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Wirksam und schädlich

24.03.2003  00:00 Uhr
Alzheimer-Impfstoff

Wirksam und schädlich

von Christina Hohmann, Eschborn

Die bisher einzige klinische Studie zu einem potenziellen Alzheimer-Impfstoff musste vergangenes Jahr abgebrochen werden, als eine Reihe von Patienten schwere Meningoencephalitis entwickelte. Die erste Autopsie einer Studienteilnehmerin zeigt, welche Wirkungen die Vakzine auf das menschliche Gehirn hat.

Im Gehirn von Patienten mit Morbus Alzheimer lagert sich Beta-Amyloid, ein 39 bis 42 Aminosäure langes Peptid, zu so genannten senilen Plaques zusammen. Diese gelten als eine der Schlüsselkomponenten der Alzheimer-Pathogenese. Da die Plaques Antikörperreaktionen hervorrufen, vermuten Wissenschaftler schon seit längerem, dass eine Impfung zur Beseitigung der schädlichen Protein-Ablagerungen führen könnte. Im Tiermodell für die neurodegenerative Erkrankung ließ sich diese Vermutung auch bestätigen: Transgene Mäuse, die Beta-Amyloid gespritzt bekamen, entwickelten deutlich weniger Amyloid-Plaques als die unbehandelten Kontrolltiere. Bei älteren Mäusen reduzierte sich durch die Impfung sogar die Zahl der bereits gebildeten Protein-Ablagerungen.

Die erste klinische Studie mit einer potenziellen Alzheimer-Vakzine verlief allerdings weniger erfolgreich: Die im Oktober 2001 von dem US-amerikanischen Unternehmen Elan Pharmaceutical gestartete Studie mit etwa 360 Alzheimer-Patienten musste im Januar 2002 abgebrochen werden, weil 15 Studienteilnehmer eine Entzündung des zentralen Nervensystems entwickelten. Die Patienten hatten im Abstand von vier Wochen mehrfach eine Impfung mit AN1792, einem synthetischen 42 Aminosäuren langen Beta-Amyloid, erhalten.

Um die Wirkung der Vakzine und die Ursache der schweren Meningoencephalitis aufzuklären, untersuchten James Nicoll und seine Kollegen vom Southampton General Hospital in Southampton, Großbritannien, das Gehirn einer Studienteilnehmerin. Die 72-jährige Britin hatte bereits mehrere Impfungen erhalten, als sich ihr Zustand plötzlich verschlechterte: Sie litt unter Schwindelanfällen, Schläfrigkeit, Fieber sowie Bewegungsstörungen und war schließlich vollständig auf fremde Hilfe angewiesen. Untersuchungen des Gehirns mit bildgebenden Verfahren zeigten deutliche Anomalien der weißen Substanz. Bis zu ihrem Tod in Folge einer Lungenembolie im Februar 2003 erholte sich die Patientin nicht wieder.

Plaques-frei durch Vakzine

In der neuropathologischen Untersuchung des Gehirns zeigte sich, dass deutlich größere Gebiete der Hirnrinde Plaques-frei waren, als dies bei ungeimpften Alzheimer-Patienten der Fall ist, berichten die Mediziner um Nicoll in einer Online-Vorabveröffentlichung der Fachzeitschrift Nature Medicine. „Diese Daten legen nahe, dass die Vakzine einen erstaunlich starken Effekt besitzt – die fast vollständige Beseitigung der Amyloid-Plaques von weiten Teilen des Cortex – und liefern somit den ersten ernsthaften Hinweis, dass eine induzierte Immunantwort die Pathologie der Erkrankung beeinflussen kann“, schreiben B. T. Hyman vom Massachussetts General Hospital in Charlestown und zwei Kollegen in einem begleitenden Kommentar. Diese Ergebnisse zeigten allerdings nicht, inwieweit die Vakzinierung tatsächlich die kognitiven Fähigkeiten der Patienten verbessert. Denn noch ist nicht bekannt, ob sich die Alzheimer-Symptomatik nach Abbau der Amyloid-Plaques verbessert, so die Autoren weiter. Außerdem blieben andere neuronale Anomalien wie Tau-Protein-Ablagerungen unbeeinflusst.

Weiterhin fand Nicolls Team eine große Zahl von T-Lymphozyten im Gehirn der Patientin, vor allem in der Nähe von Beta-Amyloid-Ablagerungen enthaltenden Blutgefäßen. Die Mediziner vermuten, dass sich die durch die Impfung ausgelöste Immunreaktion nicht nur gegen senile Plaques im Gehirn sondern auch gegen Amyloid-Ablagerungen in den Blutgefäßen richtete. Dies könnte zu Durchblutungsstörungen geführt haben, die für den starken körperlichen und geistigen Abbau der Patientin verantwortlich sein könnten. Daher könnte die Impfung bei Patienten mit massiven Amyloid-Ablagerungen im Gehirn, wie sie bei einem gewissen Prozentsatz der Alzheimer-Patienten auftreten, Schwierigkeiten bereiten, folgern Hyman und seine Kollegen in ihrem Kommentar.

Trotz dieser Ergebnisse wollen die Mediziner nicht ausschließen, dass in Zukunft ein Impfstoff erfolgreich gegen Morbus Alzheimer eingesetzt werden könnte. Der vorliegende Fall zeige die Effektivität dieses Ansatzes und gibt Hinweise, in welche Richtung geforscht werden sollte, betonen die Autoren des Kommentars. Andere Experten sind weniger überzeugt, dass diese Einzeluntersuchung die Wirksamkeit der Impfung beweise. So erklärt Professor Dr. Blas Frangione von der New York University School of Medicine: „Es gibt eine kleine Gruppe von Patienten, die sehr wenig Plaques aufweisen. Daher kann man aus den Ergebnissen nicht schließen, dass die Beseitigung der Plaques auf die Behandlung zurückgeht.“ Elan Pharmaceuticals plant, noch in diesem Jahr eine klinische Studie mit einer modifizierten Form der Vakzine zu beginnen.

Quellen:

  • Nicoll, J. A. R., et al., Neuropathology of human Alzheimer disease after immunization with amyloid-b peptide: a case report. Nature Medicine, Online-Vorabveröffentlichung vom 17. März 2003.
  • Greenberg, S. M., Bacskai, B. J., Hyman, B. T., Alzheimer disease’s double-edged vaccine. Nature Medicine, Online-Vorabveröffentlichung vom 17. März 2003.
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