Parenterale Ernährung ist nur selten indiziert |
07.10.2002 00:00 Uhr |
Mangelernährung ist auch in den Industrienationen ein Thema – vor allem bei kranken und alten Menschen. So sind bis zu 50 Prozent der stationären Patienten mangelernährt. Dabei hat besonders die Ernährung wesentlichen Einfluss auf die Rate der Komplikationen, die Verträglichkeit von Therapien, die Lebensqualität und Mortalität, betonte Dr. Frank Dörje von der Apotheke des Klinikums in Erlangen.
Mangelernährung tritt besonders bei Patienten auf Intensivstation, Tumorpatienten und alten Menschen auf. Typisches Kennzeichen einer schlechten Ernährungslage ist, wenn ein Patient unbeabsichtigt mehr als 10 Prozent seines Körpergewichts in den vergangenen sechs Monaten verloren hat. Eine Mangelernährung ist auch dann zu befürchten, wenn eine adäquate Nahrungszufuhr für mehr als sieben Tage nicht möglich ist – zum Beispiel durch eine Operation.
Dörje warnte davor, gleich zur parenteralen Ernährung zu greifen, weil es für das Pflegepersonal bequemer ist. Ein funktionsfähiger Gastrointestinaltrakt ist eine Kontraindikation, denn bei diesen Patienten ist die enterale Ernährung sicherer und physiologischer, betonte er. Es sei wichtig, die Darmfunktion mit Hilfe von Nahrung aufrechtzuerhalten. Denn nur so bleibt die Mukosabarriere intakt und hält die Darmbakterien vom Eindringen in tiefere Schichten und andere Organsysteme ab. Unter der parenteralen Ernährung wächst die Gefahr einer Infektion oder gar einer Sepsis. Auch ökonomische Gründe sprechen für eine enterale Ernährung, sofern möglich. Denn die parenterale Ernährung ist wesentlich teurer.
Die parenterale Ernährung kommt letztlich nur für einen kleinen Teil der Patienten in Frage. Dazu zählen zum Beispiel diejenigen, deren Darm zu 80 bis 90 Prozent entfernt wurde oder die auf Grund eines Tumors in der Bauchhöhle unter einer totalen Obstruktion des Darms leiden.
Bei allen anderen Patienten sollte das Ernährungsproblem anders angegangen werden. Reicht die Normalkost nicht mehr aus, sollten die Betroffenen Ergänzungsnahrung erhalten. Erst wenn auch dies die Ernährung nicht mehr sicherstellt, sollten die Patienten mit enteraler Komplettnahrung wie Trinknahrung oder Sondennahrung versorgt werden. Eine Sonde sollte vor allem bei den Patienten rechtzeitig gelegt werden, die zum Beispiel unter einem Karzinom im Mund- und Rachenraum leiden, oder bei denen die Speiseröhre befallen ist. Ihr Darm ist in der Regel funktionsfähig, aber wenn die Ärzte vergessen, rechtzeitig eine Sonde zu legen, ist dies später oft nur mit einem chirurgischen Eingriff möglich.
Eine Kontraindikation sowohl für die parenterale als auch die enterale Ernährung ist, wenn die Patienten die aktive Ernährungstherapie ablehnen. „Jeder Mensch hat das Recht zu sterben“, sagte Dörje. Tumorpatienten im präterminalen Stadium müsse man ihre Situation erklären und sie selbst entscheiden lassen, ob sie am Ende ihres Lebens künstlich ernährt werden wollen.
Seit etwa zehn Jahren sind industriell hergestellte Produkte in der Ernährungstherapie Standard. Eine unübersichtliche Vielfalt erschwert dabei oft die Orientierung, sagte Dörje. Besonders kritisch äußerte er sich über die in letzter Zeit verstärkt auf den Markt drängenden krankheitsspezifischen Spezialdiäten. Der Nutzen dieser Mischungen sei in keiner einzigen Studie nachgewiesen, und auch die amerikanischen Fachgesellschaften äußerten sich dazu äußerst kritisch.
Was tun, wenn der Patient neben seiner Sondennahrung Medikamente einnehmen muss? Nur wenige Pflegekräfte wissen, was hier zu tun ist, beklagte Dörje. Denn mit dem alleinigen Mörsern der Tabletten ist es nicht getan. „Etwa 90 Prozent der Sondenokklusionen werden durch unsachgemäße Medikamentenapplikation verursacht“, so der Referent. Hier könne sich der Apotheker sinnvoll einbringen, indem er das Pflegepersonal zum Beispiel darüber informiert, dass Retardtabletten nicht gemörsert werden dürfen. Einige Retardformen können hingegen einfach aufgelöst werden. Sollen statt des Retardpräparats schneller freisetzende Arzneiformen zum Einsatz kommen, muss grundsätzlich ein alternatives Dosierungsschema berechnet werden. Eine andere Ausweichmöglichkeit bei den Retardformen sind retardierte Flüssigpräparate, erklärte Dörje.
Wichtig ist, dass der Arzneistoff niemals mit der Flüssignahrung gemischt werden darf. Es kann zu Interaktionen mit den Nahrungsbestandteilen kommen, und nicht zuletzt kann sich die Substanz in Beutel oder Flasche absetzen. Hier gilt, Nahrung und Medikamente immer getrennt zu verabreichen und die Sonde immer wieder sorgfältig zu spülen.
Leider werde bei der künstlichen Ernährung die Apotheke oft umgangen, denn die Präparate unterliegen als diätetische Lebensmittel nicht der Apothekenpflicht. Trotzdem sollten Apotheker versuchen, mit den ambulanten Pflegediensten oder den Pflegeheimen zusammenzuarbeiten. Denn die verbesserte Beratung und Betreuung dieser Patienten bedeute einen Image- und Kompetenzgewinn der Apotheke, damit eine Stärkung der Marktposition und führe letztlich zu einer erhöhten Patienten- und Kundenzufriedenheit, resümierte Dörje.
Informationen im Netz Apothekern, die sich weiter gehend über klinische Ernährung informieren möchten, empfahl der Referent folgende Homepages:
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