Auch pflanzliche Kardiaka oft nicht genau zu dosieren |
04.12.2000 00:00 Uhr |
Tropfenförmig zu dosierende flüssige Phytopharmaka zur peroralen Einnahme spielen in der Selbstmedikation eine wichtige Rolle. Die Ergebnisse dieser Teilstudie machen deutlich, in welchem Umfang mit Dosierungsproblemen bei Tropfenpräparaten zu rechnen ist. Die Untersuchung befasst sich mit 35 Fertigarzneimitteln aus der Indikationsgruppe der Kardiaka. Lediglich sechs Präparate erwiesen sich hinsichtlich der Dosierungsgenauigkeit als spezifikationsgerecht.
Analog dem ersten Teil der Untersuchung wurden die Fertigarzneimittel anhand der Roten Liste 1999 ausgewählt. Es wurden jeweils zwei Muster untersucht, die das ZL einerseits vom pharmazeutischen Fachhandel bezog und andererseits vom jeweiligen pharmazeutischen Unternehmer erbat.
Bei den 35 geprüften Präparaten handelte es sich um 17 Fertigarzneimittel mit je zwei Prüfmustern aus der gleichen Charge und 13 Fertigarzneimittel mit je zwei Mustern aus unterschiedlichen Chargen. Bei fünf Präparaten stand jeweils nur ein Prüfmuster zur Verfügung. Die Bestimmung der Dosierungsgenauigkeit, Gleichförmigkeit der Dosierung und Tropfgeschwindigkeit erfolgte nach den Vorgaben der Ph. Eur. 1997, Monographie "Flüssige Zubereitungen zur Einnahme". Darüber hinaus wurden Hinweise zur Handhabung der Präparate in den jeweiligen Packungsbeilagen berücksichtigt.
Insgesamt wurden 35 Tropfenpräparate der Indikationsgruppe Kardiaka untersucht, wobei man von jedem Fertigarzneimittel zwei unabhängige Muster, soweit vorhanden, beurteilte.
Detaillierte Hinweise seitens des pharmazeutischen Unternehmers zur korrekten Handhabung der Tropfenpräparate können erheblich zur Dosierungsgenauigkeit beitragen. Informationen in schriftlicher und/oder skizzierter Form zur Handhabung der jeweiligen Tropfflasche waren bei lediglich acht Präparaten vorhanden.
19 Fertigarzneimittel waren mit einem Senkrechttropfer und 17 mit einem Waagerechttropfer ausgestattet. Auffällig: Die beiden Muster eines Fertigarzneimittels Nr.10 hatten unterschiedliche Tropfersysteme.
Ausfällungen, Ausflockungen und Sedimente können die Tropfer verstopfen und somit einen entscheidenden Einfluss auf die Dosierungsgenauigkeit peroraler Liquida haben (2, 3). Die vorhandenen Präzipitatmengen waren quantitativ unterschiedlich stark ausgeprägt. Bei 15 Präparaten wurden Präzipitate nachgewiesen. Hierbei handelt es sich überwiegend um Präparate, die Weissdornextrakt enthielten. Weissdorn ist gekennzeichnet durch einen außerordentlich hohen Gehalte an Polysacchariden, die lagerungsbedingt leicht aus den Extrakten desolubilisiert werden können (4).
Die Ergebnisse der Tropfgeschwindigkeit von Präparaten mit Senkrechttropfer ergaben für 11 Produkte Arzneibuch-konforme Werte. Die Tropfgeschwindigkeit lag bei diesen Präparaten unabhängig vom verwendeten Muster und unabhängig vom jeweiligen Füllungsgrad unterhalb dem Grenzwert von zwei Tropfen pro Sekunde. Für ein Präparat ergaben sich in Abhängigkeit von der Charge unterschiedliche Ergebnisse, so lag eins innerhalb der Spezifikation, dagegen lag die Tropfgeschwindigkeit des anderen bei der zu einem Drittel befüllten Flasche außerhalb des Normbereichs. Für ein anderes Präparat wurden auf Grund ausgeprägter Präzipitate innerhalb einer Charge unterschiedliche Tropffrequenzen ermittelt. Die Prüfung eines Präparates musste wegen des verstopften Tropfers abgebrochen werden.
Nicht-spezifikationsgerechte Ergebnisse beider Testchargen ergaben sich bei sieben Präparaten. Hier schoss die Lösung in vielen Fällen fast strahlartig aus dem Gefäß. Bei einzelnen Präparaten, die bereits in der Voruntersuchung durch das Vorliegen von Präzipitaten aufgefallen waren, konnte keine sachgerechte Prüfung vorgenommen werden.
Unter den Waagerechttropfern erwiesen sich neun Präparate unabhängig vom gewählten Neigungswinkel und vom Füllungsgrad als spezifikationsgerecht. Die Packungsbeilage eines Präparates enthielt eine detaillierte Skizze, die vorgab, die Flasche zur Tropfenentnahme im Winkel von 30° zu halten. Unter diesen Bedingungen wurden arzneibuchkonforme Ergebnisse erhalten. Die Prüfung zweier Präparate musste auf Grund der hohen Tropffrequenz abgebrochen werden. In Abhängigkeit vom Neigungswinkel (30 bis 49°) und vom Füllungsgrad ermittelte man bei fünf Präparaten spezifikationsgerechte Werte.
Die Prüfung auf Gleichförmigkeit der Dosierung wurde wiederum getrennt nach Mustern mit Waagerecht- und Senkrechttropfer bei unterschiedlichen Füllungsgraden durchgeführt. Von 19 untersuchten Fertigarzneimitteln mit Senkrechttropfer entsprachen 11 den Anforderungen des Arzneibuchs. Acht Muster lagen außerhalb der Spezifikation.
Von 17 Fertigarzneimitteln, die mit Waagerechttropfern ausgestattet waren, zeigten lediglich zwei Muster spezifikationsgerechte Ergebnisse. Für acht Präparate ergaben sich Arzneibuch-konforme Werte mindestens in einer der geprüften Neigungswinkel. Die Werte der restlichen Muster entsprachen nicht den Anforderungen des Arzneibuchs.
Beim Vergleich der ermittelten Tropfenmasse beziehungsweise der Tropfvolumina mit den deklarierten Werten der pharmazeutischen Unternehmer lagen von 19 Fertigarzneimitteln mit Senkrechttropfer sieben Muster innerhalb der Spezifikation. Ein Präparat zeigte chargenabhängig bei einer zu einem Drittel gefüllten Flasche geringfügige Abweichung. Bei vier Mustern ergaben sich zum Teil spezifikationsgerechte Ergebnisse, die jedoch von der jeweiligen Charge, dem Füllungsgrad oder dem Neigungswinkel abhängig waren. Die restlichen Präparate verfehlten den ± 15-Prozent-Grenzwert um 5 Prozent und mehr. Auf Grund fehlender Angabe zur deklarierten Tropfenmasse beziehungsweise Tropfenvolumina konnten drei Präparate nicht ausgewertet werden.
Lediglich zwei Präparate mit Waagerechttropfer entsprachen den Anforderungen des Arzneibuchs. Vier Fertigarzneimittel zeigten gravierende Abweichungen bei allen getesteten Winkelneigungen. Auf Grund fehlender Angabe zur deklarierten Tropfenmasse beziehungsweise Tropfenvolumina konnten zwei Präparate nicht ausgewertet werden. Die restlichen Fertigarzneimittel zeigten entweder chargenabhängige, füllungsgradabhängige oder vom Neigungswinkel abhängige Unterschiede.
In der vorliegenden Untersuchung wurden 35 pflanzliche Tropfenpräparate der Indikationsgruppe Kardiaka hinsichtlich ihrer Dosierungsgenauigkeit nach den Vorgaben des Europäischen Arzneibuches untersucht. In Analogie zur Untersuchung der Tropfenpräparate der Indikationsgruppe Antitussiva/Expektorantien wurden auch hierbei gravierende Mängel bei den einzelnen Untersuchungsparametern beobachtet. Nur sechs Präparate werden den Anforderungen auf ausreichende Dosierungsgenauigkeit gerecht.
57 Prozent der untersuchten Fertigarzneimittel halten die maximale Tropffrequenz gemäß Arzneibuchvorgabe ein. Der überwiegende Teil der zu beanstandenden Prüfmuster zeigte eine deutlich zu schnelle Tropffolge bis hin zu fast unkontrollierbarem, strahlartigem Ausfluss. Im Einzelfall verhinderten aber auch durch Präzipitate verstopfte Tropfer eine ordnungsgemäße Messung. Lediglich 37 Prozent der untersuchten Fertigarzneimittel erfüllten die Akzeptanzkriterien des Arzneibuchs auf Gleichförmigkeit der Dosierung. Insbesondere die Präparate mit Waagerechttropfer lagen deutlich außerhalb des Grenzwertes, während bei Präparaten, die mit Senkrechttropfer ausgestattet waren, grundsätzlich bessere Ergebnisse erzielt wurden. Beim Vergleich der ermittelten Tropfenzahl je Gramm beziehungsweise Milliliter der Zubereitung mit den Angaben des pharmazeutischen Unternehmers lagen 26 Prozent der untersuchten Fertigarzneimittel innerhalb des erlaubten 15 Prozent Akzeptanzlimits. Auch in diesem Prüfpunkt erwiesen sich Fertigarzneimittel mit Waagerechttropfer als kritisch. Je nach Neigungswinkel und Füllungsgrad dieser Tropfsysteme ergaben sich sehr unterschiedliche Tropfergebnisse, die sich als nicht reproduzierbar erwiesen.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung bestätigen erneut die Problematik der Tropfer als Dosiersystem. Da die eigentliche Dosierung vom Patienten vorgenommen wird, darf auf eine patientengerechte Anleitung zur Handhabung der Tropfflasche ebensowenig verzichtet werden, wie auf die Verwendung geeigneter Dosiersysteme.
Appendix
Gemäß einem Beschluss der Mitgliederversammlung des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker werden Ergebnisse von Untersuchungen des ZL vor der Publikation den Herstellern der in Studien einbezogenen Produkte übersandt. Daraufhin erreichten uns folgende Anmerkungen:
Die Firma Bastian wies daraufhin, dass seit Ende 1999 die Packungsgröße Basticrat Tropfen 30 ml nicht mehr ausgeliefert würden und seit 01.01.2000 AV (Artikel außer Produktion, darf aber weiterhin abgegeben werden) gesetzt seien. Im Rahmen dieser Packungsänderung sei für Basticrat Tropfen 100 ml ein neuer Senkrechttropfer eingeführt worden, der die Anforderungen der Ph. Eur. erfülle.
Die Firma Biomo teilte mit, dass die Monographie der Ph. Eur. nicht vorschreibe, Senkrechttropfer bei der Dosierung senkrecht zu halten. Ebenso seien diesbezüglich keine Hinweise auf der Sekundärverpackung oder in der Packungsbeilage vorhanden. Nach Erfahrung der Firma Biomo würde der Patient bei der Entnahme die Flasche waagerecht halten, da in dieser Position eine problemlose Tropfenentnahme möglich sei. Dennoch habe man sich entschlossen, zukünftig einen Tropfeinsatz zu verwenden, der ein Senkrechttropfen ermögliche.
Die Firma Verla-Pharm Arzneimittel informierte uns darüber, dass das Präparat der Charge 980001 die letzte mit Waagerechttropfer ausgestattete Charge gewesen sei. Das Präparat der Charge 990001 enthielte bereits einen ab diesem Zeitpunkt ausschließlich verwendeten Senkrechttropfer.
Die Firma Dr. Loges teilte uns mit, dass seit August 2000 neue Tropfer verwendet würden, die den Anforderungen der Ph. Eur. erfülle.
Die Firma Pascoe informierte uns darüber, dass Crataepas Tropfen seit April 2000 nicht mehr hergestellt würden. Es ist beabsichtigt für das Nachfolgepräparat Crataepas 100 einen modifizierten Tropfer zu verwenden, bei dem die Anforderungen der Ph. Eur. erfüllt würden.
Literatur
(1) Eifler-Bollen, R., Hensel, A., Pflanzliche Tropfenpräpate oft nicht genau zu
dosieren, Pharm. Ztg. 145 (2000) 2450 - 2454.
(2) Hensel, A., Ausfällungen in flüssigen Phytopharmaka, Auswirkungen auf die
Arzneimittelqualität? Dt. Apotheker Ztg. 139 (1999) 1465 - 1468.
(3) Hensel, A., Ausfällungen in flüssigen Phytopharmaka, Teil II: Auswirkungen auf die
Dosiergenauigkeit. Dt. Apotheker Ztg. 139 (1999) 4005 - 4009.
(4) Hensel, A., Studies on neutral polysaccharides and their extractability from Crataegi
folium cum flore. Pharmazie 53 (1998) 572 - 577.
Danksagung
Die Autoren bedanken sich für die zuverlässige und qualifizierte Mitarbeit von Herrn Timo Smiatek und Frau Katharina von Gersdorff sowie bei der Firma Pharmatest Apparatebau GmbH, Hainburg, für die Bereitstellung des automatischen Tropfenzählgerätes.
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