Mögliche Interaktionen identifizieren |
26.09.2005 00:00 Uhr |
Klinisch-pharmazeutische Kurzbewertung
Interaktionen zu erkennen und in der Praxis zu handhaben, stellt für den Apotheker eine Herausforderung dar. Das Fallbeispiel eines lebertransplantierten Patienten zeigt, wie eine Nutzen-Risiko-Abwägung für eine Comedikation gelingen kann, wenn keine dezidierten Studien verfügbar sind.
Bei Immunsuppressiva muss auf Grund pharmakokinetischer Mechanismen wie der Metabolisierung über das Cytochrom-P-450-System häufig mit Interaktionen gerechnet werden. Paradebeispiel hierfür ist Ciclosporin A. Sein Wirkverlust infolge einer CYP3A4-Induktion durch Hyperforin, der häufige Gebrauch von Johanniskrautpräparaten und die lückenhafte Information bei der Beschaffung von Johanniskrautextrakten über das Internet belegen, dass dieses Thema auch in der Selbstmedikation relevant sein kann und eine fachkundige Beratung in der Apotheke notwendig ist (1-4).
Kombinationstherapien mit Immunsuppressiva müssen deshalb zu Therapiebeginn, bei Dosisänderungen, Therapieumstellungen beziehungsweise beim Absetzen einzelner Arzneimittel auf Wechselwirkungen überprüft werden. Wie dies systematisch erfolgen kann, zeigt folgendes Patientenbeispiel.
Metformin bei Immunsupression
Ein 64-jähriger Patient musste auf Grund eines exazerbierten Diabetes mellitus Typ 2 behandelt werden sechs Jahre nach einer Lebertransplantation wegen Hepatitis-C- und Alkohol-bedingter Zirrhose (Child-Pugh-Klasse B) mit bifokalem hepatozellulären Karzinom (HCC). Der adipöse Patient litt anamnestisch unter anderem unter einer Osteopenie (Erstdiagnose vor sechs Jahren), die per Bisphosponat-Zyklustherapie mit Pamidronsäure (Aredia®) behandelt wurde (siehe auch Tabelle). Zudem wies der Patient eine Hyperurikämie mit Verdacht auf Uratsteine auf und eine chronisch-obstruktive Bronchitis (COPD) nach langjährigem Rauchen.
Medikation Dosierungsschema Prograf® (Tacrolimus) 1 mg Kapseln 2-0-2-0 peroral (eingestellt auf eine Zielkonzentration von 5 ng/ml) Vigantoletten® 1000 I.E. (Colecalciferol) 1-0-0-0 peroral Calcium-Sandoz® fortissimum 1000 mg (Calciumlactogluconat) 1-0-0-0 peroral Allopurinol 300 mg 1-0-0-0 peroral Actrapid® Bolus (Normal-Insulin) 14-12-14-0 I.E. subkutan (eingestellt nach Blutglucosewerten)
Nachdem der Diabetiker seit etwa drei Monaten Normalinsulin spritzte, sollte er nun bei normaler Nieren- und Leberfunktion zusätzlich Metformin erhalten. Zudem sollte er die Insulindosis vorübergehend reduzieren und parallel seine Ernährung optimieren sowie sich mehr bewegen. Es stellte sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine gleichzeitige Therapie von Metformin mit dem bei ihm verwendeten Immunsuppressivum Tacrolimus klinisch durchführbar sei. Hierfür mussten Möglichkeiten der gegenseitigen Beeinflussung erwünschter und unerwünschter Wirkungen (pharmakodynamische Interaktion) und pharmakokinetischer Wechselwirkungen systematisch überprüft werden.
Wirkmechanismen durchleuchten
Tacrolimus wirkt immunsuppressiv, indem die Bildung von zytotoxischen Lymphozyten (T-Zellen), die für die Organabstoßung verantwortlich sind, gehemmt wird. Das Makrolid inhibiert zudem die Bildung von Lymphokinen sowie die Expression des Interleukin-2-Rezeptors. Die T-Zell-Aktivierung und die von T-Helfer-Zellen abhängige B-Zell-Proliferation werden unterbunden (5, 6).
Tacrolimus kann zu einer Hyperkaliämie führen, was bei Gabe kaliumhaltiger Arzneimittel oder von Arzneistoffen mit Effekten auf den Kaliumhaushalt berücksichtigt werden sollte. Metformin besitzt keine bekannten Effekte auf den Kaliumhaushalt, liegt als Hydrochlorid vor und enthält zum Beispiel als Glucophage® auch keine kaliumhaltigen Hilfsstoffe. Ferner wirkt es nicht hemmend auf ATP-gesteuerte Kaliumkanäle, die bei oralen Antidiabetika vom Sulfonylharnstofftyp die Insulinausschüttung aus den B-Zellen direkt stimulieren.
Das Biguanid wirkt unter anderem über membranständige Glucosetransportproteine und die Glykogensynthetase. Hierdurch kommt es vor allem zu einer Hemmung der Gluconeogenese und der Glykogenolyse, einer Erhöhung der peripheren Insulinempfindlichkeit sowie zu einer Hemmung der intestinalen Glucoseresorption. Eine entsprechende Recherche erbrachte keine relevanten Ergebnisse im Hinblick auf bekannte pharmakodynamische oder pharmakokinetische Interaktionen (7-9).
Isoenzyme und Transporter
Tacrolimus wird hauptsächlich über CYP3A4 in der Leber metabolisiert, beeinflusst die enzymatische Aktivität dieses Enzyms selbst aber nicht. Es sind mindestens neun Metabolite bekannt, von denen einige pharmakologisch aktiv sind. Die gleichzeitige Anwendung von Induktoren oder Hemmern von CYP3A4 kann den Stoffwechsel von Tacrolimus und damit die Wirkspiegel beeinflussen. Metformin ist jedoch nicht als Inhibitor oder Induktor von CYP bekannt. Zudem wird Metformin selbst nicht über CYP metabolisiert, sondern in unveränderter Form mit dem Urin ausgeschieden. Kompetitive Hemmmechanismen an CYP sind bisher nicht beschrieben und unwahrscheinlich; ein Einfluss von Metformin auf den hepatischen Metabolismus von Tacrolimus ist daher nicht anzunehmen (5, 6, 10, 11).
Es gibt viele Hinweise darauf, dass Metformin mit kationischen Substanzen interagieren könnte. So spielt etwa bei seiner intestinalen und hepatischen Aufnahme der Organische Kationentransporter 1 (Oct 1) eine Rolle, während der aktive Eliminationsmechanismus in der Niere noch nicht vollständig aufgeklärt ist. Für das unter physiologischen Bedingungen nicht protonierte Tacrolimus ist eine Interaktion mit diesen Transportern jedoch nicht zu erwarten (5, 6, 12).
Nierenfunktion im Blick
Metformin wird in unveränderter Form renal und zum großen Teil aktiv ausgeschieden. Es ist noch nicht endgültig geklärt, wie viele Arzneimitteltransporter hieran beteiligt sind. Interaktionen, welche die Bioverfügbarkeit von Metformin beeinflussen, wären vor allem über eine Veränderung der renalen Clearance möglich. Hinweise darauf, dass Tacrolimus die renalen Elimationsmechanismen von Metformin beeinflussen, liegen allerdings nicht vor.
Niereninsuffizienz, Anstieg der Kreatinin- und Harnstoffspiegel im Blut, Oligurie oder Nephropathien sind häufige Nebenwirkungen von Tacrolimus, die die Kinetik von Metformin wesentlich beeinflussen könnten. Das Biguanid ist jedoch bei einer Kreatininclearance unter 60 ml/min wegen des Risikos einer bedrohlichen Laktatazidose kontraindiziert. Die renale Clearance von Tacrolimus ist geringer als 1 ml/min. Zu einer möglichen renalen Elimination der Metabolite oder einer Beeinflussung von Arzneimitteltransportern durch Tacrolimus liegen derzeit keine weiteren Informationen vor (5, 6).
Bewertung einer Comedikation bei Immunsuppressiva Das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer neuen Comedikation unter immunsuppressiver Behandlung ist sorgfältig zu bewerten. Die Anwendung des zusätzlichen Präparates sollte möglichst genau in derjenigen therapeutischen Indikation, bei der jeweiligen Patientengruppe und in demjenigen Dosierungsregime möglichst gut belegt sein, die auch beim individuellen Patienten zum Einsatz kommen soll. Pharmakodynamische und pharmakokinetische Eigenschaften der Comedikation und des Immunsuppressivums müssen auf mögliche Interaktionen hinterfragt werden. Dabei bilden Fragen nach der Metabolisierung über CYP-Isoenzyme und zur Beeinflussung der renalen Elimination besondere Schwerpunkte in der Beurteilung pharmakokinetischer Interaktionen. Wenn Wechselwirkungen nicht vermieden werden können, die Kombination nach Nutzen-Risiko-Gesichtspunkten aber gerechtfertigt ist, muss ein klinisches Monitoring einsetzen, das Wirksamkeit und toxische Warnzeichen der immunsuppressiven Therapie, aber auch der Comedikation umfasst, um bei Bedarf die Dosierung insbesondere des Immunsuppressivums gezielt anzupassen.
Da Tacrolimus mit über 98,8 Prozent eine hohe Plasmaproteinbindung aufweist, an der neben α1-saurem Glykoprotein auch Albumin wesentlich beteiligt ist, konkurriert es mit oralen Antidiabetika wie Sulfonylharnstoffen um die Plasmaproteinbindung und kann aus dieser verdrängt werden. Solche Interaktionen sind allerdings nur dann klinisch relevant, wenn gleichzeitig auch die Elimination gehemmt wird. Bei Metformin ist die Bindung an Plasmaproteine vernachlässigbar gering und weder Tacrolimus noch Metformin greifen in die Elimination der jeweils anderen Substanz ein, weshalb auch in dieser Hinsicht nicht mit Interaktionen zu rechnen ist (5, 6, 8, 9).
Empfehlungen für die Therapie
Die Notwendigkeit und der therapeutische Nutzen einer Comedikation muss unter einer immunsuppressiven Behandlung immer sorgfältig abgewogen werden. Für den Einsatz von Metformin spricht im Fallbeispiel allerdings viel: Gerade bei übergewichtigen Typ-2-Diabetikern konnte es die Inzidenz makroangiopathischer Komplikationen und die Letalität in der UKPD-Studie reduzieren (13). Im Vergleich zur primären Monotherapie mit Metformin zeigte die primäre Monotherapie mit Insulin keine Vorteile hinsichtlich der Senkung des HbA1c oder der Prognose (14). Hypoglykämien und Gewichtszunahme sind unter Insulintherapie und Sulfonylharnstoffen häufiger als unter Metformin. Sofern ernährungstherapeutische Maßnahmen nicht ausreichend sind (HbA1c größer als 7,0 Prozent nach drei Monaten), entspricht die Monotherapie mit Metformin bei einem übergewichtigen Patienten gängigen Therapieempfehlungen (15). Wenn nach drei Monaten der HbA1c noch immer größer als 7,0 Prozent ist, kommt die Ergänzung der Therapie mit einem weiteren oralen Antidiabetikum infrage. Falls nach weiteren drei Monaten der HbA1c mehr als 7,0 Prozent (gute Compliance vorausgesetzt) beträgt, sollten zusätzlich ein Verzögerungsinsulin zur Nacht oder vor den Mahlzeiten kurzwirkendes Insulin und abends Metformin oder eine intensivierte Insulintherapie erwogen werden (15). Eine Insulintherapie mit einem kurzwirkenden Insulin allein, wie im vorliegenden Fall, ist demnach keine Therapie der Wahl.
Auch wenn es derzeit keine Hinweise gibt, dass Metformin den Tacrolimus-Metabolismus pharmakokinetisch beeinflussen könnte oder dass umgekehrt Tacrolimus die aktiven Aufnahme oder tubuläre Elimination von Metformin beeinträchtigt, ist ein gezieltes Monitoring notwendig. Denn nur für etwa 7 Prozent der Kombinationspaare liegen bisher publizierte Erfahrungen vor (16) und somit muss mit bisher noch unbekannten Interaktionen gerechnet werden, solange keine gezielten Studiendaten verfügbar sind. Aber selbst wenn Interaktionen auftreten würden, ist davon auszugehen, dass mit einem entsprechenden klinischen Monitoring (Prüfung der immunsupprimierenden Wirksamkeit, Ausschluss von Nebenwirkungen von Tacrolimus, wie Erhöhung der Kreatinin- oder Blutzuckerwerte) eine Handhabung dieser Kombination einfach möglich ist (5, 16).
Neben einer Dosisanpassung durch den Arzt stehen bei nicht ausreichender immunsuppressiver Wirksamkeit auch Corticosteroide oder eine kurzzeitige Therapie mit Antilymphozytenantikörpern zur Verfügung. Da ein Zusammenhang zwischen erhöhten Blutspiegeln und Zunahme unerwünschter Wirkungen als gesichert gilt, ist eine Blutspiegelbestimmung auch im Fallbeispiel zu empfehlen. Nach den ersten drei Monaten der Transplantation sind im Vollblut des Patienten gemessene Talspiegel (gemessen mit unspezifischen immunologischen Verfahren) von 5 bis 15 mg/l therapeutisch sinnvoll. Tacrolimus wird relativ langsam aus dem Körper ausgeschieden (Eliminationshalbwertszeit circa zwei Tage). Änderungen der Blutkonzentrationen zeigen sich daher erst nach mehreren Tagen (5). Im Monitoring der Therapie hat die Beurteilung des klinischen Bildes allerdings Vorrang vor der Laborkontrolle.
Ferner sollten auch wichtige metabolische Laborwerte des Diabetes mellitus wie Blutglucose und HbA1c, aber auch weitere Parameter des metabolischen Syndroms wie Blutdruck und Lipidprofil regelmäßig bestimmt werden. Besonders sollte der behandelnde Arzt auf die Nierenfunktion achten, da Tacrolimus diese einschränken kann und Metformin wegen des Risikos einer (potenziell lebensbedrohlichen) Laktatazidose dann kontraindiziert ist. Metformin kann in der üblichen Dosierung von 500 oder 850 mg zwei- oder dreimal täglich während oder nach den Mahlzeiten eingenommen werden, wobei eine langsame Dosiserhöhung die gastrointestinale Verträglichkeit verbessert und nach 10 bis 15 Tagen eine Dosisanpassung nach Blutglucosewerten empfohlen wird. Die maximale empfohlene Tagesdosis liegt bei 3 g und kann auch im Fallbeispiel, falls erforderlich und verträglich, ausgeschöpft werden (6).
Literatur
Für die Verfasser:
Dr. Thilo Bertsche
Universitätsklinikum Heidelberg, Medizinische Klinik (Krehl-Klinik)
Abteilung Innere Medizin VI, Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie
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