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Estrogene zum Schlucken und Kleben

11.10.1999  00:00 Uhr

- Pharmazie Govi-Verlag

Estrogene zum Schlucken
und Kleben

von Stephanie Czajka, Leipzig

Estrogene gegen Wechseljahresbeschwerden dienen nicht nur der Pharmaindustrie, sagte Dr. Eike Simon, Gynäkologe aus Torgau auf dem Forum für Pharmazieingenieure in Leipzig. Das Argument, früher sei es auch ohne Hormone gegangen, trage nicht. Früher sei die Lebenserwartung insgesamt niedriger gewesen, so dass sich das Problem gar nicht in dem Maße gestellt habe.

Nicht nur Osteoporose und Herzinfarkt, auch die Inkontinenz verbessert sich, wenn Estrogene substituiert werden. Ungewollter Harnfluss und nächtlicher Harndrang nehmen ab, die Miktionsfrequenz sinkt. Keine Erleichterung bringt die Substitution Patientinnen mit einer "Stressinkontinenz", entstanden durch Übergewicht, Schwerarbeit oder die Geburt schwergewichtiger Kinder.

Infarktrisiko sinkt schneller

Die Umbauprozesse im Knochen erfolgen sehr langsam. Werden Estrogene weniger als fünf Jahre eingenommen, ändert sich das Risiko für einen Bruch des Oberschenkelhalses kaum. Bei längerer Therapie verringert sich das Risiko aber um ungefähr die Hälfte. Sehr viel schneller wirkt der Estrogenmangel auf den Fettstoffwechsel. Daher verringern sich Infarkt- und Schlaganfallrisiko schon nach drei Jahren Substitutionstherapie um vierzig bis fünfzig Prozent.

Eine reine Estrogentherapie würde das Risiko für einen Gebärmutterhalskrebs erhöhen. Das gilt nicht, wenn an mindestens zehn bis zwölf Tagen pro Monat zusätzlich Gestagene gegeben werden. Sequentiell gegeben, wird der natürliche Zyklus nachgeahmt und es kommt zu Abbruchblutungen. Diese Art der Therapie eignet sich für Frauen zu Beginn des Klimakteriums. Ältere Frauen, bei denen die Blutungen bereits aufgehört haben, sind meist mit niedrigdosierten Dauerkombinationen glücklicher. Peroral reichten 0,6 mg pro Tag zur Osteoporose-Prophylaxe aus, sagte Dr. Simon. 0,3 mg linderten lediglich Klimakteriumsbeschwerden.

In jedem Fall müsse ein Gynäkologe Brust und Unterleib der Patientin gründlich untersuchen. Brustkrebs tritt unter der Therapie etwas häufiger auf, wird aber aufgrund der regelmäßigen Behandlung in einem früheren Stadium erkannt. Die Therapie sollte dann individuell auf die Patientin zugeschnitten werden. Steigendem Appetit kann mit etwas größerer Disziplin begegnet werden. Per se bewirken die Präparate - von 1 bis 1,5 kg Wassereinlagerungen abgesehen - keine Gewichtszunahme.

Transdermal verträglicher als oral Transdermale Systeme sind "dermale Dauerinfusionen", sagte Professor Dr. Rolf Daniels aus Braunschweig. Ihr Vorteil gegenüber Tabletten: starke Spiegelschwankungen durch die Einnahme werden vermieden; die Hormone werden ohne Umweg über die Leber direkt systemisch resorbiert, die Metabolite belasten die Leber nicht; die Tagesdosen liegen um mehr als ein zehnfaches unter den oralen Dosen.

Bei älteren Pflastern kontrolliert eine Membran die Abgaberate des Wirkstoffs. Bei den neuen Pflastern ist der Wirkstoff in eine Matrix eingearbeitet und wird sukzessive freigesetzt. Wird die Matrix verletzt, läuft der Wirkstoff nicht wie bei einer kaputten Membran unkontrolliert aus. Die Abgaberaten ist bei allen Pflaster ähnlich, sagte Daniels. Die Präparate unterscheiden sich im wesentlichen durch die Größe der Klebefläche. Gestagene sollten die Patientinnen zusätzlich peroral einnehmen oder es wird alternierend ein Estrogen- und ein Kombinationspflaster geklebt. Neuerdings gibt es ein Pflaster, das kontinuierlich beide Wirkstoffe freisetzt.

Schwachpunkt der transdermalen Systeme ist die lokale Verträglichkeit. Ein Ausweg sind Estrogen-Gele. Aus diesen alkoholhaltigen Polyacrylaten zieht der Wirkstoff in weniger als zehn Minuten in das Stratum corneum ein. Aus diesem Reservoir wird er dann über 24 Stunden systemisch in den Körper aufgenommen. Es gibt Beutel mit Einzeldosen oder Gele mit Dosierspateln. Aufgetragen werden je nach Gel Einzeldosen von 0,5 bis 2,5 Gramm täglich. Resorbiert werden nur 10 Prozent des Wirkstoffes. Das Gel wird an Oberschenkel oder Unterleib auf eine Fläche von der Größe zweier Handflächen aufgetragen. Ist die Fläche größer oder kleiner, verringert sich die Resorptionsrate.

Estrogen-Präparate zur lokalen Therapie setzen 10 bis 20 Prozent weniger Wirkstoff frei als transdermale Systeme, sagte Daniels. Lokal behandelt werden Beschwerden wie Juckreiz, die durch Atrophie der Scheidenhaut entstehen. Die tägliche Applikation erspart sich, wer einen Vaginalring einsetzt. Dieser Ring enthält Estradiol eingebettet in flüssiges Silikon. Er setzt in den ersten 36 Stunden etwas über 25 mg pro Tag frei, danach täglich 7,5 mg über insgesamt drei Monate. Ein Drittel des im Ring enthaltenen Wirkstoffes wird nicht freigesetzt, es dient dem Erhalt des Konzentrationsgefälles. Dieser Vaginalring wirke nicht gegen Hitzewallungen oder Osteoporose und auch nicht kontrazeptiv, betonte Daniels.

Über die Risiken der hormonellen Verhütung sprach Dr. Walter Raasch, klinischer Pharmakologe aus Lübeck. Das Risiko für eine Atherosklerose steige mit der Gestagenkonzentration und mit der Anzahl zusätzlicher Risikofaktoren wie Rauchen oder Adipositas. Es sei unwahrscheinlich, dass Frauen mit normalem Stoffwechsel an Diabetes erkranken. Raasch empfahl jährlich den Blutzucker aus dem Urin und alle drei bis fünf Jahre die Blutglukosewerte zu kontrollieren. Das Risiko ein Ovarial- oder Endometriumkarzinom zu bekommen sei unter der Pille niedriger, Leberzellkarzinome treten etwas häufiger auf. Pillen der dritten Generation können wieder an Erstanwenderinnen abgegeben werden. Das Risiko für eine Thrombose ist zwar leicht erhöht aber nicht - wie ursprünglich behauptet - doppelt so hoch.

Allergie gegen Iod gibt es nicht Das Speisesalz zu iodieren reicht zur Iodsubstitution nicht aus, sagte Dr. Andrea Schindler, Internistin aus Greifswald. Iodsalz müsste auch über die Tierfütterung in die Nahrungskette gelangen und Bäcker sollten unser tägliches Brot mit iodiertem Speisesalz würzen. Die Iodmangelkröpfe seien zwar seit der Einführung iodierten Speisesalzes zurückgegangen, verschwunden sei der Iodmangel jedoch noch nicht. Ein Iodmangelkropf kann im Frühstadium mit Levothyroxin oder Iod oder einer Kombination aus beiden therapiert werden. Medikamente können die Größe des Kropfes um bis zu 30 Prozent verkleinern. Beginnt am Ende der Therapie nicht sofort die Prophylaxe, kommt es zwangsläufig zum Rezidiv. Ist es für die medikamentöse Therapie zu spät, wird es teuer. 100 000 DM im Jahr würden in Deutschland für Operationen und 35 000 DM für die Radiojodtherapie ausgegeben, sagte Schindler. Allergien gegen Iod gebe es nicht. Höchstens gegen Begleitstoffe, zum Beispiel in Konstrastmitteln. Top

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