Welche Interaktionen werden aufgenommen? |
30.12.2002 00:00 Uhr |
von Petra Zagermann-Muncke, Eschborn
Wenn ein Patient oder eine Patientin mit mehreren Arzneimitteln behandelt wird, sind Interaktionen möglich. Ob diese zu erwarten sind, kann die Apotheke mit Hilfe der ABDA-Datenbank prüfen. Werden potenzielle Interaktionen angezeigt, enthalten die Monographien immer auch Empfehlungen zu ihrer Vermeidung.
Was ist eine pharmakologische Interaktion? Darunter versteht man die Veränderung der Wirkungen eines Stoffes durch einen anderen Stoff, die sich beim therapeutischen Einsatz am Patienten zeigt. Bei den Stoffen kann es sich um Arzneistoffe, um definierte Bestandteile von Nahrungs- und Genussmitteln, zum Beispiel Calciumsalze, Tyramin oder Coffein, oder um Suchtstoffe handeln. Als Folge einer Interaktion können die Wirkungen insgesamt verstärkt oder verringert werden. Manchmal werden auch nur einzelne unerwünschte Effekte verstärkt. In einigen Fällen verändern Wirkstoffe auch komplexe physiologische Abläufe, so dass bei Anwendung gewisser weiterer Wirkstoffe unerwartete Reaktionen auftreten, die bei Einzelgabe in der Regel nicht vorkommen.
Inkompatibilitäten, also chemische Unverträglichkeiten von Arzneimittelzubereitungen in vitro, sind keine Wechselwirkungen im pharmakologischen Sinn.
„Food effects“, also Resorptionsveränderungen durch Einnahme mit Mahlzeiten, die große Anteile an Fetten, Proteinen oder Kohlenhydraten, den so genannten Macro-Nutrients, enthalten, werden nicht im Interaktionsmodul der ABDA-Datenbank dokumentiert.
"Pseudointeraktionen“
Ebenso liegt keine Wechselwirkung vor, wenn aus der Indikation eines Arzneistoffs auf eine mögliche Kontraindikation für den anderen Arzneistoff geschlossen werden kann. So kann man aus der Verordnung von Omeprazol beispielsweise recht eindeutig auf die Indikation Ulkus schließen. Dies ist eine Kontraindikation für Acetylsalicylsäure-haltige Arzneimittel. Leider besteht häufig das Missverständnis, dass es sich bei einem derartigen Rückschluss - der auch nur selten so relativ eindeutig ist wie in diesem Beispiel - um eine Interaktion handele.
Ein weiteres Beispiel für eine Pseudointeraktion ist die Nachfrage nach Venenmitteln und oralen Kontrazeptiva für ein und dieselbe Patientin. Hier kann man aus dem Wunsch nach einem Venenmittel auf eine Thromboseneigung bei der Patientin schließen. Das orale Kontrazeptivum wäre in diesem Fall (relativ) kontraindiziert.
Derartige Pseudointeraktionen sind auch in den Fach- und Gebrauchsinformationen nicht als Wechselwirkungen, sondern als Kontraindikationen zu finden. In der ABDA-Datenbank werden sie durch das Zusatzmodul CAVE abgedeckt. Dieses ermöglicht einen Risiko-Check: Bei Eingabe eines ASS-haltigen Arzneimittels für einen Patienten, für den das Merkmal "Ulkus" hinterlegt ist, zeigt der Computer eine Warnung auf dem Bildschirm. So kann die versehentliche Abgabe von ASS-haltigen Arzneimitteln an Ulkus-Patienten vermieden werden.
Kriterien für die Aufnahme
Eine Monographie erstellt ABDATA für Wechselwirkungen, die klinisch relevant sein können. Klinische Relevanz liegt vor, wenn
Das Spektrum der möglichen Maßnahmen reicht dabei vom Verbot der gleichzeitigen Behandlung über die zeitliche Trennung der Einnahme und die sorgfältige Kontrolle von Parametern wie Blutdruck, Quick-Wert oder Plasmakonzentrationen bis hin zur aufmerksamen Beobachtung oder Selbstbeobachtung des Patienten auf bestimmte Symptome. Welche Maßnahme angemessen ist, hängt sowohl von den Eigenschaften der interagierenden Wirkstoffe als auch von den individuellen Umständen des Patienten ab.
Umfassende Recherchen
Für die Bearbeitung der Interaktionen wird laufend die aktuelle klinisch-pharmakologische Literatur aufbereitet. Monatlich erfolgt eine Recherche in den Literatur-Datenbanken Medline und Embase bei DIMDI (Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information) nach klinischen Studien und Fallberichten zu Interaktionen. Außerdem sucht ABDATA in der Literaturdatenbank "Iowa Drug Information Service" (IDIS), die auf CD und Mikrofilm zur Verfügung steht, monatlich nach neuen Veröffentlichungen zu Arzneimittelinteraktionen.
Bei der Bearbeitung werden außerdem die Standardwerke Hansten and Horn’s Drug Interaction Analysis and Management (Applied Therapeutics, Inc., Vancouver, 1997, und Updates) sowie Stockley, I. H., Drug Interactions (The Pharmaceutical Press, London, 6. Auflage 2002) berücksichtigt. Auch die aktuellen Fachinformationen fließen in die Bearbeitung der Monographien ein.
Aktuelle Daten
Alle aussagekräftigen Literaturstellen werden bei ABDATA in einem Literaturprogramm erfasst und daraufhin geprüft, ob neue Erkenntnisse publiziert wurden, die eine Aktualisierung einer bestehenden oder die Neuerfassung einer Monographie erfordern. Dies ist dann der Fall, wenn die neuen Erkenntnisse praktische Konsequenzen nach sich ziehen, zum Beispiel wenn neue Risikofaktoren beachtet werden müssen oder wenn ein Stoff stärker betroffen ist, als das bisher bekannt war, oder wenn die Bedeutung einer Interaktion anders bewertet werden muss.
Enthält eine Fachinformation Angaben, die nicht in der veröffentlichten Literatur zu finden sind oder deren Hintergrund unklar ist, so fragt ABDATA bei den medizinisch-wissenschaftlichen Abteilungen der pharmazeutischen Hersteller an. Meist kann dadurch geklärt werden, wie eine Interaktion einzuordnen ist. Häufig stellen die Hersteller auch weitere, zum Teil unveröffentlichte Daten zur Verfügung.
Wenn ein Fertigarzneimittel mit einem neuen Wirkstoff in den Handel kommt, wird dieser umgehend mit seinen Interaktionen erfasst, falls dies nicht anhand der Literaturauswertung schon geschehen ist. Auch Interaktionen, die auf Grund von Anordnungen der Zulassungsbehörden in die Fach- und Gebrauchsinformationen übernommen werden müssen, werden unverzüglich eingearbeitet, falls sie nicht schon in der Datei enthalten sind.
Trotz der laufenden Bearbeitung bleiben Monographien übrig, die längere Zeit nicht aktualisiert wurden. Diese werden anhand des Bearbeitungsdatums, das für jede Monographie gepflegt wird, regelmäßig selektiert und auf ihre Aktualität hin überprüft.
Aus der Fertigarzneimittel-Datei der ABDA-Datenbank werden monatlich alle Fertigarzneimittel zugespielt, die interagierende Wirkstoffe enthalten. Für jedes einzelne Fertigarzneimittel wird geprüft, ob die betreffende Interaktion zutrifft oder nicht. Bei der Zuordnung kann der Applikationsweg, die Dosierung und die Indikation des Fertigarzneimittels eine Rolle spielen. Die Kriterien für die Fertigarzneimittel-Zuordnung werden für jede Interaktionsmonographie genau festgelegt.
Abweichungen von Herstellerangaben
So weit wie möglich sollen Abweichungen von den Fachinformationen vermieden werden. Jedoch entspricht nicht jede Interaktion, die in den Fachinformationen aufgeführt ist, den oben genannten einheitlichen Aufnahmekriterien. Darüber hinaus ist es schon deshalb nicht möglich, die in den Gebrauchs- und Fachinformationen angeführten Wechselwirkungen deckungsgleich in der ABDA-Datenbank abzubilden, weil
Die Fachinformationen listen eine große Anzahl von Arzneimittelwechselwirkungen auf. Viele sind nur in Tierversuchen oder in Einzelfällen aufgetreten oder sind theoretisch möglich, aber nie auf ihre Relevanz hin untersucht worden. Ihre Bedeutung für die Praxis ist häufig unklar. In den Fach- und Gebrauchsinformationen werden sie auch angeführt, damit weder der Hersteller noch die Zulassungsbehörden haften müssen, wenn eine solche Interaktion tatsächlich auftritt. Würden alle diese Interaktionen in die ABDA-Datenbank aufgenommen, wären die Recherche-Ergebnisse überaus umfangreich und unübersichtlich und damit im Offizinalltag nicht praktikabel.
Individuelle Bewertung nötig
Trotz aller Anstrengungen, die Interaktionsdatei so sorgfältig wie möglich zu bearbeiten, kann diese doch niemals vollständig oder erschöpfend sein. Wöchentlich werden neue Fallberichte und Studien publiziert, die gelesen und bewertet werden müssen. Nicht selten ist die praktische Relevanz einer Veröffentlichung fraglich. Daher gehen neue Veröffentlichungen nicht immer umgehend in die Interaktionsdatei und auch nicht in die Herstellerinformationen ein.
Auch unter Einbeziehung aller bekannten klinischen Daten können Wechselwirkungen im Einzelfall oft nur schwer vorausgesagt werden. Letztlich muss bei jeder Medikation mit individuell unterschiedlichen Reaktionen gerechnet werden. Individuell angepasste Entscheidungen per Knopfdruck sind aber nicht möglich. Hierfür ist und bleibt die Kompetenz von Arzt und Ärztin sowie Apotheker und Apothekerin erforderlich.
Anschrift der Verfasserin:
Dr. Petra Zagermann-Muncke
ABDATA Pharma-Daten-Service
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