Politik

Die juristische Auseinandersetzung um den Arzneiverordnungsreport
(AVR) 1997 des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen
(WIdO) könnte sich zu einer gesundheitspolitischen Schlammschlacht
entwickeln. Denn mittlerweile werden schon Privatdetektive engagiert, um
mehr über den Einfluß der Krankenkassen auf den AVR herauszufinden.
Zugleich wird immer deutlicher: Eine endgültige Entscheidung darüber, ob
der AVR irgendwann einmal ungekürzt erscheinen darf oder nicht, wird noch
einige Zeit auf sich warten lassen.
Rechtsanwalt Ulf Doepner rechnet damit, daß der Bundesgerichtshof (BGH) in
Karlsruhe frühestens in zweieinhalb Jahren ein rechtskräftiges Urteil fällen wird. Der
Düsseldorfer Jurist vertritt eine der Pharmafirmen, die gegen den AVR gerichtliche
Schritte unternommen haben.
Bevor sich allerdings der BGH mit dem Rechtsstreit auseinandersetzt, werden
bereits untere Instanzen vorläufige Entscheidungen getroffen haben. Unter anderem
ist vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf ein Eilverfahren gegen den AVR
anhängig, über das nach Informationen des Bundesverbandes der Pharmazeutischen
Industrie (BPI) am 6. März entschieden werden soll. Damit würde erstmals ein
Obergericht in dieser für die Gesundheitspolitik so wichtigen Rechtssache Position
beziehen.
Bislang haben sich nur untere Instanzen mit dem Fall beschäftigt und dabei den
klagenden Pharmafirmen vorläufig Recht gegeben: Der AVR ist Ende 1997 nur in
einer an vielen Stellen geschwärzten Fassung erschienen. Umstrittene Aussagen über
"umstrittene" Arzneimittel durften nicht publiziert werden.
Im Kern geht es bei der ganzen Auseinandersetzung um die Frage, ob die
Krankenkassen trotz ihrer marktbeherrschenden Stellung dezidierte (negative)
Bewertungen von Arzneimitteln veröffentlichen dürfen oder nicht. Der BPI und
mehrere seiner Mitgliedsfirmen verneinen dieses Recht. Unter dem Deckmantel der
Meinungsfreiheit versuchten die Krankenkassen, mit dem AVR Einfluß auf das
Verordnungsverhalten der niedergelassenen Ärzte zu nehmen. Der AVR sei aber
eben keine freie wissenschaftliche Veröffentlichung im üblichen Sinne, sondern eine
von den Krankenkassen ganz wesentlich beeinflußte Publikation, argumentiert der
BPI.
Ein Arzneiverordnungsreport ohne Mitwirkung der Krankenkassen wäre dagegen
nach Ansicht des Pharmaverbandes juristisch nicht zu beanstanden. Dann würde es
sich um eine von vielen kritischen Arznei-Publikationen handeln, nicht aber um ein
Werk mit "offiziösem" Charakter.
Welche Brisanz die Auseinandersetzung um den Arzneiverordnungsreport
mittlerweile gewonnen hat, macht folgende Episode deutlich: Ein Mitarbeiter des
AOK-Bundesverbandes habe gegenüber einem von Pharmafirmen beauftragten
Privatdetektiv erklärt, AVR-Mitherausgeber Professor Ulrich Schwabe habe vom
AOK-Bundesverband 15.000 DM Honorar erhalten, so Rechtsanwalt Ulf Doepner.
Allerdings sei von der Gegenseite vor Gericht deutlich gemacht worden, daß dieses
Honorar für die Mitarbeit am GKV-Arzneimittelindex überwiesen wurde. Das ist die
Datenbasis, die dem eigentlichen, bewertenden AVR zugrunde liegt.
Zu der Frage, ob auch Honorar für den Arzneiverordnungsreport selbst an Schwabe
gezahlt worden sei, hätten die Rechtsvertreter der Kassen vor Gericht nicht Stellung
nehmen können, sagt Doepner. Dieser Sachverhalt müsse von den
Kassen-Anwälten zunächst überprüft werden. Für Doepner ist die Honorarzahlung
jedenfalls ein weiteres Indiz dafür, daß es sich beim AVR nicht um eine zweckfreie
wissenschaftliche Arbeit im klassischen Sinne handelt, sondern das Werk vielmehr
den Charakter einer Auftragsarbeit zugunsten der Krankenkassen hat.
Welchen Einfluß die Inhalte des AVR auf die Umsätze von Pharmafirmen
möglicherweise haben, zeigt das Beispiel der Unternehmensgruppe Dr. Willmar
Schwabe Arzneimittel aus Karlsruhe: Im Herbst 1996 veröffentlichte die
Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ihr "vorläufiges Notprogramm zur
Abwehr existenzbedrohender Regresse". Das Notprogramm war eine Reaktion auf
die sich abzeichnenden massiven Überschreitungen der Arznei- und
Heilmittelbudgets, die zu Honorarkürzungen bei den niedergelassenen Medizinern
hätten führen können. Die Mediziner sollten deshalb nach dein Willen der KBV
weniger, billiger und gezielter verschreiben.
Die Basis für das KBV-Notprogramm bildeten die Empfehlungen des
Arzneiverordnungsreports. Folge für Schwabe Arzneimittel: In den ersten zwei
Monaten nach Veröffentlichung des Notprogramms verzeichnete der
Pharmahersteller eigenen Angaben zufolge Umsatzrückgänge von 50 Prozent in
Deutschland. Kein Wunder also, daß das Unternehmen zu den Firmen gehört, die
jetzt gegen den AVR gerichtlich vorgehen.
PZ-Artikel von Hans-Bernhard Henkel, Bonn


© 1997 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de