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Streit um AVR wächst sich aus

23.02.1998  00:00 Uhr

- Politik

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Streit um AVR wächst sich aus

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Die juristische Auseinandersetzung um den Arzneiverordnungsreport (AVR) 1997 des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen (WIdO) könnte sich zu einer gesundheitspolitischen Schlammschlacht entwickeln. Denn mittlerweile werden schon Privatdetektive engagiert, um mehr über den Einfluß der Krankenkassen auf den AVR herauszufinden. Zugleich wird immer deutlicher: Eine endgültige Entscheidung darüber, ob der AVR irgendwann einmal ungekürzt erscheinen darf oder nicht, wird noch einige Zeit auf sich warten lassen.

Rechtsanwalt Ulf Doepner rechnet damit, daß der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe frühestens in zweieinhalb Jahren ein rechtskräftiges Urteil fällen wird. Der Düsseldorfer Jurist vertritt eine der Pharmafirmen, die gegen den AVR gerichtliche Schritte unternommen haben.

Bevor sich allerdings der BGH mit dem Rechtsstreit auseinandersetzt, werden bereits untere Instanzen vorläufige Entscheidungen getroffen haben. Unter anderem ist vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf ein Eilverfahren gegen den AVR anhängig, über das nach Informationen des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) am 6. März entschieden werden soll. Damit würde erstmals ein Obergericht in dieser für die Gesundheitspolitik so wichtigen Rechtssache Position beziehen.

Bislang haben sich nur untere Instanzen mit dem Fall beschäftigt und dabei den klagenden Pharmafirmen vorläufig Recht gegeben: Der AVR ist Ende 1997 nur in einer an vielen Stellen geschwärzten Fassung erschienen. Umstrittene Aussagen über "umstrittene" Arzneimittel durften nicht publiziert werden.

Im Kern geht es bei der ganzen Auseinandersetzung um die Frage, ob die Krankenkassen trotz ihrer marktbeherrschenden Stellung dezidierte (negative) Bewertungen von Arzneimitteln veröffentlichen dürfen oder nicht. Der BPI und mehrere seiner Mitgliedsfirmen verneinen dieses Recht. Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit versuchten die Krankenkassen, mit dem AVR Einfluß auf das Verordnungsverhalten der niedergelassenen Ärzte zu nehmen. Der AVR sei aber eben keine freie wissenschaftliche Veröffentlichung im üblichen Sinne, sondern eine von den Krankenkassen ganz wesentlich beeinflußte Publikation, argumentiert der BPI.

Ein Arzneiverordnungsreport ohne Mitwirkung der Krankenkassen wäre dagegen nach Ansicht des Pharmaverbandes juristisch nicht zu beanstanden. Dann würde es sich um eine von vielen kritischen Arznei-Publikationen handeln, nicht aber um ein Werk mit "offiziösem" Charakter.

Welche Brisanz die Auseinandersetzung um den Arzneiverordnungsreport mittlerweile gewonnen hat, macht folgende Episode deutlich: Ein Mitarbeiter des AOK-Bundesverbandes habe gegenüber einem von Pharmafirmen beauftragten Privatdetektiv erklärt, AVR-Mitherausgeber Professor Ulrich Schwabe habe vom AOK-Bundesverband 15.000 DM Honorar erhalten, so Rechtsanwalt Ulf Doepner. Allerdings sei von der Gegenseite vor Gericht deutlich gemacht worden, daß dieses Honorar für die Mitarbeit am GKV-Arzneimittelindex überwiesen wurde. Das ist die Datenbasis, die dem eigentlichen, bewertenden AVR zugrunde liegt.

Zu der Frage, ob auch Honorar für den Arzneiverordnungsreport selbst an Schwabe gezahlt worden sei, hätten die Rechtsvertreter der Kassen vor Gericht nicht Stellung nehmen können, sagt Doepner. Dieser Sachverhalt müsse von den Kassen-Anwälten zunächst überprüft werden. Für Doepner ist die Honorarzahlung jedenfalls ein weiteres Indiz dafür, daß es sich beim AVR nicht um eine zweckfreie wissenschaftliche Arbeit im klassischen Sinne handelt, sondern das Werk vielmehr den Charakter einer Auftragsarbeit zugunsten der Krankenkassen hat.

Welchen Einfluß die Inhalte des AVR auf die Umsätze von Pharmafirmen möglicherweise haben, zeigt das Beispiel der Unternehmensgruppe Dr. Willmar Schwabe Arzneimittel aus Karlsruhe: Im Herbst 1996 veröffentlichte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ihr "vorläufiges Notprogramm zur Abwehr existenzbedrohender Regresse". Das Notprogramm war eine Reaktion auf die sich abzeichnenden massiven Überschreitungen der Arznei- und Heilmittelbudgets, die zu Honorarkürzungen bei den niedergelassenen Medizinern hätten führen können. Die Mediziner sollten deshalb nach dein Willen der KBV weniger, billiger und gezielter verschreiben.

Die Basis für das KBV-Notprogramm bildeten die Empfehlungen des Arzneiverordnungsreports. Folge für Schwabe Arzneimittel: In den ersten zwei Monaten nach Veröffentlichung des Notprogramms verzeichnete der Pharmahersteller eigenen Angaben zufolge Umsatzrückgänge von 50 Prozent in Deutschland. Kein Wunder also, daß das Unternehmen zu den Firmen gehört, die jetzt gegen den AVR gerichtlich vorgehen.

PZ-Artikel von Hans-Bernhard Henkel, Bonn
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