Mama – ich bekomme keine Luft |
07.04.2003 00:00 Uhr |
Innerhalb der letzten 20 Jahre hat sich die Zahl der asthmakranken Kinder und Jugendlichen in Deutschland nahezu verdoppelt. Heute leben hierzulande fast 1,8 Millionen junge Asthmatikern, Tendenz steigend. Damit ist dieses Leiden die häufigste chronische Erkrankung im Kindes- und Jugendalter.
Wie jeden Abend tritt Martina H. auch an diesem 14. Januar ans Bett ihres 14 Monate alten Säuglings. Doch statt eines wohlig schlafenden Wonneproppens findet sie ein blau angelaufenes, um Luft ringendes Baby vor. Rasch ist der Notarzt zur Stelle, der das keuchende Bündel sofort in die nächste Klinik transportiert. Die Diagnose: Asthma. Schon damals ahnte die junge Mutter, dass ihr kleiner Sohn fortan eine schwere Bürde tragen muss.
Eine chronische Erkrankung, die eine ausgeklügelte und zeitaufwendige Therapie erfordert, schränkt enorm ein und belastet sowohl das Kind als auch die ganze Familie. „Wenn die Pollen fliegen, müssen Kinder mit allergischem Asthma blühende Wiesen meiden und dürfen nicht im Freien Fußball spielen“, sagte Prof. Josef Lecheler, ärztlicher Direktor des CJD Asthmazentrums Berchtesgaden auf einer Pressekonferenz anlässlich des 44. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie in München. Vielen Heranwachsenden rauben nächtliche Hustenattacken den Schlaf. Tagsüber hängen sie dann müde und unkonzentriert in der Schulbank; Lernprobleme sind vorprogrammiert. Ferner quälen sie soziale Ängste und Schuldgefühle. Besonders Jugendliche leben in der Sorge, sich durch ihre Krankheit bei Gleichaltrigen zu outen.
Warum die Luft wegbleibt
Wer einmal 2 Minuten lang versucht hat, durch einen Strohhalm ein- und auszuatmen, gewinnt eine vage Vorstellung, wie sich ein kleiner Patient während eines akuten Anfalls fühlt: Jeder Atemzug kostet enorme Kraft. Ausatmen können die Kinder nur gegen einen extremen Widerstand. Ursache für die Atemwegsobstruktion ist eine chronische Entzündung der Bronchialschleimhaut, die mit einer Hyperreagibiliät der Atemwege einhergeht. Auf bestimmte Reize hin setzt das Bronchialgewebe unkontrolliert Entzündungsmediatoren frei. Daraufhin verkrampft sich die Bronchialmuskulatur und die Bronchialwand schwillt an. Zusätzlich sezerniert sie massenhaft zähen Schleim.
Dabei macht die Vielzahl der Auslöser jungen Asthmatikern das Leben nicht gerade leicht: Beim intrinsischen Bronchialasthma lassen unspezifische Reize wie Infekte, Tabakrauch, Kaltluft, Nebel oder Luftverunreinigung aber auch körperliche Anstrengung und psychischer Stress die Atemwege überreagieren. Bei der exogen-allergischen Form verkrampfen sich die Bronchien durch den Kontakt mit Pollen, Tierhaarepithelien und dem Kot der Hausstaubmilben. Die Betroffenen müssen heftig husten, manchmal bis zum Erbrechen; ein lautes Pfeifen und Giemen begleitet ihr Ausatmen. Manche Episoden währen nur einige Minuten, andere mehrere Stunden oder Tage. Beim Schweregrad 1 leiden die Kinder bis zu fünfmal im Jahr unter akuter Atemnot. Beim Schweregrad 2 bleibt ihnen bis zu zehnmal, beim Schweregrad 3 bis zu 20mal im Jahr die Luft weg. Beim Schweregrad 4 schlägt das Asthma mehrmals im Monat, teilweise sogar täglich zu (1). Die Krankheit manifestiert sich häufig im Alter von zwei bis vier Jahren, wenn permanente Infekte die Kleinen heimsuchen. Manche müssen bereits als Säuglinge gegen die quälende Atemnot ankämpfen.
Warum das Bronchialsystem bei einigen Kindern verrückt spielt, beschäftigt Forscher aus aller Welt. Dass wir den Allergenen im Wohn- und Schlafbereich bislang eine zu große Bedeutung beigemessen haben, bestätigt eine Studie der Berliner Charite (2). Kinder, die in ihren ersten Lebensjahren größeren Mengen von Hausstaubmilben- und Katzenallergenen ausgesetzt waren, erkrankten nicht häufiger als ihre Altersgenossen. Offenbar bedarf es mehrerer Faktoren, damit ein Kind Asthma entwickelt – und die kennen wir nach wie vor nicht alle. Einig sind sich die Forscher, dass bestimmte Gene eine wichtige Rolle spielen und sich die Bereitschaft für Asthma in der Familie weitervererbt (3).
Beschwerdefreiheit mittels Stufenplan
Um die überaktiven Bronchien zu stabilisieren, müssen sich die jungen Patienten einer Dauertherapie unterziehen. Damit sich die Behandlung auf den individuellen Anspruch des einzelnen Kindes zuschneiden lässt, haben maßgebende europäische Pädiater einen Stufenplan entwickelt (1).
Die Medikation beginnt zunächst mit Mastzellstabilisatoren. Cromoglicinsäure eignet sich bereits für Säuglinge ab 2 Monaten, Nedocromil erst ab dem Schulalter. Bleibt der Erfolg aus, folgt ein Behandlungsversuch mit den niedrig dosierten topischen Steroiden Beclometason, Budesonid, Flunisolid oder Fluticason. Allerdings sind die Glukocorticoide bei Kleinkindern und Säuglingen nur in schweren Fällen anzuwenden. Spricht der junge Asthmatiker auf die Monotherapie nicht an, wird der Pädiater ein langwirkendes Betamimetikum wie Formoterol oder Salmeterol und/oder den Leukotrien-Antagonisten Montekulast dazu verordnen. Bei den ganz Kleinen unter 18 Monaten schlagen oft Anticholinergika besser an (4). Montekulast ist erst für Schulkinder indiziert. Asthmakranke des Schweregrades 4 benötigen zusätzlich Retard-Theophyllin und/oder niedrig dosierte orale Steroide.
Auf welcher Stufe der Arzt die Therapie beginnt, richtet sich nach Alter und Schweregrad der Erkrankung. Anfangs wird er das asthmatische Kind alle 4 bis 6 Wochen untersuchen. Bleibt der Zustand stabil, sollte die Dauertherapie etwa sechs Monate beibehalten werden. Danach ist es möglich, schrittweise einzelne Medikamente abzusetzen beziehungsweise die Dosis zu verringern. Ein Asthma-Tagebuch und ein Peak-Flow-Meter helfen den Patienten, sich selbst richtig einzuschätzen und den Arzt umfassend über den Stand der Behandlung zu informieren.
Für den Fall, dass akut die Luft wegbleibt, sollten Asthmatiker immer kurz wirksame Betamimetika wie Salbutamol oder Terbutalin oder das Anticholinergikum Ipratropriumbromid bei sich tragen.
Inhalieren – aber wie
Abgesehen von Theophyllin und Montekulast, werden Antiasthmatika inhaliert. So gelangen die Wirkstoffe trotz kleiner Dosen in hoher Konzentration direkt an den Wirkort. Systemische Komplikationen bleiben weitgehend aus und die Wirkung setzt rasch ein. Allerdings birgt die topische Darreichungsform auch Nachteile und Risiken – gerade für Kinder.
Düsenvernebler eignen sich zwar für jedes Alter. Aber die unhandlichen Geräte sind unpraktisch, weil sie eine Stromquelle brauchen, um zu funktionieren. Außerdem stellen sie so manches zappelige Kleinkind auf eine harte Geduldsprobe.
Treibgasbetriebene Dosieraerosole erfordern viel Koordinationsgeschick und Übung. Von Kleinkindern sind sie nur mit einer geeigneten Applikationshilfe zu nutzen. Zudem verleiten sie manche Jugendliche zum Missbrauch. „Wir kennen Halbwüchsige, die sich eine ganze Dose pro Tag in den Rachen sprühen“, berichtete Lecheler.
Herkömmliche Pulverinhalatoren verlangen einen relativ hohen Inspirationsfluss, damit sich die agglomerierten Pulverpartikel während des Einatmens voneinander lösen. „Über eine solche Atemkraft verfügen Kinder, noch dazu wenn sie Asthma haben, normalerweise nicht“, sagte Dr. Thomas Voshaar, Chefarzt des Krankenhauses Bethanien der Grafschaft Moers. „Wir bevorzugen neuerdings ein modernes Gerät, bei dem eine Keramikscheibe den Wirkstoff frisch und in der erforderlichen Dosis von einer gepressten, isostatischen Ringtablette abschabt“, berichtet der Mediziner. „Mit dem Jethaler erreichen auch kleine Kinder einen inspiratorischen Fluss von mindestens 30 l/min und deponieren so ausreichend Wirkstoff in den Bronchien. Außerdem ist der Inhalator von Heranwachsenden leichter zu bedienen als ein Treibgasaerosol. „Wir haben bereits mit Vierjährigen gute Erfahrungen gemacht“, fügte Professor Dr. Hermann Lindemann vom Universitätsklinikum Gießen hinzu.
Lecheler betont in diesem Zusammenhang, wie wichtig es gerade bei Kindern ist, die Behandlung so einfach und effektiv wie möglich zu gestalten. Er verweist auf die mangelnde Compliance, die Eltern und junge Patienten der verordneten Medikation häufig entgegenbringen. „Viele Betroffene und deren Erziehungsberechtigte halten sich nicht an das Therapieschema oder lassen Arzneimittel der Bequemlichkeit halber einfach weg“, erzählte der Berchtesgadener Arzt. Schulungen motivieren die jungen Patienten, die lästige Dauertherapie durchzuhalten und machen ihnen ihre Krankheit begreiflich.
Nikolas ist heute sechs Jahre alt. Seine Bronchien verhalten sich dank einer optimalen Behandlung stabil, so dass er nicht mehr inhalieren muss. „Beide haben wir gelernt, mit der Krankheit zu leben und sie zu akzeptieren. Denn eines ist klar: Gesund wird mein Sohn niemals werden“, weiß seine Mutter.
Literatur
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