Allrounder aus der Hanfpflanze |
21.10.2002 00:00 Uhr |
DPhG-Jahrestagung
Jahrzehntelang kämpften Protagonisten für den medizinischen Einsatz von Cannabis. Heute haben die Inhaltsstoffe der Hanfpflanze einen Platz in der Pharmakotherapie verschiedener Erkrankungen.
Schon 1800 vor Christi Geburt beschrieben Chinesen die heilende Wirkung von Cannabis. Inzwischen haben Wissenschaftler rund 65 verschiedene Cannabinoide identifiziert. Bis dato beschrieben sie nur für Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) eine Rauschwirkung. Die Inhaltsstoffe der Hanfpflanze unterdrücken aber auch Übelkeit, fördern den Appetit und wirken krampflösend und antiepileptisch, erklärte Dr. Robert W. Groter, Direktor des internationalen Instituts für onkologische und immunologische Forschung in Köln. Folglich wächst die Liste der medizinischen Indikationen, für die Fachleute den Einsatz von Cannabinoiden diskutieren. Neben Anorexie und Kachexie bei HIV- und Tumorpatienten nannte Groter Multiple Sklerose, Blasenstörungen bei Querschnittslähmungen sowie Glaukom und Migräne.
Meist steht dabei die krampflösende Wirkung von THC im Vordergrund. Interessant ist aber auch ein weiterer Vertreter dieser Wirkstoff-Familie: das Cannabidiol. Laut Groter wirkt das Derivat der durch THC induzierten Rauschwirkung entgegen. Bei Patienten, die beide Substanzen gleichzeitig einnehmen, fallen die halluzinogenen Effekte deutlich moderater aus.
THC wirkt kaum Schmerz lindernd, informierte der Wissenschaftler. Die analgetische Wirkung von Opiaten lasse sich aber durch die parallele Gabe geringer Mengen von Cannabinoiden verstärken. Auf diese Weise können künftig eventuell Opiate eingespart und so deren Nebenwirkungen reduziert werden.
Die vielfältigen Wirkungen der Inhaltsstoffe aus der Hanfpflanze werden nicht mit starken Nebenwirkungen erkauft, berichtete Groter. Er stufte das toxische Potenzial von Cannabis als sehr gering ein. Bis heute sei keine tödliche Dosis beschrieben. Lediglich bei Mäusen, die extrem große Mengen der Substanz aufnahmen, sank der Blutdruck. Um auf diese Dosis zu kommen, müssten Menschen allerdings 10.000 bis 12.000 Joints gleichzeitig rauchen.
Bis in die achtziger Jahre begründeten Forscher die Wirkung von THC mit einem scheinbar unspezifischen Einfluss auf Zellmembranen. Heute ist der Wirkmechanismus relativ gut aufgeklärt, erläuterte Professor Dr. Udo Schneider von der Abteilung Klinische Psychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Die zentrale Wirkung wird über Cannabinoid-Rezeptoren vom Typ 1 (CB1) im Hippocampus, Cerebellum und den Basalganglien ausgelöst. Diese Hirnregionen sind unter anderem für Lernvorgänge und die Koordination von Bewegungen zuständig. Inzwischen postulieren Wissenschaftler aber auch schon einen peripheren CB2-Rezeptor, der an Regulationsprozessen des Immunsystems beteiligt sein soll.
An die CB-Rezeptoren greifen endogene Cannabinoide an. Bekannteste Vertreter dieser Endocannabinoide sind die Anandamide. Sie steuern vermutlich auch den Gefäßtonus, die Spermienproduktion sowie das Sättigungsgefühl. Inzwischen prüfen Forscher in einer Phase-II-Studie die appetitzügelnde Wirkung synthetischer Anandamid-Antagonisten, berichtete Schneider. Geforscht wird auch mit HU 211, einem synthetischen Cannabinoid. Die Substanz kann über ihre antiglutamaterge Wirkung vermutlich Hirnläsionen eindämmen, sagte der Experte.
Für die antientzündlichen Effekte von Cannabis sind vermutlich die Carbonsäuren von Δ9-THC verantwortlich. Auch hier läuft bereits eine klinische Studie mit CT-3, einem Analogon. Die ersten Daten deuten darauf hin, dass CT-3 signifikant besser die Schmerzen von Patienten mit rheumatoider Arthritis lindert als Placebo.
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