Pharmazie
"Auch gegen Ende des 20. Jahrhunderts weicht die Qualität von
Arzneimitteln zum Teil noch erheblich von den erforderlichen Normen ab - in
manchen Fällen sogar mit lebensgefährlichen Folgen." Dr. Barbara Schug
vom Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) betonte dies am 17.
Oktober bei einem Workshop des ZL im Rahmen des
Expopharm-Kongresses in Düsseldorf. Es handele sich dabei keineswegs
nur um Beispiele "vom anderen Ende der Welt".
Schug machte dies an drei gravierenden Qualitätsmängeln deutlich, die im
vergangenen Jahr beobachtet worden waren und zumindest peripher auch in Bezug
zur Bundesrepublik standen: So starben im vergangenen Jahr 59 Kinder in Haiti
nach der Einnahme eines verunreinigten Paracetamolsirups - die Rohware war über
Hamburg importiert worden. In Indien wurden Glibenclamid-verunreinigte
Cotrimoxazol-Präparate gefunden - produziert von der indischen Tochterfirma eines
deutschen Pharmaunternehmens. Und direkt in Deutschland kam es bei der
Produktion von Paracetamoltabletten zur Untermischung eines Corticosteroids.
Nicht nur zur Ausschaltung solcher gravierender Negativbeispiele seien
Qualitätsuntersuchungen unerläßlich, führte Schug aus. Auch bereits bei
gerinfügigeren Qualitätsunterschieden, beispielsweise im Freisetzungsverhalten
wirkstoffgleicher Generika, sei immer der Patient der Leidtragende. Um diesen
Mißstand zu unterbinden, führt das ZL seit einigen Jahren vergleichende
Reihenuntersuchungen durch, bei denen jeweils alle im deutschen Markt befindlichen
Produkte eines Wirkstoffs auf ihre Qualität geprüft werden. Die Ergebnisse
(In-vitro-Freisetzungsdaten) werden anschließend publiziert.
Zu den bereits veröffentlichten Beispielen mit positivem Ergebnis, das heißt mit einer
zufriedenstellenden, vergleichbaren Qualität aller im Handel befindlichen Produkte,
gehören unter anderem die Captopril-haltigen Fertigarzneimittel. Deutlichen
Schwankungen im Freisetzungsverhalten, hätten dagegen die Verapamil- und
Tamoxifen-haltigen Präparate gezeigt.
Als Qualitätsparameter nannte Schug neben der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit
der Arzneistoffe Eigenschaften wie die Reinheit eines Produktes, die
Dosierungsgenauigkeit und Stabilität sowie In-vitro-Freisetzungsverhalten und
Bioverfügbarkeit/Bioäquivalenz. Die Reihenuntersuchungen des ZL konzentrieren
sich dabei auf Labordaten, nicht auf klinische Untersuchungen; der Qualitätsvergleich
erfolgt in der Regel anhand der In-vitro-Freisetzungsdaten.
Schug: "Sie können die vergleichenden Reihenuntersuchungen als Orientierungshilfe
nutzen, um bei wirkstoffgleichen Produkten zumindest die schwarzen Schafe
auszuschließen." In-vitro-Daten könnten aber immer nur Hinweise liefern - "es sei
denn, die Korrelation zwischen der In-vitro-Freisetzung eines Produktes und seinem
In-vivo-Verhalten ist durch Studien belegt."
Angesichts der momentanen Marktsituation mit zum Teil erheblichen Unterschieden
zwischen wirkstoffgleichen Generika aus der Bundesrepublik und dem europäischen
Ausland, sei die Bioäquivalenz der Produkte ein entscheidendes Qualitätskriterium,
betonte sie und verwies auf eine amtliche Bekanntmachung vom April dieses Jahres
(siehe auch PZ 24/97). Darin werden Kriterien festgelegt, wann
Bioverfügbarkeits-/Bioäquivalenzstudien erforderlich sind, etwa bei Präparaten mit
vitaler Indikation, darunter Antiarrhythmika, Antidiabetika, Antikoagulantien,
Antiepileptika et cetera.
Gefordert werden Bioverfügbarkeitsstudien auch für Stoffe mit problematischer
Bioverfügbarkeit, das heißt solche mit geringer therapeutischer Breite oder steiler
Dosis-Wirkungsbeziehung sowie solche mit nicht-linearer Pharmakokinetik. Auch
für bestimmte Arzneiformen beziehungsweise Applikationswege müssen
grundsätzlich Bioverfügbarkeitsstudien durchgeführt werden, so zum Beispiel für
Retardpräparate und magensaftresistente Formen sowie für Präparate zur rektalen,
vaginalen, pulmonalen oder nasalen Applikation. Keine entsprechenden Studien sind
für i.v.-Präparate, nicht-systemisch wirkende Arzneimittel sowie orale, rein wäßrige
Lösungen zu erbringen.
Voraussichtlich ab Mai nächsten Jahres seien in der Lauer-Liste für alle
Festbetrags-Arzneimittel Hinweise geplant, ob für das jeweilige Produkt
Bioverfügbarkeits-/Bioäquivalenzstudien gefordert werden, erklärte Schug. Man
wolle dem Apotheker damit eine Bewertungshilfe an die Hand geben und ihn für
mögliche Problemarzneimittel sensibilisieren.
Studienbewertung auf einen Blick
Welche Studien sind von vorneherein zu verwerfen? Woran erkennt man getürkte
Untersuchungsergebnisse? Auf welche Kriterien muß man besonders achten? Schug
gab den Workshop-Teilnehmern und Teilnehmerinnen Tips zur einfachen Bewertung
von Bioverfügbarkeits- und Bioäquivalenzstudien:
- Die Zahl der einbezogenen Studienteilnehmer darf nicht zu klein sein. In
Europa wird als Mindestgrenze n=16 gefordert, in den USA n=24.
- Bioverfügbarkeitsstudien erfolgen in der Regel im Cross-over-Design. Dabei
ist laut Schug auf eine genügend lange Auswaschphase zu achten. Als
Faustregel gilt 1 Woche.
- Die Zahl der Meßpunkte muß genügend groß sein. Laut Schug ist darauf zu
achten, daß jeweils mindestens 3 bis 5 Blutabnahmen die Anflutungsphase,
das Konzentrationsmaximum und die Eliminationsphase des Arzneistoffs
charakterisieren. Die nach dem letzten Meßpunkt extrapolierte Restfläche
unter der Plasmakonzentrations-Zeit-Kurve (AUC) muß möglichst klein sein
(unter 20 Prozent).
- Die Analytik sollte laut Schug möglichst durch ein chromatographisches
Verfahren erfolgen, sie muß ausreichend selektiv und reproduzierbar sein.
- Zu beurteilende Parameter sind die Fläche unter der
Plasmakonzentrations-Zeit-Kurve (AUC), das Konzentrationsmaximum
(cmax), die Zeit bis zum Konzentrationsmaximum (tmax) sowie t½ als
pharmakokinetisches Charakteristikum.
- Bioäquivalenz zwischen Referenz- und Testpräparat liegt laut Schug dann vor,
wenn das 90%-Konfidenzintervall des Quotienten AUCTest/AUCRef die
Grenzen 80 und 125 Prozent nicht überschreitet und wenn das
90%-Konfidenzintervall des Quotienten cmax test/cmax Ref die Grenzen 70
und 143 Prozent (im US-amerikanischen Raum 80 und 125 Prozent) nicht
überschreitet. Grundlage dieser beiden Bioäquivalenzkriterien seien die
europäische CPMP Note for Guidance von 1991 und die US-amerikanische
FDA Guidance von 1992.
PZ-Artikel von Bettina Neuse-Schwarz, Düsseldorf

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