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Herbst-Impfungen in der Geriatrie

Plädoyer fürs Impfen

Covid-19, Influenza, Pneumokokken- und RSV-Erkrankungen: Dr. Anja Kwetkat, Leiterin der Arbeitsgruppe Impfen der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG), plädiert dafür, jetzt bei der immunologisch sensiblen Gruppe der älteren Menschen für einen breiten Impfschutz zu sorgen.
Elke Wolf
17.11.2023  15:30 Uhr

PZ: Frau Dr. Kwetkat, die Pandemie ist vorüber, aber die Viren sind geblieben. Die Erkältungswelle nimmt gerade an Fahrt auf. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage bezüglich der klassischen Herbst-Winter-Viren an Ihrer Klinik in Osnabrück ein?

Kwetkat: Bei uns in der Klinik zieht die Situation an, und das betrifft sowohl die Mitarbeiter als auch die Patienten. Unter den Patienten, die wir hier stationär in der Geriatrie betreuen, ist der Anteil der Covid-19-Positiven deutlich gestiegen. Derzeit werden vermehrt ältere Patienten eingeliefert, und zwar oft nicht aufgrund von Symptomen einer Atemwegsinfektion, sondern eher wegen Stürzen, zunehmender Schwäche oder Immobilität oder auch der Dekompensation einer Grunderkrankung wie der Herzinsuffizienz. Weil in der Klinik weiterhin routinemäßig auf Covid-19 bei der Aufnahme getestet wird, wird so die Infektion direkt festgestellt. 

Es stellt sich ja immer die Frage, ob sie nun mit oder wegen der Coronainfektion eingeliefert werden. Man weiß, dass Senioren bei nahezu allen Infektionskrankheiten eher untypische Symptome zeigen, also etwa Schwäche, Stürze, neu aufgetretene Inkontinenz oder akute Verwirrtheit, und so gar nicht die klassischen Beschwerden wie Fieber oder Husten haben. Das ist bei Covid-19 genauso. Ältere Coronapatienten klagen meist nicht über Atemnot – auch dann nicht, wenn wir eine veränderte Sauerstoffsättigung festgestellt haben. Das ist zwar unspezifisch, aber fast schon wieder typisch, dass die Älteren eine stille Unterversorgung haben, die klinisch nicht in Form einer Atemnot in Erscheinung tritt.

PZ: Wird es bei anderen Atemwegserregern wie Influenza oder RSV immer noch Nachholeffekte geben?

Kwetkat: Nachholeffekte betreffen eher die Jüngeren. Das konnten wir in der vergangenen Saison vor allem bei den jungen Patienten beobachten, die durch die Isolation während der Lockdowns keinen Kontakt mit Erregern hatten. Die hohen Zahlen an Atemwegsinfektionen sind Ausdruck eines mangelnden Trainings des Abwehrsystems, welches infolge der Schutzmaßnahmen über drei Jahre hinweg deutlich weniger gefordert war.

Bei den Älteren ist es de facto so, dass sie alle schon mal Kontakt zu Grippe- und RS-Viren gehabt hatten. Von daher kann man von einem Restschutz ausgehen. Ich denke, dass wir im kommenden Winter vermutlich alle drei Infektionen sehen werden, also sowohl nochmals COVID-19, als auch Influenza und RSV. Aufgrund der bisher nicht üblichen Diagnostik auf RSV ist die Krankheitslast durch RSV bei Älteren vermutlich bisher schlicht unterschätzt worden. Von der Grippe sind die Älteren vor allem immer dann besonders stark betroffen, wenn vorrangig der Influenzastamm H3N2 kursiert.

PZ: Deshalb sind die Auffrischimpfungen gegen Covid-19 in den Risikogruppen so wichtig.

Kwetkat: Menschen, die aufgrund ihres Immunstatus, chronischer Erkrankungen oder ihres Alters ein erhöhtes Risiko haben, an einer SARS-CoV-2-Infektion oder auch Influenza schwer zu erkranken, sollten mit Auffrischimpfungen ihre Immunantwort verbessern. Das geht mit einer möglichst passgenauen Ausrichtung der Vakzinen auf die aktuell zirkulierenden Viren, deshalb macht die Anpassung der Impfstoffe Sinn. In engerem Sinne kann man deshalb nicht von eine Boosterung der Immunantwort sprechen, sondern von einer Auffrischung, da es sich nicht um identische Impfstoffe handelt.

Des Weiteren wird die Auffrischung Heilberuflern und medizinischem Personal empfohlen, weil sie durch den häufigen Patientenkontakt einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind.

PZ: Fünf oder gar sechs Covid-19-Impfungen innerhalb von drei Jahren bei Senioren: Können zu viele Booster beziehungsweise Auffrischungen schädlich sein?

Kwetkat: Die STIKO geht nicht von einem besonderen Risiko aus. Grundsätzlich ist die Empfehlung sogar so, dass im Zweifelsfall, also bei unklarem Impfstatus, geimpft werden soll, da das Risiko einer »Überimpfung« als geringer eingeschätzt wird als der unzureichende Schutz gegen die jeweilige Infektionskrankheit. 

Mit der Empfehlung der STIKO, ältere Personen über 60 Jahre gegen Covid-19 zu impfen, hat die Coronaimpfung den Stellenwert einer jährlichen Wiederholungsimpfung bekommen. Wobei mindestens zwölf Monate seit dem letzten Antigenkontakt – sei es per Impfung oder per Infektion – vergangen sein sollten. Insofern ist die Coronaimpfung nun mit der Influenza vergleichbar.

PZ: Kann man gegen Covid-19, Influenza und Pneumokokken bei einem Termin impfen, wie jetzt von der STIKO empfohlen? Ist das sinnvoll oder eher eine Maßnahme, um die Impfraten hochzubringen?

Kwetkat: Bei allen drei Krankheiten handelt es sich um Totimpfstoffe. Insofern ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie immunologisch interagieren. Klar ist auch: Es handelt sich um eine Kann- und nicht um eine Muss-Empfehlung der STIKO. Letztendlich wird der Arzt unter Berücksichtigung der individuellen Patientensituation entscheiden, ob er die drei Impfungen auf einmal gibt oder diese auf mehrere Termine verteilt.

Die Drei-an-einem-Tag-Variante würde auch bedeuten, dass zwei der Impfungen in einen Arm gegeben werden müssen. Das kann zu einer stärkeren lokalen Reaktion führen. Ich habe hier tatsächlich keine Präferenz. Für mich ist das primär eine Frage der jeweiligen Situation. Ich kann daher sowohl verstehen, wenn man zur Vermeidung des vollen Wartezimmers beim Hausarzt lieber nur einen Impftermin wahrnehmen möchte. Wer Sorge vor möglichen Impfreaktionen hat, kann aber ebenso die Impfungen nacheinander durchführen lassen. Eine jeweils individuelle Lösung ist nun gut möglich. 

Die STIKO empfiehlt schon recht lange Menschen mit Grunderkrankungen und Senioren ab 60 im Herbst die Impfung gegen Pneumokokken. Das ist allerdings nur wenig bekannt, die Impfraten sind sehr niedrig. Pneumokokken können zu schweren Infektionen mit Pneumonie, Sepsis und Meningitis führen. Seit wenigen Wochen wird Personen ab 18 Jahren, bei denen eine Pneumokokken-Immunisierung angezeigt ist, die Verwendung eines 20-valenten Konjugatimpfstoffs empfohlen, der seit vergangenem Jahr zugelassen ist. Er vereint praktisch die Vorteile der bisherigen Vakzinen. Der bisherige 13-valente Konjugatimpfstoff deckte 10 Serotypen weniger ab als der 23-valente Polysaccharidimpfstoff. Der neue 20-valente Konjugatimpfstoff hat nun eine ähnliche Breite bei gleichzeitig stärkerer Immunstimulation.

PZ: Das Referenzlabor für Streptokokken an der Uniklinik der RWTH-Aachen meldete im September schon mehr invasive Pneumokokken-Fälle als sonst in einem ganzen Jahr. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen in der Geriatrie?

Kwetkat: Nein, das kann ich nicht bestätigen. Das ist vermutlich dem Umstand geschuldet, dass der definitive Nachweis der Pneumokokken – bei den Älteren viel seltener gelingt. Ein möglicher Grund: In der Geriatrie von den Betagten ein verwertbares Sputum zu bekommen, ist oft gar nicht möglich. Bei ihnen ist der Hustenstoß nicht mehr so effizient und deshalb ist in den Proben oft mehr Speichel als Sputum. Dadurch wird dann eigentlich nur die Mundflora nachgewiesen und nicht das, was sich tiefer in den Bronchien eingenistet hat. Wir können also die Pneumonie klinisch nachweisen, aber in den seltensten Fällen per Erregernachweis. Den haben wir meist erst dann, wenn die Erreger in die Blutbahn übergetreten sind.


PZ: Dass das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) auch für ältere Menschen eine Gefahr darstellen kann, war vor der Pandemie kaum bekannt. Jetzt gibt es sogar Impfstoffe für diese Personengruppe. Wie wichtig ist die RSV-Impfung für Senioren?

Kwetkat: Noch vor ein paar Jahren hat man RSV weniger wahrgenommen, weil man auf den Erreger bei respiratorischen Infekten nicht routinemäßig getestet hat. Erst wenn man mit den gewöhnlichen Behandlungsmethoden nicht weitergekommen ist und im Rahmen einer Bronchoskopie quasi auf eine ganze Batterie an Erregern getestet hat, stieß man durchaus auch auf RSV bei Älteren.

Ich möchte sagen, dass man vor der Pandemie vermutlich die Belastung durch RSV bei den Alten und Hochaltrigen unterschätzt hat. Über verbesserte Testmethoden und Routinetestungen ist auch die Krankheitsschwere für Risikopatienten besser zutage getreten, die sich durch Intensivaufenthalte und Beatmungspflicht äußern kann. Insofern hat diese Impfung bei Senioren durchaus ihre Relevanz. 

PZ: Hat sich die Impfung gegen Gürtelrose etabliert?

Kwetkat: Ein Krankheitsbild, das uns Sorgen macht, ist in der Tat der Herpes zoster. Auch hierbei sind die Impfquoten sehr gering. Er zeigt sich völlig anders, nicht im Sinne von lebensbedrohend. Doch kommt es zu einer Zoster-Neuralgie, kann sie für die Betroffenen sehr belastend werden. Zumal die Schmerzen oft nur schwer zu behandeln sind und die Therapie nicht frei von Nebenwirkungen ist. Ich kann nur an jeden Senior appellieren, die Gürtelrose-Impfung wahrzunehmen.

PZ: Was erwarten Sie für den bevorstehenden Winter?

Kwetkat: Er wird uns ordentlich fordern. Die Tatsache, dass mit Covid-19 eine weitere respiratorische Erkrankung hinzugekommen ist, bedeutet für den Klinikbereich mehr isolationspflichtige Patienten. Daraus folgt unabhängig von der Krankheitsschwere eine zusätzliche Belastung in der Versorgung. Wir werden wieder schnell an räumliche Grenzen kommen, genauso wie an Belastungsgrenzen für das Pflegepersonal. Zu bedenken: Für jeden Gang in ein Isolationszimmer hat man sich komplett umzukleiden. Das macht die Versorgung äußerst zeitintensiv. Nehmen wir als Beispiel das vorangegangene Frühjahr: Es gab die restlichen Influenza-Infizierten, zudem die RSV-Patienten plus die ausklingende Pandemie mit den Covid-19-Positiven und dann kamen neu die MRSA-Patienten hinzu, die wir lange nicht mehr gesehen hatten, die aber auch isolationspflichtig sind.

Das geht auch an den Patienten nicht spurlos vorüber: Sie sind belasteter, wenn sie allein liegen, kohortiert sind und das Zimmer nicht verlassen dürfen. Das betrifft vor allem die Älteren. In der Geriatrie ist das Tragen von Masken besonders einschneidend. Die Maske ist kommunikationshemmend. Kommen noch Hörprobleme hinzu, ist der Austausch schwierig und anstrengend. Auch für die Patienten ist das Tragen der Masken beschwerlich und die Handhabung oft gar nicht selbstständig durchführbar.

PZ: Der Nutzen der Maske ist unbestritten. Dennoch wird sie geliebt und gehasst zugleich.

Kwetkat: Ich gebe zu: Der Wegfall der generellen Maskenpflicht in der Klinik kommt einem Freiheitsgewinn gleich. Auch wenn jeder die Erfahrung hat sammeln können, dass die Masken einen prima Infektionsschutz bieten. Dass die Mitarbeiter nun selbstbestimmt entscheiden können, ob sie sich durch das Masketragen besser geschützt fühlen, finde ich eine gute Entwicklung. Wer bei einer leichten Schniefnase dennoch zur Arbeit kommt, weil er sich ansonsten fit fühlt, kann sich nun durch die Maske schützen. Dieses Verhalten wird heute auch als positiv gewertet im Sinne von »Danke, dass du Rücksicht nimmst«.

Dennoch wünsche ich mir, dass sich alle Beteiligten – also Patient, Angehörige, Pflegepersonal, Ärzte – gut durchimpfen lassen. Jede Infektion, die wir über den Weg der Impfung vermeiden oder die dadurch glimpflich ohne Krankenhausaufenthalt abläuft, ist günstig für alle Beteiligten. Insofern halte ich das Impfen in Apotheken für sinnvoll, da es sicher eine geeignete Maßnahme ist, die Impfquoten zu steigern. Vermutlich ist aber davon auszugehen, dass Patienten mit diversen Vorerkrankungen ohnehin entsprechend häufiger den Hausarzt aufsuchen und somit auch gut in der Praxis zu versorgen sind.

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