Geballte Information |
08.10.2001 00:00 Uhr |
Der Mensch ist "gläserner" geworden. 50 Jahre, nachdem Watson und Crick die Struktur der Helix aufklärten, legten zwei Forschergruppen Anfang des Jahres unabhängig voneinander einen vorläufigen Bauplan menschlichen Lebens vor. Zwischen dreißig- und vierzigtausend Gene umfasse diese Landkarte des humanen Erbguts, vermutet Professor Dr. Dr. Werner Müller-Esterl vom Frankfurter Universitätsklinikum.
Eigentlich eine herbe Enttäuschung, wenn man bedenkt, dass schon die Ackerschmalwinde 26.000 verschiedene Gene trägt, beschrieb der Biochemiker. Aber es zähle nicht Quantität, sondern Qualität. Um plausibel erklären zu können, wie es in der Evolution zu so gravierenden Unterschieden zwischen Lebewesen kam, müsse man sein Augenmerk auf den Fluss der biologischen Information vom Gen über die RNA bis zum Protein werfen.
Nur ein Drittel aller Gene kodiert für RNA, insgesamt sind es aber nur 1 bis 2 Prozent des Genoms, die letztlich die Baupläne für Eiweiße liefern, erklärte Müller-Esterl. Dieser scheinbar geringen Informationsdichte steht ein unendlich komplexes Proteom gegenüber. Der Grund: Aus ein und derselben genetischen Information entstehen nicht grundsätzlich identische Proteine. Aus einem Gen können nach der Transkription in RNA durch alternatives Spleißen oder das so genannte RNA-Editieren verschiedene Produkte entstehen, die dann in unterschiedliche Proteine übersetzt werden. Als Beispiel nannte der Referent die beiden Lipoproteine ApoB-100 und ApoB-48. Beide seien Produkte des gleichen Gens.
Neben dem Spleißen, bei dem unterschiedliche Abschnitte aus der RNA geschnitten werden, ist auch eine Modifikation auf der Ebene des Proteins möglich. Dabei werden bei Bedarf Bereiche der Peptidkette abgeschnitten oder das Eiweiß phosphoryliert. Die Varianten, die sich durch die posttranslationale Modifikation eröffnen, seien enorm, so Müller-Esterl.
Allein durch Spleißen und Editieren könnten aus 40.000 Genen wahrscheinlich 400.000 Proteinvarianten gebildet werden. "Hier liegt der Schlüssel für den Werdegang der Menschheit", vermutet der Experte.
Mit Hilfe des Genomprojekts habe man eine erste Mauer durchbrochen, nun türmten sich dahinter aber neue auf, und man wisse nicht wie viele. Mit Hilfe der Proteomik wollen die Forscher nun dieser Diversität auf die Spur kommen. Dabei helfen moderne Techniken wie die an Massenspektroskopie gekoppelte zweidimensionale Elektrophorese oder die Röntgenstrukturanalyse. Zunächst müssten Proteine in mühsamer Kleinarbeit identifiziert und ihre Struktur aufgeklärt werden. Als letzten Schritt gilt es, die Funktion der Eiweißbausteine zu bestimmen. Inzwischen ist zudem eine quantitative Analyse des Expressionsmusters mit Hilfe so genannter Proteinchips möglich.
Auch wenn die Forschung nach Meinung Müller-Esterls noch am Anfang
steht: Genomik und Proteomik werden die Wissenschaft in den nächsten
Jahrzehnten in eine völlig neue Richtung lenken. Müller-Esterl:
"Dieses geballte Informationspotenzial wird zu nachhaltigen
Veränderungen im Spektrum der verfügbaren Arzneistoffe und Diagnostika
führen. Und wir stehen noch ganz am Anfang."
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