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Den Verfall aufhalten

09.09.2002  00:00 Uhr
Memantin

Den Verfall aufhalten

von Brigitte M. Gensthaler, München

Seit einem Monat ist Memantin auch für Patienten mit fortgeschrittener Alzheimer-Demenz zugelassen. In Studien konnte damit der Verlust von Alltagsfähigkeiten gebremst werden.

Die Palette der Antidementiva ist breit und reicht von Acetylcholinesterase-Hemmstoffen über Calcium- und NMDA-Antagonisten bis zu Nootropika und Ginkgo-biloba-Extrakt. Die Arzneistoffe greifen in verschiedene Neurotransmitter-Systeme ein. Memantin erhielt im Mai die zentrale europäische Zulassung für die Behandlung von Patienten mit schwerer Alzheimer-Demenz. Für diese Indikation vermarkten die Firmen Lundbeck und Merz Pharmaceuticals das Medikament seit 1. August unter den Namen Ebixa® und Axura® (Filmtabletten mit 10 mg Memantinhydrochlorid und Tropfen mit 10 mg/g).

Der Wirkstoff selbst ist Ärzten und Apothekern als Akatinol® Memantine (Merz Pharmaceuticals) seit langem bekannt. Er wird bei leichten bis mittelschweren Hirnleistungsstörungen eingesetzt.

Calciumeinstrom gebremst

Memantin ist ein nicht kompetitiver NMDA-Rezeptorantagonist. NMDA steht für N-methyl-D-aspartat. NMDA-Rezeptoren als Subtypen von Glutamat-Rezeptoren steuern einen Ionenkanal auf Neuronen, der insbesondere Calcium-Ionen in die Zelle eintreten lässt – ein wichtiger Prozess bei der Reizverarbeitung und beim Lernen. Bleibt der Kanal jedoch zu lange offen, strömt zuviel Calcium in die Zelle und schädigt diese durch Aktivierung verschiedener Enzyme. Dies passiert beispielsweise beim Schlaganfall, bei Morbus Alzheimer oder im Alter. Die gesunde Zelle schützt sich davor durch zwei Mechanismen: Einerseits versperrt ein Magnesium-Ion den Kanal, andererseits müssen zwei Neurotransmitter, Glutamat und Glycin, zur Aktivierung andocken.

Eine pharmakologische Blockade der NMDA-Rezeptoren vermindert den Ionenstrom in das Neuron. Da die Calcium-Homöostase sowohl bei Morbus Alzheimer als auch bei vaskulär und toxisch bedingten Demenzen gestört ist, wirkt Memantin bei verschiedenen Demenzformen.

Besserung klinisch relevant

In zwei Studien verbesserte der Wirkstoff die kognitiven Leistungen, die Alltagsbewältigung und das klinische Gesamturteil im Vergleich zu Placebo. Bei schwer dementen Patienten wurde der Verfall gemildert.

In einer dreimonatigen Studie erhielten 82 Patienten zweimal täglich 10 mg Memantin und 84 Patienten Placebo. Die Patienten, die im Krankenhaus oder Pflegeheimen betreut wurden, litten je zur Hälfte an Alzheimer und an vaskulärer Demenz. Aus ärztlicher Sicht, gemessen mit Clinical Global Impression of Change-Skala, profitierten 73 Prozent der Patienten unter Verum, aber auch 45 Prozent in der Placebogruppe. Die Patienten waren weniger pflegebedürftig als unter Placebo, stellte das Pflegepersonal in der BGP-Skala (Behavioural Rating Scale for Geriatric Patients) fest. Diese beiden primären Endpunkte besserten sich bei sechs von zehn Patienten der Verumgruppe im Vergleich zu drei von zehn unter Placebo. Die Vorteile für Memantin waren klinisch relevant. Die Studie zeigt aber auch, dass selbst schwer kranke Patienten von einer intensiven Betreuung deutlich profitieren.

Erleichterung für die Betreuer

Dass der günstige Effekt länger anhalten kann, zeigte eine sechsmonatige Studie mit 252 ambulant betreuten Patienten, die als offene Studie mit 175 Teilnehmern über weitere sechs Monate geführt wurde. Die Patienten erhielten ebenfalls zweimal 10 mg Memantin oder Placebo. Zwar ging es den Menschen in beiden Gruppen während der halbjährigen Studie schlechter, jedoch ließen die kognitiven und funktionalen Fähigkeiten bei Patienten unter Verum signifikant weniger nach. Fast jeder Dritte erlebte eine Stabilisierung oder Besserung (10 Prozent unter Placebo). In allen drei Bereichen – kognitive Fähigkeiten, funktionaler und globaler Bereich – besserten oder stabilisierten sich jedoch nur 11 Prozent der Memantin-Gruppe gegenüber 6 Prozent der Placebogruppe.

In der Verlängerungsphase profitierten auch die Patienten, die von Placebo auf Verum umgestellt wurden. Ihre Fähigkeiten nahmen langsamer ab, als auf Grund der vorherigen Beobachtung zu erwarten war. Angesichts der hohen Belastung für Patient, Familie und Betreuer ist dies bereits eine Erleichterung.

Das Medikament ist relativ gut verträglich. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Halluzinationen, Verwirrtheit, Schwindel, Kopfschmerzen und Müdigkeit. Die gleichzeitige Gabe anderer NMDA-Antagonisten wie Amantadin, Ketamin oder Dextromethorphan soll vermieden werden, da eine pharmakotoxische Psychose auftreten kann. Ein alkalischer Urin kann die überwiegend renale Ausscheidung verzögern. Dies ist zum Beispiel bei Umstellung auf vegetarische Kost oder massiver Einnahme von Mitteln zur Neutralisierung der Magensäure zu beachten.

 

Was ist eine Demenz? Nach der international gültigen Klassifikation ICD-10 versteht man unter Demenz ein Syndrom mit anhaltenden Störungen des Gedächtnisses, des Denkvermögens und der emotionalen Kontrolle.

Störungen des Gedächtnisses betreffen die Aufnahme und Wiedergabe neuer Informationen sowie den Verlust vertrauter und früher erlernter Inhalte. Im Denkvermögen sind die Fähigkeit zu vernünftigem Urteilen, der Ideenfluss und die Verarbeitung von Informationen beeinträchtigt. Sozialverhalten und die Motivation leiden durch Störungen der emotionalen Kontrolle.

Der Patient ist dadurch in den Aktivitäten des täglichen Lebens deutlich beeinträchtigt. Im Unterschied zu früheren Definitionen kann eine Demenz nach ICD-10 leicht, mittelschwer und schwer ausgeprägt und auch reversibel sein.

 

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