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Neues Wirkprinzip stärkt die Knochen

22.04.2002  00:00 Uhr

PHARMAZIE

Neues Wirkprinzip stärkt die Knochen

von Dorothee Ferger, Zürich

Das Prostaglandin E2 fördert den Neuaufbau von Knochensubstanz, kann aber auf Grund seiner Nebenwirkungen selbst nicht eingesetzt werden. Japanische Wissenschaftler fanden nun heraus, dass der EP4-Rezeptor für die Prostaglandin-E2-Wirkung am Knochen verantwortlich ist und testeten am Tier mit Erfolg einen Agonisten.

Unsere Knochen werden kontinuierlich umgebaut. Dabei bilden Osteoblasten neue Knochensubstanz, die dann von Osteoklasten wieder resorbiert wird. Bei der Osteoporose gerät dieses empfindliche Gleichgewicht aus dem Lot. Arzneistoffe, die heute zum Einsatz kommen, wirken leider allesamt nur einseitig: Sie hemmen entweder die Osteoklastenfunktion oder aktivieren die Osteoblasten. Wünschenswert, weil physiologischer, wäre dagegen ein Arzneistoff, der beide Vorgänge beeinflusst, also Osteoblasten sowie auch Osteoklasten aktiviert und beides zeitlich und räumlich so koordiniert, dass die Knochensubstanz wieder neu aufgebaut und kontinuierlich remoduliert wird. Prostaglandin E2 erfüllt diese Voraussetzung, kann aber selbst nicht eingesetzt werden, da bei systemischer Anwendung starke Nebenwirkungen wie etwa Uteruskontraktionen auftreten.

Ziel der japanischen Forscher war es, herauszufinden, auf welchem Mechanismus die Prostaglandin-E2-Wirkung am Knochen beruht. Auf dieser Grundlage könnten dann spezifischere Arzneistoffe entwickelt werden, die auch in der Therapie der Osteoporose einsetzbar sind.

EP4-Rezeptor entscheidend

Prostaglandin E2 greift an vier verschiedenen Rezeptoren an, die mit EP1 bis EP4 bezeichnet werden. Die Wissenschaftler nutzten Knock-out-Mäuse, die jeweils einen der vier Rezeptoren nicht bilden konnten. Diesen infundierten sie Prostaglandin-E2 mit einer miniosmotischen Pumpe kontinuierlich über sechs Wochen in den Knochenhautbereich des Oberschenkelknochens. Prostaglandin E2 führte dosisabhängig bei den Mäusen ohne EP1-, EP2- und EP3-Rezeptoren zu einer deutlichen Neubildung von Knochensubstanz. Dies war auch bei genetisch nicht veränderten Tieren der Fall. Fehlte jedoch der EP4-Rezeptor, so hatte Prostaglandin E2 keine Wirkung. Die Wissenschaftler folgern daher, dass der EP4-Rezeptor die Prostaglandin-E2-Effekte am Knochen vermittelt.

Duale Wirkung

Aufschluss, über welchen Mechanismus Prostaglandin E2 den Knochen aufbaut, erhielten die Forscher durch Experimente an kultivierten Knochenmarkzellen. Prostaglandin E2 führte bei den Zellen der genetisch unveränderten Mäusen dazu, dass sich Vorläuferzellen im Knochenmark zu Osteoblasten ausdifferenzierten. Fehlte der EP4-Rezeptor, fand diese Differenzierung nicht statt. Prostaglandin E2 bewirkt zudem die Differenzierung von Osteoklasten. Dies findet in ausgereiften Osteoblasten statt und ist ebenfalls EP4-abhängig. Die Forscher spekulieren: Zu Beginn führt Prostaglandin E2 über den EP4-Rezeptor dazu, dass die Zahl der Osteoblasten zunimmt und somit neue Knochensubstanz aufgebaut wird. Später vermittelt es in ausgereiften Osteoblasten über den gleichen Rezeptor, dass sich neue Osteoklasten bilden. Beide Mechanismen zusammengenommen remodulieren die Knochen kontinuierlich.

Pharmakologische Bestätigung ihrer Ergebnisse erhielten die Wissenschaftler, indem sie selektive Agonisten an den vier Rezeptorsubtypen untersuchten. Allein der Agonist am EP4-Rezeptor, die Substanz AE1-329, war in der Lage, Osteoblasten aus Knochenmarkzellen zu differenzieren und neue Knochensubstanz am Oberschenkelknochen von genetisch nicht veränderten Mäusen zu bilden.

EP4-Agonist im Tiermodell wirksam

Nachdem der EP4-Agonist in gesunden Tieren so deutlich neue Knochensubstanz aufbauen konnte, galt es nun herauszufinden, ob der Arzneistoff auch in Tiermodellen für Osteoporose wirkt. Dazu wandelten die Forscher AE1-329 chemisch ab. Der resultierende Stoff ONO-4819 war nun so stabil, dass von einer kontinuierlichen lokalen Infusion am Knochen auf eine zweistündige intravenöse Infusion zweimal pro Tag oder sogar auf eine subkutane Injektion dreimal täglich umgestiegen werden konnte.

Als Modell für die postmenopausale Osteoporose entfernten die Forscher beide Eierstöcke der weiblichen Ratten. 70 Tage nach der Operation zeigten unbehandelte Kontrolltiere deutliche Osteoporosemerkmale am Oberschenkelknochen. ONO-4819 konnte den Knochenabbau komplett verhindern. Sogar, wenn mit der Behandlung erst 20 Tage nach der Entfernung der Eierstöcke begonnen wurde, stellte der Arzneistoff die Knochendichte wieder voll her.

In einem weiteren Modell nutzten die Wissenschaftler aus, dass tägliche Bewegung den Knochenumbau fördert, längere Ruhigstellung die Knochendichte dagegen schrumpfen lässt. Sie entfernten einen Teil der Nerven im linken Hinterbein der Ratten, so dass die Tiere dieses Bein nicht mehr bewegen konnten. Zwei Wochen später hatte die Knochendichte im betroffenen Schienbein stark abgenommen. ONO-4819 wirkte dem Knochenabbau wiederum dosisabhängig entgegen und konnte ihn in höheren Dosen komplett verhindern.

Die Forscher weisen darauf hin, dass in dem von ONO-4819 gebildeten Knochen zwar weniger Calcium eingelagert war als normal, die notwendige Stabilität aber trotzdem resultierte. ONO-4819 zeigte die unerwünschten Uteruskontraktionen von Prostaglandin E2 bei systemischer Anwendung nicht.

Der Weg in die Osteoporosetherapie ist für EP4-Agonisten dennoch weit. Künftige Studien werden zeigen, ob die viel versprechenden Ergebnisse im Tiermodell auf den Patienten übertragbar sind.

Quelle: Yoshida, K. et al., Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) 99 (2002) 4580-4585

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