um eine Zahlung an die Apotheker, sondern um die Höhe des Rabattes, den diese den Kassen gewähren. Von einem Nachschlag kann keine Rede sein.
ABDA und Deutscher Apothekerverband (DAV) halten sich bei der Diskussion um § 130 an die Faktenlage. ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf und DAV-Vorsitzender Hermann S. Keller verweisen auf die ausstehende Schiedsstellenentscheidung. Man werde den Schiedsspruch akzeptieren, sagte Wolf dem Norddeutschen Rundfunk. Keller und Wolf verwiesen gleichzeitig darauf, dass die Gesetzeslage aus ihrer Sicht klar sei.
Der Chef des Deutschen Apothekerverbands kritisierte die Behauptung von Kassenvertretern, die Neuberechnung des Abschlags verhindere Beitragssatzsenkungen. Mit dem aktuellen Abschlag in Höhe von 2 Euro gäben die Apotheker ein Viertel ihres Einkommens als »Solidarbeitrag direkt an die Kassen weiter«.
Wenige Tage vor der wichtigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen kann die Bundesregierung die Diskussion um den Kassenabschlag natürlich nicht ignorieren. Gesundheitsministeriumssprecher Klaus Vater stellte in BamS zwar noch klar, das Gesetz sei ein ausdrücklicher Wunsch der Krankenkassenvertreter gewesen. Sie hätten sich verkalkuliert. Aber schon kurze Zeit später appellierten er und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt an die Apotheker, auf die Absenkung zu verzichten. Das Argument: Die Apotheken hätten 2004 auch so genug verdient.
§ 130 Absatz 1a, SGB V Der Abschlag nach Absatz 1 Satz 1, erster Halbsatz ist erstmals mit Wirkung für das Kalenderjahr 2005 von den Vertragspartnern in der Vereinbarung nach § 129 Absatz 2 so anzupassen, dass die Summe der Vergütungen der Apotheken für die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel leistunsgerecht ist (...) In der Vereinbarung für das Jahr 2005 sind Vergütungen der Apotheken, die sich aus einer Abweichung der Zahl abgegebener Packungen verschreibungspflichtiger Arzneimittel im Jahre 2004 gegenüber dem Jahre 2002 ergeben, auszugleichen.
Kampagne startet
Die Ministerin bezog sich dabei in ihren jüngsten Statements gegenüber Fernsehsendern auch auf die Zahlen der ABDA. Laut Schmidt hätten Apotheken demnach durchschnittlich in 2004 rund 3000 Euro »mehr verdient als im Jahr vorher«. Die jüngsten Attacken über Pfingsten waren aber nur der Auftakt für eine Kampagne, die sich in diesen Tagen nicht nur dem Arzneimittelbereich allgemein, sondern ganz speziell den Apotheken widmen wird.
Am Mittwoch (nach Redaktionsschluss für diese Ausgabe) wollte in Berlin die Gesundheitsministerin gemeinsam mit Wolfgang Schmeinck, dem Vorstandsvorsitzenden des BKK-Bundesverbandes, und dem Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas Köhler, eine Arzneimittel-Plattform präsentieren. Freilich ohne Zutun von Apothekerinnen und Apothekern. Da Schmeinck innerhalb der GKV-Organisationen für den Arzneimittelbereich zuständig ist, dürfte das Thema Kassenabschlag die Journalisten deutlich mehr beschäftigt haben, als die Präsentation der Plattform.
Eine Steilvorlage ist die aktuelle Debatte auch für einen weiteren »Freund« der Apotheken. Dieter Hebel, Chef der Gmünder Ersatzkasse, lud gemeinsam mit seinem persönlichen Arzneimittelspezialisten, Apotheker Professor Dr. Gerd Glaeske, zum Besprechen der Entwicklung im Arzneimittelsektor am Donnerstag dieser Woche ein. Dass Hebel für die Apothekerschaft ein gutes Wort bei der Ministerin oder sonstwo einlegen wird, war schon im Vorhinein ausgeschlossen.
Es steht zu befürchten, dass infolge der aktuellen Debatte und der anstehenden Medientermine der Druck weiter zunehmen und die Gemengelage vollends undurchschaubar wird.
Wie diffus das Ganze werden könnte, deutete sich am Dienstag an. Der Sozialverband Deutschland (SoVD) riet: »Die Apotheker wären gut beraten, auf die Ausgleichszahlung zu verzichten.« Stattdessen solle das Geld der Finanzierung einer Härtefallregelung dienen, die Menschen mit geringem Einkommen von der Zuzahlung für Medikamente befreie. Für die Patienten sei die gesetzliche Regelung »der blanke Hohn«. Die Apotheken würden begünstigt und die Kosten der Reform einseitig den Patienten aufgebürdet, ließ SoVD-Präsident Adolf Bauer wissen.
Die Reaktionen in den Bundestagsfraktionen und Parteien waren am Dienstag noch zurückhaltend. Dies lag allerdings in erster Linie daran, dass nach den Feiertagen nur wenige Büros besetzt waren. FDP-Gesundheitsexperte Dr. Dieter Thomae hatte bereits von einem »Millionengeschenk für die Apotheken« gesprochen und die schlampige Gesundheitspolitik der rot-grünen Bundesregierung kritisiert.
Am Dienstag verbreitete er in Berlin: »Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat bei Abfassung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes eine Regelung über einen Ausgleich der Apothekervergütungen in das Gesetz aufnehmen lassen. Danach wird bei dem als Abgeltung für den Aufwand der Apotheker je Packung bezahlten Zuschlag die Zahl der im Jahre 2002 verkauften Packungen zu Grunde gelegt. Wären 2004 mehr Packungen verkauft worden als 2002, hätten die Apotheker Geld an die Gesetzliche Krankenversicherung zurückzahlen müssen. Damit hatten die gesetzlichen Krankenkassen fest gerechnet und deshalb die Aufnahme einer solchen Regelung ins GKV-Modernisierungsgesetz betrieben.
Nun ist es aber anders gekommen. Es sind weniger Packungen verschreibungspflichtiger Arzneimittel verkauft worden. Damit haben die Apotheker eine Forderung gegenüber den Kassen. In diesem und im nächsten Jahr kann das schon wieder ganz anders aussehen. Man täte deshalb gut daran, auf dem Verhandlungsweg einen Ausgleich über einen längeren Zeitraum ins Auge zu fassen, wie das die Apotheker angeboten haben, statt nun Stimmung gegen einen Berufsstand zu machen, der diese Regelung nicht gefordert hat, aber darauf vertrauen können muss, dass Gesetze bei uns nicht einfach durch Erklärungen einer Bundesministerin in der Bild-Zeitung außer Kraft gesetzt werden können.«
Union zurückhaltend
Aus Kreisen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion äußerte man sich am Dienstag auch gegenüber der PZ zurückhaltend. Dies dürfte daran liegen, dass die Union gemeinsam mit der Regierung den Kompromiss zur Gesundheitsreform durchgesetzt hatte und nun selbst in der Kritik steht.
KKH-Manager Kailuweit nutzte die öffentliche Erregung, um derweil ein
weiteres Thema zu platzieren. Er warb erneut in einer bundesweit
verbreiteten Mitteilung für die Kooperation seiner Kasse mit dem
Internetversender Sanicare. Die wahren Intentionen mancher Diskutanten
erschließen sich eben erst auf den zweiten oder dritten Blick.
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