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Unwissen behindert optimale Schmerztherapie

20.06.2005  00:00 Uhr

Palliativmedizin

Unwissen behindert optimale Schmerztherapie

von Annette van Gessel, Aachen

Patienten mit Tumorschmerzen haben ein Recht auf eine effektive Schmerztherapie ­ gegebenenfalls sogar unter Umgehung des WHO-Stufenschemas. Doch noch immer werden ihnen stark wirksame Opioide zu lange vorenthalten. Grund dafür sind Unwissenheit und Unsicherheit in der patientenorientierten Anwendung des Stufenplans.

»Zwar hat das WHO-Schema zur Schmerztherapie nach wie vor seine Gültigkeit, doch vor allem bei Patienten mit Tumorschmerzen ist es für eine effiziente Therapie eher ein Hindernis«, sagte Dr. Thomas Nolte, Schmerztherapeut am Schmerz- und Palliativzentrum in Wiesbaden, auf einem von Mundipharma ausgerichteten Symposium. Unwissen und Unsicherheit in der patientenorientierten Anwendung des Stufenplans verhinderten eine optimale Therapie, so der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie. Viel zu lange würden diese Patienten mit Analgetika der Stufe I behandelt, deren analgetische Potenz jedoch nicht mehr ausreiche. Auch das Nebenwirkungsspektrum dieser Substanzen sei für diese Zielgruppe unzumutbar. Dennoch würden immer noch mehr als zwei Drittel der Patienten ausschließlich mit diesen Pharmaka behandelt. Vor allem im Finalstadium der Erkrankung leiden 90 Prozent der Patienten unter Dauerschmerzen, die länger als 12 Stunden täglich anhalten.

Opioide sind Mittel der Wahl

Bei starken Schmerzen und fortschreitender Grunderkrankung sind Opioide der Stufe III die Mittel der Wahl, wobei Morphin als früherer Goldstandard zunehmend von synthetischen Nachfolgeprodukten abgelöst wird. Die neuen Arzneistoffe sind besser verträglich und weisen weniger unerwünschte Wirkungen auf. Vor allem die initiale Übelkeit und Obstipationen sind deutlich reduziert. Zudem wird die Vigilanz der Patienten weniger beeinträchtigt. Daraus resultiere eine höhere Akzeptanz durch die Patienten, die zum Teil noch mit eigenen Vorurteilen bezüglich des Morphin-Mythos kämpften, so Nolte. In der Praxis habe sich als Einstieg eine niedrige Dosis eines retardierten Opioids bewährt, da es in der sensiblen Einstellungsphase langsam anflutet und infolge des gleichmäßigen Wirkspiegels zu milderen Opioid-typischen Nebenwirkungen führt. Nach einer Eingewöhnungszeit von vier bis sieben Tagen könne der Arzt die Dosis bedarfsorientiert erhöhen. Hydromorphon sei zurzeit das Opioid mit dem besten Wirkungs-Nebenwirkungs-Profil: Die Substanz besitzt eine hohe analgetische Potenz, wird nur gering an Plasmaeiweiß gebunden, zeigt keine Interaktionen mit Cytochrom-P450-Isoenzymen, wirkt nur gering obstipierend und emetogen, macht kaum müde und ist auch bei Patienten mit einer Leber- und Niereninsuffizienz einsetzbar.

An Begleitmedikation denken

Neben der Opioid-Gabe benötigen die meisten Patienten eine Zusatzmedikation gegen Durchbruchschmerzen. Darunter versteht man eine vorübergehende Schmerzverstärkung bei einer an sich gut kontrollierten Schmerzsituation. Diese Schmerzen sind nicht vorhersehbar, setzen sehr schnell und heftig ein, dauern etwa 30 Minuten und treten bei 80 Prozent der Patienten mit Tumorschmerzen auf. Nolte empfahl, dem Patienten zusätzlich zum Opioid der Stufe III von Anfang an ein kurz wirkendes Opioid oder auch ein Nicht-Opioid-Analgetikum als Rescue-Medikation an die Hand zu geben.

Eine auf den Schmerzmechanismus abgestimmte Komedikation steigere darüber hinaus die Wirksamkeit der Opioide. Patienten, die unter Schlaflosigkeit oder einer Depression leiden, sollten niedrig dosierte trizyklische Antidepressiva erhalten, bei neuropathischen Schmerzformen eigneten sich Antiepileptika und zur Behandlung von Knochenmetastasen hätten sich Bisphosphonate bewährt, sagte Nolte. Patienten mit entzündlicher Schmerzgenese und Appetitmangel, vor allem in späteren Krankheitsstadien, sollten ein niedrig dosiertes Cortison als Begleitmedikation bekommen.

Nur eine moderne, ganzheitliche Schmerztherapie ermögliche weitgehende Schmerzfreiheit bis zum Lebensende. Der Therapeut müsse sich an den individuellen Bedürfnissen des Patienten orientieren und je nach den Erfordernissen und Symptomen in einem kybernetischen Pharmakotherapiemodell mehrere Arzneistoffe miteinander kombinieren. Eine solche Strategie mache bei Tumorschmerzpatienten nur noch in seltenen Fällen invasive Therapieverfahren erforderlich.

   

WHO-Stufenschema

  • Stufe 1: Nicht-Opioidanalgetikum (zum Beispiel Metamizol, Diclofenac, Acetylsalicylsäure, Ibuprofen, Paracetamol) und Adjuvantien
  • Stufe 2: schwaches Opioid (zum Beispiel Tramadol, Tilidin/Naloxon, Dihydrocodein) und Nicht-Opioidanalgetikum und Adjuvantien
  • Stufe 3: starkes Opioid (Fentanyl, Morphin) und Nicht-Opioidanalgetikum und Adjuvantien

 

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