Spezifische Immuntherapie erlebt Renaissance |
30.09.2002 00:00 Uhr |
Bereits 1911 behandelten englische Wissenschaftler Heuschnupfen-Patienten mit einer spezifischen Immuntherapie (SIT). Die Mediziner hatten zwar damals noch völlig falsche Vorstellungen vom Wirkungsmechanismus, doch der Therapieerfolg gab ihnen Recht. Erst in den letzten Jahrzehnten erlebte die Hyposensibilisierung eine Renaissance, berichtete Professor Dr. Brunello Wüthrich von der Allergiestation der Dermatologischen Klinik des Universitätsspitals Zürich.
Ein 1998 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verabschiedetes Positionspapier nennt das Verfahren neben Allergenkarenz, Pharmakotherapie und einer adäquaten Patientenschulung als Basis der Behandlung von allergischen Erkrankungen. Das heute auch als Allergieimpfung bezeichnete Verfahren müsse grundsätzlich in Kombination mit allen anderen Therapieformen angewendet werden, betonte der Allergologe.
Die Allergieimpfung ist bislang der einzige Behandlungsansatz, der in den natürlichen Verlauf allergischer Erkrankungen eingreift und so den gefürchteten „Etagenwechsel“, also eine chronische Bronchitis oder Asthma verhindern kann.
Die Helferzellen vom Typ 2 zeichnen für die typischen Immunreaktionen wie Entzündungen der Haut und Schleimhäute und Juckreiz verantwortlich. Über die Zytokine Interleukin-4, -5 und –13 wird die Produktion von Immunglobulin E (IgE) angekurbelt. IL-5 wiederum bewirkt die Aktivierung von eosinophilen Granulozyten, die durch Freisetzung von gewebetoxischen Enzymen wie ECP und MBP maßgeblich allergische Entzündungsreaktionen auslösen.
Die TH1-Zellen dagegen erhöhen die Konzentration von Interferon-g und Interleukin-2. Beide Botenstoffe fördern die Bereitstellung von IgG.
Durch die regelmäßige sublinguale oder subkutane Applikation geringer Mengen eines definierten Allergens soll bei der Hyposensibilisierung eine durch TH2-Zellen dominierten in eine TH1-dominierte Immunantwort umgewandelt werden.
Die höchsten Heilungserfolge verspricht die Hyposensibilisierung bei Insektengiftallergien. Laut Wüthrich sprechen 95 bis 98 Prozent der Patienten an. Bei Pollenallergien bezifferte er die Erfolgsquote auf 75 bis 85 Prozent. Patienten mit Hausstaub- oder Tierhaarallergien profitieren dagegen deutlich seltener von der Behandlung.
Wüthrich empfahl eine Immunisierung möglichst mit standardisierten Impfstoffen in bekannter Stärke und Haltbarkeit. Zudem sei die Qualität der Impfstoffe entscheidend für Diagnose und Therapie. Da Kinder meist auf weniger Allergene reagieren, ist die Behandlung bei ihnen Erfolg versprechender. Durch frühe Intervention ließe sich außerdem ein Übergreifen auf die Atemwege verhindern. Die kleinen Patienten sprächen auf die Impfung nicht nur besonders gut an, sondern vertrügen die Behandlung meist weitaus besser als Erwachsene.
Die Immuntherapie ist einem erfahrenen Facharzt vorbehalten, betonte der Referent. Sie sei nur bei Patienten mit nachweisbaren spezifischen IgE-Antikörpern indiziert, bei denen die allergischen Symptome den Zeitaufwand und die verbundenen Risiken rechtfertigen.
Bislang stehen zwei verschiedene Verfahren zur Verfügung: die präsaisonale Gabe von insgesamt 7 Injektionen über drei Jahre oder die so genannte perennale SIT. Sie gliedert sich in eine Einleitungs- und Erhaltungsphase, die dann ebenfalls über drei Jahre durchgeführt wird. Die perennalen SIT eignet sich auch zur Immunisierung gegen verschiedene Allergene. Als dritte Variante nannte Wüthrich die Ultra-Rush-Therapie. In diesem Fall erhält der Patient unter intensivmedizinischer Überwachung innerhalb von fünf Stunden die gesamte Allergendosis und wird anschließend fünf Tage im Krankenhaus überwacht. Das „Kurzprogramm“ habe sich vor allem bei Wespen- und Bienenallergien bewährt, berichtete Wüthrich. Manche Patienten hätten bereits nach einer Woche einen wirksamen Schutz.
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