Herzmedikamente für Kinder |
29.11.2004 00:00 Uhr |
Mehr als die Hälfte aller Kinder wird mit Arzneimitteln behandelt, die für sie nicht zugelassen sind. Dennoch sind altersgerechte Studien keine Selbstverständlichkeit. Inzwischen liegen für einige Arzneistoffe zur Therapie kleiner Patienten mit kardiologischen Erkrankungen Studien vor.
„In fast allen Therapiebereichen der Kinder-Kardiologie fehlen pharmakokinetische, pharmakodynamische und pharmakogenetische Untersuchungen“, sagte Dr. Martin Hulpke-Wette von der Göttinger Georg-August-Universität auf dem Paul-Martini-Symposium für Pharmakologie in Berlin. Infolgedessen gebe es auch keine altersgerechten Dosierungsempfehlungen und entsprechend applizierbare Darreichungsformen. Zudem sei oft viel zu wenig über unerwünschte Wirkungen und Interaktion der Arzneistoffe bekannt. Im Jahr 2003 veröffentlichten die National Institutes of Health der Vereinigten Staaten eine Liste mit dringlich im Kindesalter zu untersuchenden Medikamenten. Darauf zu finden sind unter anderem die Diuretika Bumetanid (in der EU nicht zugelassen), Furosemid und Spironolacton sowie Dopamin, Dobutamin, Natrium-Nitroprussid und Heparin.
Für einige Herzmedikamente sind nun in den letzten Jahren Wirksamkeit und Sicherheit in Studien mit Kindern untersucht worden. So wurde in der CHF-PRO-Infant-Studie der nicht selektive Betablocker Propranolol in Kombination mit Diuretika und Digitalis bei Säuglingen eingesetzt, die unter einer Herzinsuffizienz litten. Dabei zeigte sich ein positiver Effekt der zusätzlichen Betablockertherapie. Sowohl die klinische Symptomatik als auch der Renin-Spiegel verbesserten sich. Des Weiteren wurde eine niedrigere mittlere Herzfrequenz erreicht.
In einer Studie an der Universität Hamburg wurden kleine Patienten mit einer Erkrankung des Herzmuskels (dilatativer Kardiomyopathie) und Kinder mit kongestiver Herzinsuffizienz erfolgreich mit dem Betablocker Carvedilol behandelt. Die pharmakokinetische Untersuchung ergab jedoch eine um die Hälfte kürzere Eliminationshalbwertszeit als bei Erwachsenen. „Dies hat einen klaren Effekt auf das Dosisregime“, sagte Hulpke-Wette. Maximal wurden in der Untersuchung 0,7 mg/kg Körpergewicht eingesetzt. Dennoch wisse man extrem wenig über die optimale Dosierung. So habe er in Göttingen fast einen Patienten verloren, der mit einer Dosis von 0,05 mg/kg Körpergewicht behandelt wurde.
Selten kindgerechte Darreichungen
Viele Patienten entwickeln nach einer Operation, bei der sie an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen waren, ein Links-Herzversagen. In der PRIMACORP-Studie konnte das Risiko eines postoperativen Pumpversagens durch den Phosphodiesterase-3-Hemmer Milrinon um 64 Prozent signifikant verringert werden. Das Kontraktionsvermögen des Herzmuskels war deutlich verbessert und peripher wurde eine Erweiterung der Blutgefäße erreicht. Außerdem erhöhte sich die Schlagfrequenz des Herzens nur geringfügig. Im Gegensatz dazu haben Substanzen wie Adrenalin, Noradrenalin, Dobutamin und Dopamin, die regelmäßig bei Kindern eingesetzt werden, eine Erhöhung der Herzfrequenz und des peripheren Gefäßwiderstandes zur Folge.
„Kinder mit supraventrikulärer Tachykardie (Herzrhythmusstörungen mit erhöhter Herzfrequenz, deren Ursprung man in den Vorhöfen und im AV-Knoten vermutet) sind nicht so selten, wie vermutet“, sagte Hulpke-Wette. 46.600 Menschen im Alter von 0 bis 19 Jahren sind in Deutschland, Frankreich und Großbritannien davon betroffen. Besonders im Säuglings- und Kleinkindesalter ist die Gefahr groß, dass sich daraus eine lebensbedrohliche Herzinsuffizienz entwickelt, wenn die Tachykardie länger als 48 Stunden besteht. 85 Prozent der Patienten könnten effektiv mit dem Betablocker Sotalol behandelt werden. Aus Plasmakonzentrationsprofilen von 81 Kindern entwickelten Wissenschaftler der Universitäten Göttingen und Hamburg gemeinsam Dosisempfehlungen mit Start- und Zieldosis für unterschiedliche Altersgruppen. Wie auch bei den anderen Betablockern müsse man sich mit einer niedrigen Startdosis in die Therapie hineinschleichen, um erhebliche Nebenwirkungen zu vermeiden, so Hulpke-Wette. Für Sotalol stünden keine kindgerechten Applikationsformen zur Verfügung.
Sildenafil für Kinder
Der selektive Phosphodiesterase-5-Hemmer Sildenafil bewirkt eine Relaxation der Wandmuskulatur der pulmonalarteriellen Gefäße und eignet sich so zur Senkung des Lungengefäß-Widerstandes. In mehreren kleinen Serien erhielten Kinder mit pulmonalarterieller Hypertonie Initialdosen des Wirkstoffs von 0,25 bis 0,5 mg/kg Körpergewicht. Maximal wurden Dosen von 1 mg/kg eingesetzt. Im Vergleich zu Stickstoffmonoxid (NO) konnte dabei der Lungengefäß-Widerstand effektiver gesenkt werden, der pulmonalarterielle Blutfluss nahm zu. Die systemarteriellen Gefäße sind davon jedoch nur unwesentlich betroffen. Daher besteht kaum Gefahr, dass der Patient seinen systolischen Blutdruck verliert. Bedingt durch den Cytochrom-P450-Metabolismus Typ 3A4 und 2C9 wurden in der Studie Medikamenteninteraktionen beobachtet. Außerdem traten als unerwünschte Wirkung „Kurzschlüsse“ in den Gefäßen der Lunge (intrapulmonale shunts) auf, was eine Sauerstoffuntersättigung des Blutes zur Folge hatte. „Die pharmakokinetischen Untersuchungen bei Kindern sind bisher nicht veröffentlicht“, sagte Hulpke-Wette. Beschrieben sei aber, dass man von Sildenafil eine Lösung herstellen könne, die für die Dauer von einem Monat stabil bleibt, wenn sie im Kühlschrank aufbewahrt wird.
In der Erwachsenenmedizin wird der oral applizierbare
Endothelin-1-Antagonist Bosentan sehr häufig zur Behandlung der primären
pulmonalarteriellen Hypertonie eingesetzt. In Untersuchungen zeigte sich,
dass die Pharmakokinetik bei kleinen Patienten derjenigen der Erwachsenen
ähnelt. Inzwischen können für drei verschiedene Körpergewichtsgruppen
Dosisempfehlungen gegeben werden. Unter Auflagen ist Bosentan daher auch
für Kinder ab einem Alter von vier Jahren zugelassen. In den Auflagen
festgelegt wurde, wer das Medikament verschreiben darf und wie die
Behandlung zu protokollieren ist.
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