Pharmaunternehmen klagen auf EU-Ebene |
Ev Tebroke |
11.03.2025 16:20 Uhr |
Mehrere Pharmaunternehmen haben beim Gericht der Europäischen Union (EuG) Klage gegen die europäische Kommunalabwasserrichtlinie eingereicht. / © Adobe Stock/Corgarashu
Mehrere Pharmaunternehmen gehen – gestärkt von ihren Branchenverbänden – juristisch gegen die europäische Kommunalabwasserrichtlinie vor. Das teilten sowohl Pharma Deutschland als auch Pro Generika mit. Die per EU-Richtlinie festgelegte hohe Kostenbeteiligung der Branche an der kommunalen Abwasserreinigung sei ungerechtfertigt und zudem eine wirtschaftliche Bedrohung insbesondere der Generika-Industrie.
Demnach haben die Pharmaunternehmen Accord, Dermapharm, Fresenius-Kabi, hameln pharma, Puren Pharma, Sandoz/Hexal, Teva, Viatris und Zentiva beim EuG Klagen erhoben. Pharma Deutschland sowie Pro Generika unterstützen nach eigenen Angaben die Klagen ihrer Mitgliedsunternehmen.
Die europäische Kommunalabwasserrichtlinie (Urban Waste Water Treatment Directive / UWWTD) sieht unter anderem vor, dass die Pharmabranche im Zuge einer erweiterten Herstellerverantwortung künftig einen Großteil der zusätzlichen Kosten für eine intensivierte Abwasserreinigung tragen muss. So sollen mindestens 80 Prozent der Kosten für Bau und Betrieb der 4. Klärstufe nach dem Verursacherprinzip auf die Hersteller von Human-Arzneimitteln und Kosmetika umgelegt werden.
Dabei geht es um größtenteils aus privaten Haushalten stammenden Abwasser, welches mit Spurenstoffen belastet ist, also mit Abbauprodukten von Arzneimitteln, die durch die menschlichen Ausscheidungen entstehen und bei jedem Toilettengang ins Abwasser gelangen. Darüber hinaus soll Abwasser den neuen Regeln zufolge künftig auch streng hinsichtlich etwa antibiotikaresistenter Erreger, Viren oder Mikroplastik überwacht werden.
»Die europäische Abwasserrichtlinie hat eklatante Mängel,« so Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin von Pharma Deutschland. Diese beträfen die Grundannahmen, die Datengrundlage, die operative Umsetzung und die Kostenabschätzung, die den Regelungen zur erweiterten Herstellerverantwortung zugrunde liegen. »Wir sehen in der Richtlinie Verstöße gegen EU- Recht und eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort und die Versorgung mit Human-Arzneimitteln in Deutschland und Europa«, erklärt Brakmann.
Nach Verbandsangaben argumentieren die Unternehmen gegenüber dem Gericht unter anderem damit, dass sich die Regelungen über die erweiterte Herstellerverantwortung nicht auf das Verursacherprinzip nach Art. 191 (2) des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) stützen ließen.
Die hohe Kostenbeteiligung soll die Pharmaunternehmen dazu bewegen, auf ökologische beziehungsweise nachhaltigere Produkte umzustellen.
»Diese Lenkungsfunktion des Verursacherprinzips kann bei Human-Arzneimitteln jedoch nicht erreicht werden, weil der gewünschte Effekt von Arzneimitteln fest mit den jeweiligen Wirkstoffen verbunden ist«, heißt es vonseiten Pharma Deutschland. Darüber hinaus ließen sich die zu beseitigenden Spurenstoffe in den kommunalen Abwässern keineswegs nur auf Human-Arzneimittel oder Kosmetika zurückführen.
Durch die finanzielle Mehrbelastung der Pharmaunternehmen aus der Kommunalabwasserrichtlinie drohe eine Situation, in der sich viele Human-Arzneimittel nicht mehr kostendeckend in Deutschland oder Europa vertreiben lassen. »Die Richtlinie würde einen Dominoeffekt haben und den strategischen Zielen einer stabilen EU-Arzneimittelversorgung und Reduzierung von Abhängigkeiten aus dem Ausland konträr gegenüberstehen«, warnt Brakmann. Dies würde auch gesetzgeberischen Maßnahmen zur Bekämpfung bereits bestehender Lieferengpässe zuwiderlaufen.
Auch Pro Generika argumentiert, das Prinzip der Herstellerverantwortung könne bei der Abwasserrichtlinie nicht greifen. Es gehe im Abwasser nicht um Produktionsabfälle der Pharmaindustrie – die Herstellung unterliegt bereits strengen Umweltauflagen. Vielmehr stammten die Arzneimittelrückstände aus Ausscheidungen von Patientinnen und Patienten.
Die Richtlinie treffe vor allem Generika-Hersteller. Das Problem dabei: Generika-Preise sind reguliert. Steigende Kosten könnten die Hersteller nicht weitergeben. »Da sich die Gebühr für die 4. Klärstufe nach dem Volumen der Arzneimittel richtet, sind Generika-Hersteller, die 80 Prozent der in Deutschland benötigten rezeptpflichtigen Arzneimittel bereitstellen, besonders belastet. Das wird dazu führen, dass einige Medikamente nicht mehr rentabel produziert werden können«, warnt Pro Generika.
Die Kosten, die auf die Hersteller zukommen, seien immens. Die Kosten für den Ausbau der Klärwerke stünden zwar noch nicht final fest. Schätzungen der EU-Kommission von etwa 1,2 Milliarden Euro pro Jahr sind dem Branchenverband zufolge aber viel zu niedrig. »Europaweit dürften die Kosten zwischen 5 und 11 Milliarden Euro pro Jahr liegen. Allein für Deutschland schätzt das Bundesumweltamt einen Aufwand in Höhe von rund 1 Milliarde Euro pro Jahr.« Das wäre dann quasi fast die Hälfte des gesamten Jahresumsatzes der Generika-Industrie. Diese setzt laut Verband hierzulande jährlich 2,3 Milliarden Euro mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln im ambulanten Bereich um.
Daher der Appell an die Politik: Die Abwasserrichtlinie habe ein wichtiges Ziel – sauberes Wasser. »Doch ohne eine kluge Finanzierungsstrategie gefährdet sie unbeabsichtigt die Medikamentenversorgung in Europa beziehungsweise Deutschland«, sagt Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika.
»Wenn lebenswichtige Arzneimittel vom Markt verschwinden, betrifft das vor allem die Patientinnen und Patienten. Deshalb ist jetzt politische Weitsicht gefragt. Nur mit einer fairen und tragfähigen Lösung kann sichergestellt werden, dass Ziele der Umwelt- und Gesundheitspolitik nicht gegeneinander ausgespielt werden.«