Deckung für Schröder und Schmidt |
31.03.2003 00:00 Uhr |
Ungeachtet des fortwährenden Ungehorsams einiger Sachverständiger und Fraktionsmitglieder schließen SPD und Grüne zumindest die Reihen ihrer Bundestagsfraktionen. Nach einem Gespräch mit dem Kanzler gaben sich auch die Gewerkschaften etwas moderater.
Der Kanzler ist der ständigen öffentlichen Diskussionen um die Reformen überdrüssig. Aus dem Kanzleramt heißt es, wenn es nach Gerhard Schröder ginge, könnten die Reformen noch schneller als geplant durchgezogen werden. Doch damit wird es wohl vorerst nichts.
Der Zeitplan ist dicht gedrängt, und ins Wanken geraten. Alleine für die innerparteilichen Abstimmungen benötigen SPD und Grüne viel Zeit. Während sich die Sozialdemokraten auf vier Regionalkonferenzen des Rückhalts aus der Basis versichern wollen, treffen sich die Grünen in ihrem 20. Parlamentsjahr zu einem außerordentlichen Parteitag im Juni. Von intensiven Gesprächen zwischen Regierung und Opposition ist nichts zu vermelden. In einigen Punkten scheinen beide noch immer meilenweit voneinander entfernt.
Und auch die jüngsten öffentlichen Anfeindungen zwischen Regierung und der von ihr selbst eingesetzten Rürup-Kommission dürften dem Reformprozess wenig zuträglich sein. Das in zwei Lager gespaltene Gremium wird am 9. April seine bisherigen Ergebnisse vorstellen. Wegen der schlechten Stimmung und der Vielfalt der Stimmen in der Kommission erwarten zurzeit weder das Ministerium noch das Kanzleramt Ergebnisse, die konkret in den Reformprozess einfließen werden. ,
Marathon
Und so absolvierten die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen mit ihren jeweiligen Spitzen einen Beratungsmarathon, um die eigenen Reihen zu schließen. Doch das, was nach außen als Geschlossenheit verkauft wird, sieht besser aus als es denn ist. Fakt ist, dass die Abgeordneten am Dienstag von ihrer eigenen Regierung und besonders von der Gesundheitsministerin mehr Detailinformationen eingefordert haben.
Nach Informationen der PZ-Hauptstadtredaktion wurde Ulla Schmidt innerhalb der Fraktion am Dienstag auch damit konfrontiert, dass Abgeordnete im Vorfeld des Beitragssatzsicherungsgesetzes (BSSichG) unzureichend informiert worden waren. Diesmal würden die Fraktionsmitglieder detailliert über die Reformen und deren erwarteten Auswirkungen informiert werden, versprach Schmidt.
Die Reihen dürften von der SPD-Spitze um Schröder und Fraktionschef Franz Müntefering insbesondere wegen der anstehenden Beratungen der CDU/CSU-Gesetzentwürfe geschlossen werden. Schließlich will die Union gerade denjenigen Abgeordneten am Freitag im Bundestag auf den Zahn fühlen, die bei der Abstimmung zum BSSichG unter Vorbehalt dafür votierten.
Alles in allem bleibt aber festzuhalten, dass das Wirrwarr der vergangenen Wochen bei SPD und Grünen vorerst ausgestanden zu sein scheint. In den Koalitionsfraktionen zeichnet sich jedenfalls eine weitgehende Unterstützung für das Reformpaket des Bundeskanzlers ab.
Der Kanzler habe in der Fraktionssitzung am Dienstag noch einmal persönlich um Unterstützung geworben, sagte Müntefering. Es sei niemand dabei gewesen, der den Diskussionsprozess nicht mitgestalten und am Ende nicht mitstimmen wolle. Ob wirklich alle Abgeordneten dem Konzept positiv gegenüber stehen, wollte auch Müntefering nicht klar stellen. Schließlich hat es keine Probeabstimmung oder ähnliches gegeben.
Schröder habe viel Beifall für die Arbeitsmarkt-Maßnahmen für schwer vermittelbare Jugendliche und Behinderte bekommen. Eine Entscheidung über die Finanzierung des Reformpaketes sei noch nicht gefallen, weil mit der Beratung gerade erst begonnen worden sei. Müntefering räumte ein, dass es in der Fraktion noch Gesprächsbedarf zu vielen Details gebe. Müntefering rechnet mit einer Entscheidung im Mai.
Schmidt will mit einer Neuordnung der Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung den Beitragssatz von derzeit 14,4 auf unter 13 Prozent senken. Das geht aus einem Papier hervor, das Schmidt am Dienstag in Berlin der SPD-Fraktion vorlegte.
Eckpunkte
In diesen Eckpunkten für ihre Gesundheitsreform heißt es weiter: Versicherte, „die sich einer rationalen Steuerung im Gesundheitswesen entziehen, sollen künftig einen Selbstbehalt in Höhe von zwei Prozent des Bruttoeinkommens leisten“. Als Ziele beschrieb Schmidt eine umfassende Verbesserung der Versorgungsqualität im Gesundheitswesen, die Intensivierung des Wettbewerbs, die Konzentration von Leistungen und Finanzierung auf das medizinisch Notwendige sowie die Transparenz von Angeboten, Leistungen und Abrechnungen. Die Kernaufgaben der sozialen Krankenversicherung und die Verfügbarkeit der medizinisch notwendigen Leistungen sollten dauerhaft gesichert werden. Die Ministerin erklärte, im Verhältnis zum Aufwand der eingesetzten Finanzmittel sei das deutsche Gesundheitswesen zu teuer, zu wenig wirksam und zu wenig an den Erfordernissen der Patienten orientiert. Das Gesundheitswesen sei dem ständigen Druck einer Vielzahl von Lobbyisten ausgesetzt.
Die Grünen-Fraktion unterstützt die von Schröder vorgeschlagenen Sozialreformen auch gegen den Widerstand der Gewerkschaften und der eigenen Parteibasis. „Es ist klar, dass wir vom Gesamtpaket jetzt nicht abweichen können“, sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt nach einer Fraktionssitzung. Über Detailfragen etwa zu Übergangsregelungen könne aber geredet werden. Sie hoffe auf das Verständnis der Gewerkschaften, dass es nicht um Sozialabbau gehe, sondern um den Erhalt bestimmter sozialer Standards.
Die Bundestagsfraktion und Parteispitze der Grünen will auch auf dem voraussichtlich Mitte Juni anstehenden Sonderparteitag bei der Parteibasis für den von der rot-grünen Bundesregierung eingeschlagenen Kurs werben. Die wirtschaftliche Situation zwinge die Regierung zu Maßnahmen, „die wir bei der Erstellung des Wahlprogramms nicht vorausgesehen haben“, räumte Göring-Eckardt ein. Sie sei aber überzeugt davon, dass die Basis für die Reformen gewonnen werde, wenn es der Parteiführung gelinge, von der Gerechtigkeit der Maßnahmen zu überzeugen.
Die Opposition kritisierte die jüngsten Pläne Schmidts heftig. Die
Ministerin selbst hatte in den vergangenen Tagen immer wieder mit neuen
Vorschlägen die Diskussionen um das Gesundheitswesen angeheizt.
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