Schwarze Schafe im Cyberspace |
08.01.2001 00:00 Uhr |
Britische Apothekerverbände und das Londoner Gesundheitsministerium haben Patienten zu Jahresbeginn eindringlich davor gewarnt, verschreibungspflichtige und verschreibungsfreie Arzneimittel über das Internet zu bestellen. Viele der im Cyberspace angebotenen Medikamente und Heilmittel seien "wirkungslos oder gesundheitsschädlich". Die Warnung folgt einer ähnlichen Mahnung in Amerika.
"Natürlich sind wir nervös. Das Internet ist relativ neu und es muss abgewartet werden, ob und wie es sich als Teil der Patientenversorgung mit Medikamenten und Heilmitteln bewährt." Diese Worte aus dem Ministerium beschreiben die augenblickliche Stimmung bei den britischen Aufsichtsbehörden. Zwar gehört Großbritannien neben den Niederlanden und Dänemark zu den wenigen Staaten in Europa, die den Versandhandel mit bestimmten Arzneimittel erlauben. Gespräche mit Vertretern des Gesundheitsministeriums, der Apotheker- und Ärzteverbände sowie mit der britischen Arzneimittelbehörde (Medicines Control Agency, MCA) zeigen allerdings, dass man auf der Insel nachdenklich geworden ist.
Laut Londoner Gesundheitsministerium tummeln sich vor allem auf dem Gebiet der Alternativmedizin "beängstigend viele schwarze Schafe im Cyberspace". Dubiose Unternehmer böten verwirrten Patienten Magneten, "Bio-Resonanz-Therapien" und anderen faulen Zauber an. Eine Ministeriumssprecherin zur PZ in London: "Das ist ein sehr ernstes Problem. Wir raten Patienten dringend, immer erst einen Apotheker oder Arzt aufzusuchen."
Ohnehin dürfen auch im Vereinten Königreich nur bestimmte Arzneimittel versendet werden. "Tatsache ist, dass der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten in Großbritannien gesetzlich verboten ist", so die Ministeriumssprecherin. "Das wird auch so bleiben. Andererseits wissen wir, dass dutzende Internetseiten ethische Präparate wie Viagra anbieten und beobachten diese Entwicklung mit Sorge. Oberstes Gebot ist und bleibt die Arzneimittelsicherheit!"
Weder das Gesundheitsministerium noch die MCA wollten juristische Schritte gegen Internethändler ausschließen, sollten die auf den Internetseiten angebotenen Produkte oder Dienstleistungen gegen geltendes britisches Recht verstoßen.
Sowohl im Gesundheitsministerium als auch innerhalb der MCA ist man offenbar derzeit immer noch der Meinung, dass Internet-Anbieter von Medikamenten und Heilmitteln grundsätzlich die Chance haben sollten, bestimmte Leistungsangebote anzubieten. Dabei wird immer wieder auf das Argument verwiesen, Großbritannien und der britische Apothekensektor könnten sich nicht von der weltweiten Entwicklung hin zu mehr E-Commerce abschotten.
Allerdings räumen Ministeriumsvertreter in Hintergrundgesprächen ein, dass es sowohl an den nötigen Erfahrungen mit pharmazeutischen Internetangeboten fehlt. Ferner seien die gesetzlichen Bestimmungen "bestenfalls lückenhaft". Die von der Royal Pharmaceutical Society (RPS) in London kürzlich verabschiedeten Internet-Richtlinien klären nach Ansicht des Londoner Gesundheitsministeriums nicht alle offenen Fragen.
"Es muss darum gehen, einerseits den Patienten vor dubiosen pharmazeutischen Anbietern zu schützen, andererseits aber den Apotheken Wege zu öffnen, das Internet stärker als bisher als zusätzliches und legitimes Betätigungsfeld zu öffnen", so die Sprecherin des Gesundheitsministeriums.
Ähnliche Problemen plagen zurzeit auch die Behörden auf der anderen Seite des Atlantiks. Die amerikanische Regierung hatte zu Jahresbeginn eine Warnung an Patienten erlassen, nachdem mehrere Todesfälle, bedingt durch falsche Internet-Therapien, bekannt geworden waren. Die amerikanische Federal Trade Commission (FTC) identifizierte mehr als 800 dubiose Websites, auf denen riskante Arzneimittel und/ oder Heilmethoden angeboten werden. Mehrere Website-Betreiber werden in den USA inzwischen strafrechtlich verfolgt, weil sie auf ihren Internetseiten Patienten falsche Hoffnungen auf Heilung machen.
Die FTC zitierte diverse, haarsträubende Einzelfälle. Eine an Brustkrebs leidende 58jährige Patientin aus Fort Worth (Texas) ging einem Internet-Anbieter von Hydrazin-Sulfat auf den Leim. Nachdem die Patientin die toxische Chemikalie drei Jahre lang in der Hoffnung eingenommen hatte, sie würde eine Wiederkehr des Krebses verhindern, kam die Ernüchterung: Onkologen stellten Krebs in der Brust und in der Leber der Patientin fest.
Trotzdem boomt das Internet. Laut FTC suchten im vergangenen Jahr mehr als 34 Millionen
Amerikaner medizinischen Rat im Internet. Das waren 56 Prozent mehr als im Vorjahr.
Derzeit gebe es rund zehn Millionen Websites, die sich mit Gesundheitsfragen
beschäftigten. Auf Gesundheitsfragen spezialisierte Internetanbieter erzielen laut FTC
inzwischen Jahresumsätze von mehr als 35 Milliarden DM.
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