Insulin und Tütensuppen |
10.03.2003 00:00 Uhr |
Wie löslicher Kaffee und Tütensuppen könnten demnächst auch therapeutische Proteine durch Gefriertrocknung aufgearbeitet werden. Denn in einer Kombination von Sprüh- und Gefriertrocknung sehen Erlanger Wissenschaftler den idealen Weg, stabile Wirkstoffe für nadelfreie Injektionssysteme herzustellen.
Vielen Erkrankungen liegt ein Ungleichgewicht verschiedener körpereigener Proteine zu Grunde. Gegen einen krank machenden Proteinmangel hilft die Gabe der fehlenden Stoffe, ein Überschuss lässt sich durch hemmende Gegenspieler in den Griff bekommen. Zunehmend entwickeln die Pharmaunternehmen deshalb so genannte therapeutische Proteine, dem „Chemieunternehmen Körper“ abgeschaute Eiweißmoleküle. Über 60 solcher Substanzen sind in Europa derzeit zugelassen. Wirksam sind sie aber nur, wenn die langen Aminosäureketten nach bestimmten Regeln gefaltet und somit biologisch aktiv sind. Die Proteine müssen exakt die gleiche dreidimensionale Struktur aufweisen wie das natürliche Vorbild und in dieser Form bis zu ihrem Zielort im Körper gelangen.
Tabletten, Kapseln und Dragees als Verabreichungsform der therapeutischen Proteine scheiden aus, da die Magensäure die Moleküle augenblicklich auseinander faltet. Bleibt noch das Inhalieren und die Spritze. Für beides haben Pharma-Technologen Verfahren entwickelt, um die therapeutischen Proteine bis zu ihrem Wirkort möglichst stabil zu halten. Das kalifornische Unternehmen Inhale Therapeutics Systems bedient sich beispielsweise bei der Herstellung des bald auf den Markt kommenden inhalierbaren Insulins der so genannten Sprühtrocknung. In einer Flüssigkeit gelöstes, gentechnisch hergestelltes Insulin wird in einem Trockenturm versprüht. Die Wärme entzieht dem Nebel augenblicklich die Feuchtigkeit, zurück bleibt ein feines Pulver, aus Insulin-Partikeln, die tief in die Lunge eindringen können.
Stabile Moleküle gefragt
Komplizierter ist die Herstellung von Protein-Injektionslösungen für Spritzen. Bei dieser Applikationsart müssen die Moleküle besonders stabil sein, da das Lösungsmittel ihre Struktur verändern kann. Hier hat sich die Gefriertrocknung bewährt. Sie basiert – salopp gesagt – auf den Beobachtungen von Hausfrauen und Bergsteigern. Wäsche trocknet im strengsten Winter im Freien, weil sie zunächst gefriert und dann das Wasser verdampft ohne nochmals flüssig zu werden, was Physiker als Sublimation bezeichnen. Und in großer Höhe kocht Wasser schon bei Temperaturen weit unter 100 Grad Celsius, weil dort der Luftdruck niedriger ist, was den Siedepunkt senkt. Die Gefriertrocknung macht sich beide Phänomene zunutze: Zunächst wird ein Aufguss eingefroren, dem anschließend in der Vakuumkammer die Feuchtigkeit entzogen wird. Während des Zweiten Weltkrieges wurde so bereits das Rohmaterial für Penicillin und Blutseren gewonnen. Nestlé stellt auf gleiche Weise seit 1965 löslichen Bohnenkaffee her, und die Nahrung der Apollo-Astronauten auf ihrem Weg zum Mond war großteils gefriergetrocknet.
„Die Gefriertrocknung ist ein aufwendiges und teures Verfahren“, stellt Professor Dr. Geoffrey Lee, Lehrstuhlinhaber für Pharmazeutische Technologie an der Universität Erlangen-Nürnberg, fest. „Sie eignet sich nur bedingt zur Herstellung von Proteinen, die mit nadelfreien Injektionssystemen in die Haut verabreicht werden sollen“. Solche Systeme injizieren Wirkstoffe mit Hochdruck fast schmerzfrei durch die Zellschichten der Haut in den Körper. Nach Meinung von Experten sollen sie bereits in vier Jahren die herkömmlichen Spritzen ablösen. Doch die dabei auftretenden Kräfte können die Struktur der Proteine verändern und die Wirkstoffe inaktivieren. Deshalb eignen sich die derzeit in Deutschland erhältlichen neuen Wirkstoffe nur für die herkömmliche Spritzenbehandlung. Es gilt also, die Proteine widerstandsfähiger zu machen.
Dazu hat Lee in Erlangen die so genannte Sprüh-Gefriertrocknung
erforscht. „Der Lösung, die das therapeutische Protein enthält, fügen wir
zunächst stabilisierende Hilfsstoffe hinzu und versprühen das Gemisch in
flüssigem Stickstoff oder Propan. Die fein verteilten gefrorenen Tröpfchen
werden dann im Hochvakuum bei Temperaturen unter null Grad Celsius
gefriergetrocknet“, erklärt er. Bei der Trocknung gehen die Hilfsstoffe in
einen glasartigen Zustand über und schützen die Proteine, die zuletzt als
festes, aus Mikropartikeln bestehendes Pulver vorliegen. Derzeit arbeiten
die Erlanger Forscher intensiv an der Prozessführung. Denn die niedrigen
Temperaturen inaktivieren noch zu viele Proteine. Lee sucht deshalb nach
geeigneten Hilfsstoffen, die dies verhindern, und experimentiert mit
Carbohydraten, Polyolen, Aminosäuren, Zuckerstoffen und Tonierungssalzen.
„Wir sind sicher“, sagt er, „dass wir eine relativ kostengünstige
Produktionsmöglichkeit für therapeutische Proteine finden“. Mit diesen
könnte bereits in relativ kurzer Zeit eine schmerzfreien Impfung und
Behandlung von Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes möglich sein.
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