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Stiefkind Schmerztherapie

15.01.2001  00:00 Uhr

Stiefkind Schmerztherapie

von Halmut Renz, Bremen

Kopfschmerzen gehören zwar zu den häufigsten Gesundheitsproblemen im Kindes- und Jugendalter, dennoch gilt die Betreuung von kindlichen Kopfschmerzpatienten noch immer als schwierig. Ein Grund dafür ist das verwirrend komplizierte Klassifikationssystem, das zu Problemen bei der Diagnose führt.

Im Jahr 2000 gab die deutsche Kopfschmerzgesellschaft neue Therapieempfehlungen heraus, die zwar vorwiegend auf die Behandlung von Erwachsenen bezogen sind, sich aber durchaus auch auf Kinder und Jugendliche übertragen lassen. Über die Therapie der kindlichen Migräne mit Triptanen berichtete Privatdozent Dr. Michael A. Überall, Erlangen, auf einem internationalen Symposium in Bremen. Obwohl Triptane die Migränetherapie geradezu revolutionierten, fände man für eine adäquate Behandlung von Kinder allenfalls Erwähnungen, aber keine Empfehlungen.

Einige Studien zur Anwendung von Triptanen bei Kindern hätten keine signifikant bessere Wirksamkeit im Vergleich zu Placebo gezeigt, erklärte Überall. Man habe zwar eine bessere Wirksamkeit belegen können, signifikant seien die Unterschiede allerdings nicht gewesen. Daraus hätten viele Kollegen den Schluss gezogen, dass Triptane per se nicht für Kinder geeignet seien, so der Referent.

Tatsächlich sprechen laut Überall Placebo bei Kinder im Vergleich zu Erwachsenen sehr viel besser an, das heißt es gibt vergleichbare Wirksamkeitsdaten für das Verum, aber völlig unterschiedliche Daten für Placebo. Hintergrund sei eine völlig andere Charakteristik der Migräneattacken im Kindesalter mit einer sehr viel kürzeren Dauer. Bei 30 bis 40 Prozent der kindlichen Patienten remittieren die Attacken binnen zwei Stunden ohne Therapie spontan. "Dagegen muss sich eine Substanz erst einmal behaupten", betonte Überall. Es stelle sich allerdings die Frage, warum überhaupt ein Triptan angewendet werden soll, wenn 30 bis 40 Prozent der Patienten spontan remittieren. Überalls Erklärung: Der Rest habe länger anhaltende und unter Umständen sogar sehr starke Attacken. Diese dauern dann zwischen zwei und sechs Stunden.

Laut Überall müsse die Wirkung zudem möglichst schnell eintreten. Daher biete sich das Nasalspray an. "Wir haben 14 Kindern zwischen acht und elf Jahren mit therapieschwierigen, langen Attacken und schlechter Ansprechrate auf Medikamente in einer Studie, doppelblind, randomisiert 20 mg Sumatriptan nasal verabreicht und konnten eine beachtliche Wirksamkeitssteigerung nachweisen", berichtete der Referent. Im August dieses Jahres sei eine größere Studie mit 60 Kindern zwischen sieben und zwölf Jahren und einer Dosierung von 10 mg Sumatriptan nasal gelaufen. Auch hier konnte eine beachtliche Wirksamkeitssteigerung gezeigt werden, so Überall. Es stellte sich zudem heraus, dass jüngere Patienten deutlich besser auf die Medikation ansprachen als ältere.

Für andere Triptane gibt es bisher keine Studien. Zur Nebenwirkungsrate liegen allerdings große Studien aus Amerika vor, die keine Unterschiede zu Placebo bei den für Triptane charakteristischen kardiovasculären Symptomen aufweisen. Die Probanden klagten lediglich über den unangenehmen Geschmack. Dieser hängt allerdings von der Applikationsform ab und läßt sich vermeiden, wenn die Patienten den Kopf nach vorne neigen, dann das Spray applizieren und anschließend das Nasenloch zuhalten. Überalls Fazit aus mittlerweile drei großen Studien: Sumatriptan ist als Nasenspray auch bei kindlicher Migräne zu empfehlen, da es rasch und anhaltend wirkt.

Kleine Tumorpatienten schlecht versorgt

Auch die Schmerzbehandlung bei tumorkranken Kindern ist leider immer noch ein vernachlässigtes Gebiet, kritisierten die Referenten in Bremen übereinstimmend. Ein Grund dafür sind die - verglichen mit der Erwachsenenonkologie - wesentlich geringeren Patientenzahlen. Nur circa 1 Prozent aller Tumorerkrankungen treten bei Kindern auf, informierte Dr. G. Strauß aus Berlin. 1800 Kinder erkranken jährlich in Deutschland neu.

Tumorschmerzen treten bei Kindern genauso häufig wie bei Erwachsenen auf. Neben den tumorbedingten haben Kinder wegen der zunehmend aggressiven Behandlung allerdings auch häufiger therapiebedingte und akute Schmerzen. Das sei ein bedeutender Unterschied zur Schmerztherapie in der Erwachsenenonkologie, wo es überwiegend um die Behandlung chronischer Schmerzen geht, sagte Strauß.

Die Chemotherapie spreche bei über 90 Prozent der Patienten initial an, so dass bei Kindern mit Tumorschmerzen die tumorspezifische Behandlung zugleich auch die wirksamste Schmerztherapie sei, erklärte Dr. Th. Lieber aus Bremen. Für eine individuell angepasste Schmerztherapie sei es auch bei Kindern dringend erforderlich, die Stärke, den Charakter und die Lokalisation des Schmerzes zu erfassen. Obwohl die Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) Leitlinien zur Schmerzmessung anhand altersgemäßer Verfahren und Empfehlungen für die praktische Schmerztherapie vorgelegt hat, entstünden gerade hier spezifische Probleme, so Lieber. Wie lokalisiert und misst man speziell bei Säuglingen und Kleinkindern Schmerzen, fragte der Referent. Die Fremderfassung sei trotz objektiver Schmerz-Score-Skalen ein Problem. Viele, oft wechselnde Betreuungspersonen ließen zudem ihre subjektiven Einschätzungen einfließen.

Tabus im Umgang mit Opioiden, wie sie auch bei Eltern noch verbreitet sind, beeinflussen ebenfalls die Schmerzmessung, sagte Lieber. Etwas ältere Kinder ab zweieinhalb Jahren könnten ihre Schmerzen anhand einfacher Schätzskalen (Smiley-Analog-Skala) selbst beurteilen.

Experten forderten spezielle Schmerzpflaster für Kinder

Strauß berichtete auf dem Bremer Schmerzsymposium auch über ihre Erfahrungen mit transdermal verabreichtem Fentanyl. Das Berliner Ärzteteam verwendete die Pflaster im Akutfall bei Kindern die während der Chemotherapie unter einer ausgeprägten Schleimhauttoxizität litten oder bei kleinen Patienten im Finalstadium unterschiedlicher Erkrankungen.

Insgesamt behandelten die Mediziner über zwei bis drei Jahre 30 Kinder, der jüngste Patient war zweieinhalb Jahre alt. Meist klebten die Eltern das Pflaster selber auf. Die Startdosierung war durch die für Erwachsene produzierten, nicht teilbaren Pflaster mit 25 mmg/h vorgegeben. Um Schmerzspitzen zu kappen gaben die Ärzte bei Bedarf Morphinsulfat. Zur Behandlungskontrolle ließen sie Smiley-Skalen und/oder Schmerztagebücher anlegen. Ein sozialtherapeutisches Team aus Psychologen, Ärzten und Krankenschwestern begleitete die ambulante Phase der onkologischen Therapie. Die durchschnittliche Behandlungsdauer der Patienten im Finalstadium betrug vier Wochen, die längste Fentanyl-Versorgung dauerte sechs Monate. Die höchsten Fentanyl-Dosis wurden bei einem Jungen mit nur noch 12 kg Gewicht eingesetzt, bei dem die Ärzte "schon Mühe hatten, das Pflaster unterzubringen," berichtete Strauß. Eine Umstellung auf eine exakt dosierbare Infusionstherapie oder ähnliches hätten Eltern und Junge immer wieder abgelehnt, weil das Kind sich durch das Pflaster am wenigsten ans Krankenhaus erinnert fühlte, sich am freiesten bewegen konnte und "machen konnte, was es wollte".

Bei den meisten Kindern war ein Pflasterwechsel alle 72 Stunden nötig. Die Obstipation war in der Regel mild. Die Supportivtherapie folgte dem bekannten Regime. Insgesamt bezeichnete Strauß die Erfahrungen mit dem Schnerzpflaster als sehr zufriedenstellend. Die Darreichungsform sei sehr effektiv, belaste die kleinen Patienten kaum und wurde von Kindern und Eltern gut akzeptiert. Als Nachteil nannte Strauß die träge Pharmakokinetik und geringe Abstufbarkeit, bedingt durch die Größe des Pflasters. Eine bessere Dosisanpassung wäre wünschenswert. Auch in der anschließenden Diskussion wurde noch einmal der Wunsch nach einem Ideal-Pflaster mit 12,5 mmg/h laut.

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