Wirkstoffe per Mausklick |
31.03.2003 00:00 Uhr |
Die Wissenschaft liefert immer neue Erkenntnisse über Proteinfamilien und deren Subtypen. So werden zum einen Nebenwirkungen verständlich, zum anderen eröffnet sich die Möglichkeit, selektive Wirkstoffe zu finden. Mittlerweile ist die Arbeit mit Computerprogrammen nicht mehr aus dem gezielten Wirkstoffdesign wegzudenken.
Gezieltes strukturgestütztes Design von Arzneistoffen ist ein Kind der späten 60er-Jahre. Damals modellierten Wissenschaftler um M. A. Ondetti den ACEHemmer Captopril. Seitdem sind neue Generationen von Wirkstoffen entstanden, die mithilfe von Molekular Modelling zu immer selektiveren und potenteren Arzneistoffen optimiert wurden. Über aktuelle Trends im computergestützten Wirkstoffdesign diskutierten die Teilnehmer der DPhG-Fachgruppe Pharmazeutische/Medizinische Chemie bei ihrer Tagung Mitte März in Düsseldorf.
Docking gleicht dem Einparken
Prinzipiell kann der Wissenschaftler zwei Strategien verfolgen, um einen Wirkstoff zu modellieren. Ist die Kristallstruktur des Zielproteins bekannt, ergibt sich eine Rezeptor-bezogene Methode. Der Chemiker sucht nach einer Substanz, die möglichst optimal in die Bindetasche des Enzyms passt. Einen indirekten Ansatz stellt die Liganden-basierte Methode dar. Hier geht man von einer vorhandenen Substanz aus und fahndet, dem Ähnlichkeitsprinzip folgend, nach dem Wirkstoff, der eine größere Affinität und höhere Selektivität zum Enzym zeigt.
Vergleicht man die Enzymbindetasche mit einer Parklücke, so muss der entsprechende Ligand in der Computersimulation „eingeparkt“ werden. Der angelsächsische Begriff Docking beschreibt das Einpassen in die Tasche eines Enzyms, für das die Kristallstruktur bereits bekannt ist. In einer Proteindatenbank sind mittlerweile über 18.000 Proteinstrukturen erfasst.
Datenbanken mit 3D-Strukturen organischer Moleküle können mit automatischen Screening-Programmen nach Strukturen durchsucht werden, die die Bindungstasche des Zielproteins möglichst optimal ausfüllen.
Per Kombination punkten
Bei der Suche nach neuen Liganden des Estrogenrezeptors konnte Dr. Wolfgang Sippl vom Institut der Pharmazeutische Chemie in Düsseldorf auf bekannte Rezeptor-Agonist-Kristallstrukturen zurückgreifen. Die Geometrien des Rezeptors in Komplexen mit 17b-Estradiol und Diethylstilbestrol waren ähnlich, auch die beiden Liganden richteten sich vergleichbar aus.
Mithilfe eines Docking-Programms wurden 30 Verbindungen automatisch in die leere Bindetasche eingepasst. Sippl erhielt dann aus der Kraftfeldoptimierung die günstigsten Wechselwirkungsgeometrien der Verbindungen mit dem Protein.
Seinen Rezeptor-basierten Ansatz kombinierte Sippl nun mit einer Liganden-basierten Methode, dem 3D-QSAR. Betrachtet man diese 3D-Struktur-Wirkungs-Beziehungen quantitativ, können bestimmten chemischen Strukturen biologische Wirkungen zugeordnet werden. Die Ausrichtung der Liganden, die aus der Docking-Simulation hervorging, übertrug Sippl in 3D-QSAR-Programme und erhielt die Bindungsaffinitäten der geprüften Agonisten zum Estrogenrezeptor. Damit konnte er die Kandidaten mit der höchsten Rezeptoraffinität ermitteln.
Dass Computersimulationen tatsächliche biologische Enzymkomplexe sehr treffend beschreiben, bestätigte sich bei dem Agonist Genistein. Parallel zu Sippls Untersuchungen wurde die Kristallstruktur des Phytoestrogen-Rezeptor-Komplexes aufgeklärt. Die simulierte und die tatsächliche Konformation in der Bindetasche überlagern sich nahezu komplett.
Vorhersagen verbessert
Computergestütztes Wirkstoffdesign bereichert die Suche nach neuen Arzneistoffstrukturen ungemein. Trotzdem kann man damit die Wirkung der Substanzen in vivo nicht genau vorhersagen. Die Kombination verschiedener Methoden bringt validere Ergebnisse, auf denen weitere Prüfungen aufbauen können.
Mit verschiedenen computergestützten Prüfverfahren können mittlerweile schon während des Screenings Kandidaten mit potenzieller Toxizität herausselektiert werden. Zudem versucht man, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt sowohl pharmakodynamische als auch pharmakokinetische Faktoren in die Entwicklung neuer Stoffe einfließen zu lassen. In Programmen, die Parameter zur Resorption, Verteilung, Metabolisierung und Ausscheidung integrieren, können zum Beispiel im biologischen Milieu instabile Molekülstrukturen erkannt und aussortiert werden. Dies ermöglicht eine bessere Vorhersage, wie ein Substrat in vivo wirken wird, sodass Moleküldesign am Computer einen größeren Praxisbezug erhält.
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