Pharmazie
Nach Schätzungen leben etwa 2000 Menschen mit der angeborenen
Stoffwechselkrankheit Morbus Gaucher in Deutschland, doch nur rund 120
davon werden gezielt behandelt. Seit 1994 steht zur Substitution des
fehlenden Enzyms ß-Glucocerebrosidase die modifizierte Alglucerase zur
Verfügung. Seit November 1997 ist auch das gentechnisch hergestellte
Enzym Imigluceras in Europa zugelassen (Cerezyme®); es soll Anfang 1998
auf dem deutschen Markt verfügbar sein.
Wenige Apotheker werden diese Präparate bislang in Händen gehabt haben;
dennoch kennen alle den Namen Ceredase®, hat doch unter anderem dieses
hochpreisige Medikament die Diskussion um die Arzneimittelpreisverordnung
angestoßen. Der Änderungsentwurf liegt vor; die neue Verordnung soll am 1. Juli
1998 in Kraft treten.
Statistisch gesehen leidet einer von 40.000 Europäern an der autosomal-rezessiv
vererbten Stoffwechselerkrankung. Durch eine verminderte Aktivität des humanen
Glykoproteins ß-Glucocerebrosidase können Glucocerebroside, die beim Abbau
von Zellbestandteilen anfallen, nicht mehr zu Glucose und Ceramid abgebaut
werden. In der Folge häufen sich Glucocerebroside in den Lysosomen der
Makrophagen an.
Die stark vergrößerten Makrophagen, die typischen Speicher- oder Gaucher-Zellen,
werden in Leber, Milz, Knochenmark und anderen Organen gefunden. Die Folgen
sind Vergrößerungen der Leber und Milz, Knochenerkrankungen und -schmerzen,
Verminderung der Zahl von Blutplättchen, roten und weißen Blutkörperchen,
Blutungsneigung, Müdigkeit und Schwäche. Die Leber eines Gaucher-Patienten
kann bis zum Dreifachen des Normalgewichts anschwellen, die Milz bis zum
50fachen.
Bei einer Vergrößerung von Leber und Milz im Verbund mit Knochendefekten sollte
der Arzt immer auch an Morbus Gaucher denken, empfahl Professor Dr. Claus
Niederau von der Medizinischen Klinik der Universität Düsseldorf bei einer
Pressekonferenz der Herstellerfirma Genzyme am 5. Dezember in München.
Inzwischen unterscheidet man drei Formen. Beim Typ 1 wird die Diagnose meist in
der Pubertät oder im jungen Erwachsenenalter gestellt. Es treten keine
neurologischen Symptome auf, die Erkrankung hat eine gute Prognose. Typ II und
III sind deutlich seltener und werden früher manifest, Typ II führt durch schwere
neurologische Schäden in den ersten beiden Lebensjahren zum Tod. Die Krankheit
ist nicht behandelbar. Auch bei Typ III treten diese Schäden auf. Die
Enzymersatztherapie wird vorwiegend bei Typ-I-Patienten eingesetzt.
Seit Anfang der neunziger Jahre kann das fehlende Enzym substituiert werden. Der
Arzneistoff Alglucerase (Ceredase®, zugelassen in Europa seit 1994) ist ein aus
menschlicher Plazenta gewonnenes Enzym, das so modifiziert wird, daß es an der
Mehrzahl seiner Zuckerseitenketten endständig eine Mannose trägt. Über die
Mannoserezeptoren der Makrophagen wird es in die Lysosomen aufgenommen.
1987 begann die Entwicklung einer rekombinanten, Makrophagen-gängigen,
humanen ß-Glucocerebrosidase, berichtete Dr. Wytske Kingma von Genzyme. Das
Enzym wird von der Firma in gentechnisch veränderten CHO(Chinese hamster
ovary)-Zellinien hergestellt und anschließend modifiziert.
Die gentechnisch hergestellte Imiglucerase wurde 1996 als "Orphan drug" - das sind
Arzneimittel für seltene Krankheiten - in den USA zugelassen (Cerezyme®). Derzeit
werden weltweit etwa 1100 Gaucher-Patienten damit behandelt. Die Dosierung
richtet sich nach Körpergewicht und Schwere der Erkrankung und schwankt
zwischen 20 U/kg und 120 U/kg alle zwei Wochen (infundiert über eine bis zwei
Stunden). Knochenveränderungen und neurologische Komplikationen erfordern in
der Regel Dosen von 60 bis 120 U/kg. Die Erhaltungsdosis könnte bei 20 U/kg
liegen, berichtete Niederau.
An der Uni-Klinik Düsseldorf liegen inzwischen Erfahrungen mit über 50
Gaucher-Patienten vor, wobei die meisten zunächst mit dem Enzym plazentaren
Ursprungs behandelt wurden. Die Umstellung auf Imiglucerase verursache keine
Probleme. Beide Enzyme sind einer Studie zufolge therapeutisch äquivalent.
Nebenwirkungen wie Schwindel oder Kopfschmerzen seien meist auf eine zu
schnelle Infusion zurückzuführen.
PZ-Artikel von Brigitte M. Gensthaler, München


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